nes falschen Bruders gegen einen wahren Freund halten? Ein Bruder kann bisweilen kein Freund seyn: Aber ein Freund ist stets ein Bruder. Mer- cken Sie sich das! Wie Jhr Vetter Anton zu sagen pflegt.
Jch kan mich nicht so tief erniedrigen, ins be- sondere an die Briefe der schwachen Leute zu den- cken, welche Sie Vettern nennen. Und doch ma- che ich mich gern lustig, und zwar am liebsten über so seltsamen Abbildungen von Menschen. Aber ich kenne Jene, und liebe Sie: Dieses hindert mich allen Spott über jene auszulassen, den ihre Thorheiten verdienen.
Da ich so vieles empfindliche (so kommt es Jh- nen wenigstens vor) bereits geschrieben, muß ich noch einen Gedancken einfliessen lassen, der mir Recht giebt, Jhnen Jhr Versehen, ein vor alle- mal vorzuhalten. Er betrift die Aufführung solcher Frauenzimmer (uns beyden ist doch derer mehr als Eine bekannt) die sich durch lärmen oder mürrisches Wesen so weit in Furcht jagen lassen, daß sie endlich selbst, gar keinen Willen haben: an statt, daß sie sich lieber durch Zärtlichkeit und Höflichkeit um dieses Eigenthum sollten betrie- gen lassen. Jch wünsche, daß dieses kein Beweiß des Satzes seyn möge: daß man durch Unbeschei- denheit einen gewissern Sieg über manche unsers Geschlechts erhalten könne, als durch Freundlich- keit und Nachgeben. Warlich, mein Hertz, oft fällt mir ein, daß einige von uns sich im Ehestan- de als Kinder aufführen: giebt man ihren Nei-
gungen
B 3
der Clariſſa.
nes falſchen Bruders gegen einen wahren Freund halten? Ein Bruder kann bisweilen kein Freund ſeyn: Aber ein Freund iſt ſtets ein Bruder. Mer- cken Sie ſich das! Wie Jhr Vetter Anton zu ſagen pflegt.
Jch kan mich nicht ſo tief erniedrigen, ins be- ſondere an die Briefe der ſchwachen Leute zu den- cken, welche Sie Vettern nennen. Und doch ma- che ich mich gern luſtig, und zwar am liebſten uͤber ſo ſeltſamen Abbildungen von Menſchen. Aber ich kenne Jene, und liebe Sie: Dieſes hindert mich allen Spott uͤber jene auszulaſſen, den ihre Thorheiten verdienen.
Da ich ſo vieles empfindliche (ſo kommt es Jh- nen wenigſtens vor) bereits geſchrieben, muß ich noch einen Gedancken einflieſſen laſſen, der mir Recht giebt, Jhnen Jhr Verſehen, ein vor alle- mal vorzuhalten. Er betrift die Auffuͤhrung ſolcher Frauenzimmer (uns beyden iſt doch derer mehr als Eine bekannt) die ſich durch laͤrmen oder muͤrriſches Weſen ſo weit in Furcht jagen laſſen, daß ſie endlich ſelbſt, gar keinen Willen haben: an ſtatt, daß ſie ſich lieber durch Zaͤrtlichkeit und Hoͤflichkeit um dieſes Eigenthum ſollten betrie- gen laſſen. Jch wuͤnſche, daß dieſes kein Beweiß des Satzes ſeyn moͤge: daß man durch Unbeſchei- denheit einen gewiſſern Sieg uͤber manche unſers Geſchlechts erhalten koͤnne, als durch Freundlich- keit und Nachgeben. Warlich, mein Hertz, oft faͤllt mir ein, daß einige von uns ſich im Eheſtan- de als Kinder auffuͤhren: giebt man ihren Nei-
gungen
B 3
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der Clariſſa.
nes falſchen Bruders gegen einen wahren Freund
halten? Ein Bruder kann bisweilen kein Freund
ſeyn: Aber ein Freund iſt ſtets ein Bruder. Mer-
cken Sie ſich das! Wie Jhr Vetter Anton zu
ſagen pflegt.
Jch kan mich nicht ſo tief erniedrigen, ins be-
ſondere an die Briefe der ſchwachen Leute zu den-
cken, welche Sie Vettern nennen. Und doch ma-
che ich mich gern luſtig, und zwar am liebſten uͤber
ſo ſeltſamen Abbildungen von Menſchen. Aber
ich kenne Jene, und liebe Sie: Dieſes hindert
mich allen Spott uͤber jene auszulaſſen, den ihre
Thorheiten verdienen.
Da ich ſo vieles empfindliche (ſo kommt es Jh-
nen wenigſtens vor) bereits geſchrieben, muß ich
noch einen Gedancken einflieſſen laſſen, der mir
Recht giebt, Jhnen Jhr Verſehen, ein vor alle-
mal vorzuhalten. Er betrift die Auffuͤhrung
ſolcher Frauenzimmer (uns beyden iſt doch derer
mehr als Eine bekannt) die ſich durch laͤrmen oder
muͤrriſches Weſen ſo weit in Furcht jagen laſſen,
daß ſie endlich ſelbſt, gar keinen Willen haben:
an ſtatt, daß ſie ſich lieber durch Zaͤrtlichkeit und
Hoͤflichkeit um dieſes Eigenthum ſollten betrie-
gen laſſen. Jch wuͤnſche, daß dieſes kein Beweiß
des Satzes ſeyn moͤge: daß man durch Unbeſchei-
denheit einen gewiſſern Sieg uͤber manche unſers
Geſchlechts erhalten koͤnne, als durch Freundlich-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/27>, abgerufen am 03.12.2024.
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