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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

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Die Geschichte
uns zwey Stunden warten, um seine Schabra-
cke noch mit neuem Staat auszuschmücken. Mir
war es warlich sehr gelegen, daß uns dieser
Verzug nöthigte, über Nacht ausser Hause zu
bleiben! Der Sattler hatte volle Arbeit gehabt,
sie fertig zu schaffen, damit es ihm wohl zuliesse,
wenn er Frau Howe und ihre schöne Tochter
begleitete. Jch fragte ihn: ob er sich etwan
gefürchtet hätte, daß er bey einer so ernsthafften
Gelegenheit, da wir eine sterbende Frau besu-
chen wollten, wegen seines ernsthafften Gesichts,
wie ein verunglückter Pächter aussehen würde?
und ob er sich deswegen als ein Marcktschreyer
gekleidet hätte, damit er jenem Vorwurf ent-
gehen möchte?

Er sahe gantz verwirrt aus: und er nahm
meine Frage so hoch auf, daß man mercken kon-
te, daß sein Gewissen sie bekräfftigte. Er wür-
de sonst nicht empfindlich darüber geworden seyn,
denn er ist es schon gewohnt, daß ich ihm nicht
besser begegne. Er hätte fast angefangen zu
weinen. Jch habe schon sonst bemerckt, daß er
einem ledigen Frauenzimmer wie ein Schaaf vor-
kommen muß: so angenehm mir künfftig diese
Gemüthsfassung seyn möchte, so muß ich ihn
doch jetzt deswegen ein wenig in meinem Hertzen
verachten. Mich dünckt, ein dreister Mensch
gefällt uns allen am besten, wenn wir ihn nur
könnten zu gewisser Zeit, und gegen gewisse Per-
sonen nach unserm Wunsch furchtsam und sanst-
müthig machen.

Der

Die Geſchichte
uns zwey Stunden warten, um ſeine Schabra-
cke noch mit neuem Staat auszuſchmuͤcken. Mir
war es warlich ſehr gelegen, daß uns dieſer
Verzug noͤthigte, uͤber Nacht auſſer Hauſe zu
bleiben! Der Sattler hatte volle Arbeit gehabt,
ſie fertig zu ſchaffen, damit es ihm wohl zulieſſe,
wenn er Frau Howe und ihre ſchoͤne Tochter
begleitete. Jch fragte ihn: ob er ſich etwan
gefuͤrchtet haͤtte, daß er bey einer ſo ernſthafften
Gelegenheit, da wir eine ſterbende Frau beſu-
chen wollten, wegen ſeines ernſthafften Geſichts,
wie ein verungluͤckter Paͤchter ausſehen wuͤrde?
und ob er ſich deswegen als ein Marcktſchreyer
gekleidet haͤtte, damit er jenem Vorwurf ent-
gehen moͤchte?

Er ſahe gantz verwirrt aus: und er nahm
meine Frage ſo hoch auf, daß man mercken kon-
te, daß ſein Gewiſſen ſie bekraͤfftigte. Er wuͤr-
de ſonſt nicht empfindlich daruͤber geworden ſeyn,
denn er iſt es ſchon gewohnt, daß ich ihm nicht
beſſer begegne. Er haͤtte faſt angefangen zu
weinen. Jch habe ſchon ſonſt bemerckt, daß er
einem ledigen Frauenzimmer wie ein Schaaf vor-
kommen muß: ſo angenehm mir kuͤnfftig dieſe
Gemuͤthsfaſſung ſeyn moͤchte, ſo muß ich ihn
doch jetzt deswegen ein wenig in meinem Hertzen
verachten. Mich duͤnckt, ein dreiſter Menſch
gefaͤllt uns allen am beſten, wenn wir ihn nur
koͤnnten zu gewiſſer Zeit, und gegen gewiſſe Per-
ſonen nach unſerm Wunſch furchtſam und ſanſt-
muͤthig machen.

Der
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[212/0218] Die Geſchichte uns zwey Stunden warten, um ſeine Schabra- cke noch mit neuem Staat auszuſchmuͤcken. Mir war es warlich ſehr gelegen, daß uns dieſer Verzug noͤthigte, uͤber Nacht auſſer Hauſe zu bleiben! Der Sattler hatte volle Arbeit gehabt, ſie fertig zu ſchaffen, damit es ihm wohl zulieſſe, wenn er Frau Howe und ihre ſchoͤne Tochter begleitete. Jch fragte ihn: ob er ſich etwan gefuͤrchtet haͤtte, daß er bey einer ſo ernſthafften Gelegenheit, da wir eine ſterbende Frau beſu- chen wollten, wegen ſeines ernſthafften Geſichts, wie ein verungluͤckter Paͤchter ausſehen wuͤrde? und ob er ſich deswegen als ein Marcktſchreyer gekleidet haͤtte, damit er jenem Vorwurf ent- gehen moͤchte? Er ſahe gantz verwirrt aus: und er nahm meine Frage ſo hoch auf, daß man mercken kon- te, daß ſein Gewiſſen ſie bekraͤfftigte. Er wuͤr- de ſonſt nicht empfindlich daruͤber geworden ſeyn, denn er iſt es ſchon gewohnt, daß ich ihm nicht beſſer begegne. Er haͤtte faſt angefangen zu weinen. Jch habe ſchon ſonſt bemerckt, daß er einem ledigen Frauenzimmer wie ein Schaaf vor- kommen muß: ſo angenehm mir kuͤnfftig dieſe Gemuͤthsfaſſung ſeyn moͤchte, ſo muß ich ihn doch jetzt deswegen ein wenig in meinem Hertzen verachten. Mich duͤnckt, ein dreiſter Menſch gefaͤllt uns allen am beſten, wenn wir ihn nur koͤnnten zu gewiſſer Zeit, und gegen gewiſſe Per- ſonen nach unſerm Wunſch furchtſam und ſanſt- muͤthig machen. Der

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/218>, abgerufen am 21.11.2024.