Soll ich so einen Menschen Jhren Bruder nen- nen! Ja! ich muß es thun: denn er ist Jhres Vaters ächter Sohn. Dies wird doch nicht zu viel gesagt seyn?
Es thut mir leyd, daß Sie je an ihn geschrie- ben haben. Es ist dieses schon sich zu viel um ihn bekümmern: er wird sich selbst dadurch beträcht- licher, und kriegt gleichsam einen Beruff, unbe- scheiden gegen Sie zu seyn: ein Beruff, dem er gewiß gemäß handeln wird.
Ein treflicher Kerl, der seiner selbst gegen Lo- welace so vergessen kan, welcher ihn doch gelehret, den Degen in die Scheide zu stecken, als er ihn zum Unglück gezogen. Aber diese Hauß-Wütte- riche, die sich in lauter Schreck-Bilder verwan- deln, wenn sie Frauenzimmer, Kinder, und Ge- sinde in Furcht jagen wollen, sind meistentheils feige Memmen, wenn sie es mit Männern zu thun haben. Käme er mir in den Weg, und sagte mir dergleichen etwas ins Gesichte, als er hinter meinem Rücken soll geredet haben, oder solche An- züglichkeiten gegen unser Geschlecht, als er aus Liebe zu Jhnen bisweilen hervor gebracht hat: so würde ich mich unterstehen Jhm ein paar Fragen vorzulegen, wenn er mich auch gleich deshalb her- aus fodern wollte.
Jch sage abermals, Sie wissen, daß ich meine Gedancken frey schreibe. Mein Bruder ist er nicht. Können Sie sagen, das er Jhr Bruder sey? - - Sie können demnach auf mich nicht un- gehalten seyn. Wollten Sie wohl die Parthey ei-
nes
Die Geſchichte
Soll ich ſo einen Menſchen Jhren Bruder nen- nen! Ja! ich muß es thun: denn er iſt Jhres Vaters aͤchter Sohn. Dies wird doch nicht zu viel geſagt ſeyn?
Es thut mir leyd, daß Sie je an ihn geſchrie- ben haben. Es iſt dieſes ſchon ſich zu viel um ihn bekuͤmmern: er wird ſich ſelbſt dadurch betraͤcht- licher, und kriegt gleichſam einen Beruff, unbe- ſcheiden gegen Sie zu ſeyn: ein Beruff, dem er gewiß gemaͤß handeln wird.
Ein treflicher Kerl, der ſeiner ſelbſt gegen Lo- welace ſo vergeſſen kan, welcher ihn doch gelehret, den Degen in die Scheide zu ſtecken, als er ihn zum Ungluͤck gezogen. Aber dieſe Hauß-Wuͤtte- riche, die ſich in lauter Schreck-Bilder verwan- deln, wenn ſie Frauenzimmer, Kinder, und Ge- ſinde in Furcht jagen wollen, ſind meiſtentheils feige Memmen, wenn ſie es mit Maͤnnern zu thun haben. Kaͤme er mir in den Weg, und ſagte mir dergleichen etwas ins Geſichte, als er hinter meinem Ruͤcken ſoll geredet haben, oder ſolche An- zuͤglichkeiten gegen unſer Geſchlecht, als er aus Liebe zu Jhnen bisweilen hervor gebracht hat: ſo wuͤrde ich mich unterſtehen Jhm ein paar Fragen vorzulegen, wenn er mich auch gleich deshalb her- aus fodern wollte.
Jch ſage abermals, Sie wiſſen, daß ich meine Gedancken frey ſchreibe. Mein Bruder iſt er nicht. Koͤnnen Sie ſagen, das er Jhr Bruder ſey? ‒ ‒ Sie koͤnnen demnach auf mich nicht un- gehalten ſeyn. Wollten Sie wohl die Parthey ei-
nes
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Die Geſchichte
Soll ich ſo einen Menſchen Jhren Bruder nen-
nen! Ja! ich muß es thun: denn er iſt Jhres
Vaters aͤchter Sohn. Dies wird doch nicht zu
viel geſagt ſeyn?
Es thut mir leyd, daß Sie je an ihn geſchrie-
ben haben. Es iſt dieſes ſchon ſich zu viel um ihn
bekuͤmmern: er wird ſich ſelbſt dadurch betraͤcht-
licher, und kriegt gleichſam einen Beruff, unbe-
ſcheiden gegen Sie zu ſeyn: ein Beruff, dem er
gewiß gemaͤß handeln wird.
Ein treflicher Kerl, der ſeiner ſelbſt gegen Lo-
welace ſo vergeſſen kan, welcher ihn doch gelehret,
den Degen in die Scheide zu ſtecken, als er ihn
zum Ungluͤck gezogen. Aber dieſe Hauß-Wuͤtte-
riche, die ſich in lauter Schreck-Bilder verwan-
deln, wenn ſie Frauenzimmer, Kinder, und Ge-
ſinde in Furcht jagen wollen, ſind meiſtentheils
feige Memmen, wenn ſie es mit Maͤnnern zu
thun haben. Kaͤme er mir in den Weg, und ſagte
mir dergleichen etwas ins Geſichte, als er hinter
meinem Ruͤcken ſoll geredet haben, oder ſolche An-
zuͤglichkeiten gegen unſer Geſchlecht, als er aus
Liebe zu Jhnen bisweilen hervor gebracht hat: ſo
wuͤrde ich mich unterſtehen Jhm ein paar Fragen
vorzulegen, wenn er mich auch gleich deshalb her-
aus fodern wollte.
Jch ſage abermals, Sie wiſſen, daß ich meine
Gedancken frey ſchreibe. Mein Bruder iſt er
nicht. Koͤnnen Sie ſagen, das er Jhr Bruder
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/26>, abgerufen am 21.11.2024.
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