Ohren öffnet, wenn das Hertz gleich noch ver- schlossen bleibt; weil es nicht in ihrer Macht ste- het, den Anfang zu Liebeshändeln zu machen, wo sie es wünschen.
Nichts mehr von diesen niederträchtigen Leu- ten, von denen ich nicht einmahl mittelmäßig-gut dencken kan! Allein in Absicht auf Lovelace muß ich gestehen: gleichwie ich ihn völlig ver- achtet und verabscheuet haben würde, wenn er sich auf seinem Wege nach Harlowe-Burg mit so niederträchtigen Streichen aufgehalten hätte, die ich Anfangs wahr zu seyn glaubte: so hat mich das, was Sie Grosmuth nennen, ihm desto günstiger gemacht; und vielleicht gün- stiger, als es gut für mich ist. Sie mögen meiner deshalb spotten, so viel Sie wollen: ich frage Sie nur, ob es bey Jhnen nicht eine glei- che Wirckung hervorgebracht haben würde.
Wie edel ist seine Freygebigkeit! Jch versiche- re Jhnen, wenn er sich sonst nur wahrhaftig und auf Lebenslang bessern wollte, so würde ich ihm blos deswegen sehr viel vergangene Fehler verge- ben können, weil er gezeiget hat, daß so gütige und reine Gedancken in seinem Hertzen wohnen können.
Sie werden sich leicht embilden, daß ich mich nicht lange bedacht habe, seinen Brief zu erbre- chen, nachdem ich Jhren letzten Brief erhalten hatte: und eben so wenig werde ich Bedencken tragen, ihm zu antworten, da ich ohnehin an seinem Brieffe nichts auszusetzen habe. Ein neuer Vortheil für ihn, der ihm dadurch desto leich-
ter
Die Geſchichte
Ohren oͤffnet, wenn das Hertz gleich noch ver- ſchloſſen bleibt; weil es nicht in ihrer Macht ſte- het, den Anfang zu Liebeshaͤndeln zu machen, wo ſie es wuͤnſchen.
Nichts mehr von dieſen niedertraͤchtigen Leu- ten, von denen ich nicht einmahl mittelmaͤßig-gut dencken kan! Allein in Abſicht auf Lovelace muß ich geſtehen: gleichwie ich ihn voͤllig ver- achtet und verabſcheuet haben wuͤrde, wenn er ſich auf ſeinem Wege nach Harlowe-Burg mit ſo niedertraͤchtigen Streichen aufgehalten haͤtte, die ich Anfangs wahr zu ſeyn glaubte: ſo hat mich das, was Sie Grosmuth nennen, ihm deſto guͤnſtiger gemacht; und vielleicht guͤn- ſtiger, als es gut fuͤr mich iſt. Sie moͤgen meiner deshalb ſpotten, ſo viel Sie wollen: ich frage Sie nur, ob es bey Jhnen nicht eine glei- che Wirckung hervorgebracht haben wuͤrde.
Wie edel iſt ſeine Freygebigkeit! Jch verſiche- re Jhnen, wenn er ſich ſonſt nur wahrhaftig und auf Lebenslang beſſern wollte, ſo wuͤrde ich ihm blos deswegen ſehr viel vergangene Fehler verge- ben koͤnnen, weil er gezeiget hat, daß ſo guͤtige und reine Gedancken in ſeinem Hertzen wohnen koͤñen.
Sie werden ſich leicht embilden, daß ich mich nicht lange bedacht habe, ſeinen Brief zu erbre- chen, nachdem ich Jhren letzten Brief erhalten hatte: und eben ſo wenig werde ich Bedencken tragen, ihm zu antworten, da ich ohnehin an ſeinem Brieffe nichts auszuſetzen habe. Ein neuer Vortheil fuͤr ihn, der ihm dadurch deſto leich-
ter
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Die Geſchichte
Ohren oͤffnet, wenn das Hertz gleich noch ver-
ſchloſſen bleibt; weil es nicht in ihrer Macht ſte-
het, den Anfang zu Liebeshaͤndeln zu machen,
wo ſie es wuͤnſchen.
Nichts mehr von dieſen niedertraͤchtigen Leu-
ten, von denen ich nicht einmahl mittelmaͤßig-gut
dencken kan! Allein in Abſicht auf Lovelace
muß ich geſtehen: gleichwie ich ihn voͤllig ver-
achtet und verabſcheuet haben wuͤrde, wenn er
ſich auf ſeinem Wege nach Harlowe-Burg
mit ſo niedertraͤchtigen Streichen aufgehalten
haͤtte, die ich Anfangs wahr zu ſeyn glaubte:
ſo hat mich das, was Sie Grosmuth nennen,
ihm deſto guͤnſtiger gemacht; und vielleicht guͤn-
ſtiger, als es gut fuͤr mich iſt. Sie moͤgen
meiner deshalb ſpotten, ſo viel Sie wollen: ich
frage Sie nur, ob es bey Jhnen nicht eine glei-
che Wirckung hervorgebracht haben wuͤrde.
Wie edel iſt ſeine Freygebigkeit! Jch verſiche-
re Jhnen, wenn er ſich ſonſt nur wahrhaftig und
auf Lebenslang beſſern wollte, ſo wuͤrde ich ihm
blos deswegen ſehr viel vergangene Fehler verge-
ben koͤnnen, weil er gezeiget hat, daß ſo guͤtige und
reine Gedancken in ſeinem Hertzen wohnen koͤñen.
Sie werden ſich leicht embilden, daß ich mich
nicht lange bedacht habe, ſeinen Brief zu erbre-
chen, nachdem ich Jhren letzten Brief erhalten
hatte: und eben ſo wenig werde ich Bedencken
tragen, ihm zu antworten, da ich ohnehin an
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 258. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/264>, abgerufen am 22.11.2024.
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