Vater hat weniger zu ihrem Besten ge- than/ als ich zu thun gesinnet bin.
Er ließ mir nicht Zeit, hierauf zu antwor- ten, und ging so geschwind von mir weg, als wenn er davon fliehen müßte, und froh wäre, daß er seine Person ausgespielt hätte.
Sehen Sie wohl, wie unbeweglich die Mei- nigen in ihrer Entschliessung sind. Habe ich nicht Ursache, mich vor dem künftigen Diensta- ge zu fürchten?
Meine Schwester kam gleich nachher herauf. Jch glaube, sie wollte auskundschaften, was der vorige Besuch für Würckungen bey mir gehabt hätte. Sie fand mich in Thränen.
Mit einer steiffen Mine sagte sie: Habtihr keinen Thomas a Kempis/ Schwester?
"Ja ich habe einen, Fräulein!"
Fräulein! Wie lange wollen wir noch fremde mit einander thun/ Clärchen?
"Keinen Augenblick länger, wenn ihr mir nur "erlauben wollt, euch Schwester! und meine liebe Arabelle zu nennen." Jch ergrif ihre Hand.
Nichts gethaltes/ Mädchen!
Jch zog meine Hand so geschwind zurück, als wenn mich eine Schlang gestochen hätte.
"Jch bitte um Vergebung. Jch mache mich "gemeiniglich dadurch verächtlich, daß ich an- "dern allzubald mit Freundlichkeit zuvorkom- "me."
Leute/ die die Mittelstrasse nicht hal-
ten
der Clariſſa.
Vater hat weniger zu ihrem Beſten ge- than/ als ich zu thun geſinnet bin.
Er ließ mir nicht Zeit, hierauf zu antwor- ten, und ging ſo geſchwind von mir weg, als wenn er davon fliehen muͤßte, und froh waͤre, daß er ſeine Perſon ausgeſpielt haͤtte.
Sehen Sie wohl, wie unbeweglich die Mei- nigen in ihrer Entſchlieſſung ſind. Habe ich nicht Urſache, mich vor dem kuͤnftigen Dienſta- ge zu fuͤrchten?
Meine Schweſter kam gleich nachher herauf. Jch glaube, ſie wollte auskundſchaften, was der vorige Beſuch fuͤr Wuͤrckungen bey mir gehabt haͤtte. Sie fand mich in Thraͤnen.
Mit einer ſteiffen Mine ſagte ſie: Habtihr keinen Thomas a Kempis/ Schweſter?
„Ja ich habe einen, Fraͤulein!„
Fraͤulein! Wie lange wollen wir noch fremde mit einander thun/ Claͤrchen?
„Keinen Augenblick laͤnger, wenn ihr mir nur „erlauben wollt, euch Schweſter! und meine liebe Arabelle zu nennen.„ Jch ergrif ihre Hand.
Nichts gethaltes/ Maͤdchen!
Jch zog meine Hand ſo geſchwind zuruͤck, als wenn mich eine Schlang geſtochen haͤtte.
„Jch bitte um Vergebung. Jch mache mich „gemeiniglich dadurch veraͤchtlich, daß ich an- „dern allzubald mit Freundlichkeit zuvorkom- „me.„
Leute/ die die Mittelſtraſſe nicht hal-
ten
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der Clariſſa.
Vater hat weniger zu ihrem Beſten ge-
than/ als ich zu thun geſinnet bin.
Er ließ mir nicht Zeit, hierauf zu antwor-
ten, und ging ſo geſchwind von mir weg, als
wenn er davon fliehen muͤßte, und froh waͤre,
daß er ſeine Perſon ausgeſpielt haͤtte.
Sehen Sie wohl, wie unbeweglich die Mei-
nigen in ihrer Entſchlieſſung ſind. Habe ich
nicht Urſache, mich vor dem kuͤnftigen Dienſta-
ge zu fuͤrchten?
Meine Schweſter kam gleich nachher herauf.
Jch glaube, ſie wollte auskundſchaften, was der
vorige Beſuch fuͤr Wuͤrckungen bey mir gehabt
haͤtte. Sie fand mich in Thraͤnen.
Mit einer ſteiffen Mine ſagte ſie: Habtihr
keinen Thomas a Kempis/ Schweſter?
„Ja ich habe einen, Fraͤulein!„
Fraͤulein! Wie lange wollen wir noch
fremde mit einander thun/ Claͤrchen?
„Keinen Augenblick laͤnger, wenn ihr mir nur
„erlauben wollt, euch Schweſter! und meine
liebe Arabelle zu nennen.„ Jch ergrif ihre
Hand.
Nichts gethaltes/ Maͤdchen!
Jch zog meine Hand ſo geſchwind zuruͤck, als
wenn mich eine Schlang geſtochen haͤtte.
„Jch bitte um Vergebung. Jch mache mich
„gemeiniglich dadurch veraͤchtlich, daß ich an-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/289>, abgerufen am 24.11.2024.
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