Brieffe zeige: zum andern/ weil sie glaubt, daß ich Jhr Hertz nur verhärte, und Sie unge- horsam mache. Hiezu kommt ein Grundsatz, in dem Haus-Staat meiner Mutter, den ich Jh- nen schon gemeldet habe. Er lautet also: es ist nicht möglich/ daß die Eltern Unrecht haben; und wie können die Kinder Recht haben/ wenn sie sich ihnen widersetzen. So bin ich gezwungen, dann und wann eine Stunde zu stehlen, ohne daß sie weiß, wie ich sie anwende.
Sie können hieraus den Schluß machen, wie geneigt ich gewesen bin, einem blossen Befehl meiner Mutter, der so wenig vernünfftigen Grund hatte, Folge zu leisten. Allein es sollte eine Probe meines Gehorsams seyn, darum mußte ich nachgeben, ob ich gleich wußte, daß ich Recht hatte.
Sie haben mir stets bey solchen Gelegenhei- ten Lehren gegeben: und Jhr letzter Brief ist strenger, als Sie jemahls sonst gewesen sind. Sie werden dazu setzen: und dieses von Rechts- wegen/ weil ich es verdient habe. Jch dancke Jhnen zwar für Jhre Erinnerung: allein ich hoffe eine Erinnerung dagegen machen zu können. Jedoch ihre verdienten oder unverdienten Schlä- ge hat nicht blos meine Haut, sondern mein Hertz empfunden. Ein anderes mahl hievon!
Es war schon Nachmittag, als wir auf dem Gute der gnäd. Frau ankamen. Der geputzte galante Herr, (Sie wissen wen ich meine) ließ
uns
O 2
der Clariſſa.
Brieffe zeige: zum andern/ weil ſie glaubt, daß ich Jhr Hertz nur verhaͤrte, und Sie unge- horſam mache. Hiezu kommt ein Grundſatz, in dem Haus-Staat meiner Mutter, den ich Jh- nen ſchon gemeldet habe. Er lautet alſo: es iſt nicht moͤglich/ daß die Eltern Unrecht haben; und wie koͤnnen die Kinder Recht haben/ wenn ſie ſich ihnen widerſetzen. So bin ich gezwungen, dann und wann eine Stunde zu ſtehlen, ohne daß ſie weiß, wie ich ſie anwende.
Sie koͤnnen hieraus den Schluß machen, wie geneigt ich geweſen bin, einem bloſſen Befehl meiner Mutter, der ſo wenig vernuͤnfftigen Grund hatte, Folge zu leiſten. Allein es ſollte eine Probe meines Gehorſams ſeyn, darum mußte ich nachgeben, ob ich gleich wußte, daß ich Recht hatte.
Sie haben mir ſtets bey ſolchen Gelegenhei- ten Lehren gegeben: und Jhr letzter Brief iſt ſtrenger, als Sie jemahls ſonſt geweſen ſind. Sie werden dazu ſetzen: und dieſes von Rechts- wegen/ weil ich es verdient habe. Jch dancke Jhnen zwar fuͤr Jhre Erinnerung: allein ich hoffe eine Erinnerung dagegen machen zu koͤnnen. Jedoch ihre verdienten oder unverdienten Schlaͤ- ge hat nicht blos meine Haut, ſondern mein Hertz empfunden. Ein anderes mahl hievon!
Es war ſchon Nachmittag, als wir auf dem Gute der gnaͤd. Frau ankamen. Der geputzte galante Herr, (Sie wiſſen wen ich meine) ließ
uns
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der Clariſſa.
Brieffe zeige: zum andern/ weil ſie glaubt,
daß ich Jhr Hertz nur verhaͤrte, und Sie unge-
horſam mache. Hiezu kommt ein Grundſatz,
in dem Haus-Staat meiner Mutter, den ich Jh-
nen ſchon gemeldet habe. Er lautet alſo: es
iſt nicht moͤglich/ daß die Eltern Unrecht
haben; und wie koͤnnen die Kinder Recht
haben/ wenn ſie ſich ihnen widerſetzen.
So bin ich gezwungen, dann und wann eine
Stunde zu ſtehlen, ohne daß ſie weiß, wie ich ſie
anwende.
Sie koͤnnen hieraus den Schluß machen, wie
geneigt ich geweſen bin, einem bloſſen Befehl
meiner Mutter, der ſo wenig vernuͤnfftigen
Grund hatte, Folge zu leiſten. Allein es ſollte
eine Probe meines Gehorſams ſeyn, darum
mußte ich nachgeben, ob ich gleich wußte, daß
ich Recht hatte.
Sie haben mir ſtets bey ſolchen Gelegenhei-
ten Lehren gegeben: und Jhr letzter Brief iſt
ſtrenger, als Sie jemahls ſonſt geweſen ſind. Sie
werden dazu ſetzen: und dieſes von Rechts-
wegen/ weil ich es verdient habe. Jch dancke
Jhnen zwar fuͤr Jhre Erinnerung: allein ich
hoffe eine Erinnerung dagegen machen zu koͤnnen.
Jedoch ihre verdienten oder unverdienten Schlaͤ-
ge hat nicht blos meine Haut, ſondern mein
Hertz empfunden. Ein anderes mahl hievon!
Es war ſchon Nachmittag, als wir auf dem
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/217>, abgerufen am 24.11.2024.
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