Urtheilen sey. Sie müssen sich selbst dieser Be- schuldigung unterwerfen: denn wenn Sie, ich sa- ge, selbst Sie in der That Jhren Fehler so un- gern bekenneten, als Sie es vorgeben; so würde ich Sie nur halb so lieb haben, als jetzt. Sie würden sich selbst auch den Vorwurf, dessen ich Erwähnung that, nicht auf eine so freymüthige Art gemacht haben, wenn Sie nicht ein so edles und grosses Hertz hätten, als sich jemahls ein Frauenzimmer hat rühmen können.
Herr Lovelace hat sonst Fehler genug, mich misvergnügt zu machen, wenn er auch hierin unschuldig ist. Wenn ich so gut mit ihm stün- de, als er es wünscht, so wollte ich ihm zu ver- stehen geben, daß der betrügrische Jacob Leh- man nicht so gegen ihn gesinnet ist, als er den- cket: sonst würde er nicht so fertig gewesen seyn, die unschuldige Geschichte von dem Mauermäd- chen mit so übeln Umständen zu verbessern, und noch dazu der Elisabeth Barnes zu erzählen. Er befahl ihr, es heimlich zu halten, und ver- sprach ihr, daß er ihr und threm Herren mehr sa- gen wollte, wenn er alles ausgekundschafftet ha- ben würde. Und dieses allein hat sie zurück ge- halten, meinem Bruder und meiner Schwester nicht davon zu sagen, dazu sie sonst grosse Lust hatte. Sie will es auch mit dem Joseph nicht gern verderben: denn ob sie gleich in ihrem Her- tzen vielmehr ist, als er, so scheint es doch, daß sie ihn gern von Liebe reden hört. Es kommt mir vor, als wenn manches Frauenzimmer die
Ohren
zweyter Theil. R
der Clariſſa.
Urtheilen ſey. Sie muͤſſen ſich ſelbſt dieſer Be- ſchuldigung unterwerfen: denn wenn Sie, ich ſa- ge, ſelbſt Sie in der That Jhren Fehler ſo un- gern bekenneten, als Sie es vorgeben; ſo wuͤrde ich Sie nur halb ſo lieb haben, als jetzt. Sie wuͤrden ſich ſelbſt auch den Vorwurf, deſſen ich Erwaͤhnung that, nicht auf eine ſo freymuͤthige Art gemacht haben, wenn Sie nicht ein ſo edles und groſſes Hertz haͤtten, als ſich jemahls ein Frauenzimmer hat ruͤhmen koͤnnen.
Herr Lovelace hat ſonſt Fehler genug, mich misvergnuͤgt zu machen, wenn er auch hierin unſchuldig iſt. Wenn ich ſo gut mit ihm ſtuͤn- de, als er es wuͤnſcht, ſo wollte ich ihm zu ver- ſtehen geben, daß der betruͤgriſche Jacob Leh- man nicht ſo gegen ihn geſinnet iſt, als er den- cket: ſonſt wuͤrde er nicht ſo fertig geweſen ſeyn, die unſchuldige Geſchichte von dem Mauermaͤd- chen mit ſo uͤbeln Umſtaͤnden zu verbeſſern, und noch dazu der Eliſabeth Barnes zu erzaͤhlen. Er befahl ihr, es heimlich zu halten, und ver- ſprach ihr, daß er ihr und threm Herren mehr ſa- gen wollte, wenn er alles ausgekundſchafftet ha- ben wuͤrde. Und dieſes allein hat ſie zuruͤck ge- halten, meinem Bruder und meiner Schweſter nicht davon zu ſagen, dazu ſie ſonſt groſſe Luſt hatte. Sie will es auch mit dem Joſeph nicht gern verderben: denn ob ſie gleich in ihrem Her- tzen vielmehr iſt, als er, ſo ſcheint es doch, daß ſie ihn gern von Liebe reden hoͤrt. Es kommt mir vor, als wenn manches Frauenzimmer die
Ohren
zweyter Theil. R
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0263"n="257"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">der Clariſſa</hi>.</hi></fw><lb/>
Urtheilen ſey. Sie muͤſſen ſich ſelbſt dieſer Be-<lb/>ſchuldigung unterwerfen: denn wenn Sie, ich ſa-<lb/>
ge, ſelbſt Sie in der That Jhren Fehler ſo un-<lb/>
gern bekenneten, als Sie es vorgeben; ſo wuͤrde<lb/>
ich Sie nur halb ſo lieb haben, als jetzt. Sie<lb/>
wuͤrden ſich ſelbſt auch den Vorwurf, deſſen ich<lb/>
Erwaͤhnung that, nicht auf eine ſo freymuͤthige<lb/>
Art gemacht haben, wenn Sie nicht ein ſo edles<lb/>
und groſſes Hertz haͤtten, als ſich jemahls ein<lb/>
Frauenzimmer hat ruͤhmen koͤnnen.</p><lb/><p>Herr <hirendition="#fr">Lovelace</hi> hat ſonſt Fehler genug, mich<lb/>
misvergnuͤgt zu machen, wenn er auch hierin<lb/>
unſchuldig iſt. Wenn ich ſo gut mit ihm ſtuͤn-<lb/>
de, als er es wuͤnſcht, ſo wollte ich ihm zu ver-<lb/>ſtehen geben, daß der betruͤgriſche <hirendition="#fr">Jacob Leh-<lb/>
man</hi> nicht ſo gegen ihn geſinnet iſt, als er den-<lb/>
cket: ſonſt wuͤrde er nicht ſo fertig geweſen ſeyn,<lb/>
die unſchuldige Geſchichte von dem Mauermaͤd-<lb/>
chen mit ſo uͤbeln Umſtaͤnden zu verbeſſern, und<lb/>
noch dazu der <hirendition="#fr">Eliſabeth Barnes</hi> zu erzaͤhlen.<lb/>
Er befahl ihr, es heimlich zu halten, und ver-<lb/>ſprach ihr, daß er ihr und threm Herren mehr ſa-<lb/>
gen wollte, wenn er alles ausgekundſchafftet ha-<lb/>
ben wuͤrde. Und dieſes allein hat ſie zuruͤck ge-<lb/>
halten, meinem Bruder und meiner Schweſter<lb/>
nicht davon zu ſagen, dazu ſie ſonſt groſſe Luſt<lb/>
hatte. Sie will es auch mit dem Joſeph nicht<lb/>
gern verderben: denn ob ſie gleich in ihrem Her-<lb/>
tzen vielmehr iſt, als er, ſo ſcheint es doch, daß<lb/>ſie ihn gern von Liebe reden hoͤrt. Es kommt<lb/>
mir vor, als wenn manches Frauenzimmer die<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#fr">zweyter Theil.</hi> R</fw><fwplace="bottom"type="catch">Ohren</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[257/0263]
der Clariſſa.
Urtheilen ſey. Sie muͤſſen ſich ſelbſt dieſer Be-
ſchuldigung unterwerfen: denn wenn Sie, ich ſa-
ge, ſelbſt Sie in der That Jhren Fehler ſo un-
gern bekenneten, als Sie es vorgeben; ſo wuͤrde
ich Sie nur halb ſo lieb haben, als jetzt. Sie
wuͤrden ſich ſelbſt auch den Vorwurf, deſſen ich
Erwaͤhnung that, nicht auf eine ſo freymuͤthige
Art gemacht haben, wenn Sie nicht ein ſo edles
und groſſes Hertz haͤtten, als ſich jemahls ein
Frauenzimmer hat ruͤhmen koͤnnen.
Herr Lovelace hat ſonſt Fehler genug, mich
misvergnuͤgt zu machen, wenn er auch hierin
unſchuldig iſt. Wenn ich ſo gut mit ihm ſtuͤn-
de, als er es wuͤnſcht, ſo wollte ich ihm zu ver-
ſtehen geben, daß der betruͤgriſche Jacob Leh-
man nicht ſo gegen ihn geſinnet iſt, als er den-
cket: ſonſt wuͤrde er nicht ſo fertig geweſen ſeyn,
die unſchuldige Geſchichte von dem Mauermaͤd-
chen mit ſo uͤbeln Umſtaͤnden zu verbeſſern, und
noch dazu der Eliſabeth Barnes zu erzaͤhlen.
Er befahl ihr, es heimlich zu halten, und ver-
ſprach ihr, daß er ihr und threm Herren mehr ſa-
gen wollte, wenn er alles ausgekundſchafftet ha-
ben wuͤrde. Und dieſes allein hat ſie zuruͤck ge-
halten, meinem Bruder und meiner Schweſter
nicht davon zu ſagen, dazu ſie ſonſt groſſe Luſt
hatte. Sie will es auch mit dem Joſeph nicht
gern verderben: denn ob ſie gleich in ihrem Her-
tzen vielmehr iſt, als er, ſo ſcheint es doch, daß
ſie ihn gern von Liebe reden hoͤrt. Es kommt
mir vor, als wenn manches Frauenzimmer die
Ohren
zweyter Theil. R
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/263>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.