ne andere Ursache als Liebe und Ehrerbietung; und die Furcht und Ehrerbietung sey immer das sicherste Zeichen der Liebe. Einen dreisten und wilden Liebhaber müsse man nie dreister machen, noch ihm einige Hoffnung geben.
Jch antwortete: man müsse dem Tempera- ment etwas zu gute halten. Ein muthiger Geist würde immer muthig handeln, und in keinem Stücke niederträchtig seyn; hingegen würde ein kriechendes Gemüth sich über all kriechend bewei- sen, wo es einen Vortheil sehe, und trotzig thun, wenn es keine Absichten hätte. Es sey dieses eine Sache, die jetzt nicht mit mir ausgemacht werden könnte. Jch hätte schon genug davon gesaget. Die gantze Unterredung sey mir von denen aufgedrungen, welche Recht hätten, mir zu befehlen; allein sie gehe gäntzlich wider mei- ne Neigung vor sich, weil ich bisher nicht aus Vorsatz, sondern aus unüberwindlicher Abneigung Herrn Solmes ausgeschlagen hätte, daher ich zum voraus sehe, daß diese Unterredung keinen andern Nutzen haben würde, als den Meinigen einen neuen Vorwand zu verschaffen, daß sie noch härter mit mir umgehen könnten.
Sie gab mir aufs neue Vorurtheile und ein von Lovelace eingenommenes Hertz Schuld. Sie redete weitläuftig von der Pflicht eines Kindes, schrieb mir eine Menge guter Eigen- schafften zu, denen aber dieses mahl die Crone fehlte, nemlich ein folgsamer Sinn. Sie stelle- te mir den Gehorsam, dabey ich meine eigene
Ein-
Die Geſchichte
ne andere Urſache als Liebe und Ehrerbietung; und die Furcht und Ehrerbietung ſey immer das ſicherſte Zeichen der Liebe. Einen dreiſten und wilden Liebhaber muͤſſe man nie dreiſter machen, noch ihm einige Hoffnung geben.
Jch antwortete: man muͤſſe dem Tempera- ment etwas zu gute halten. Ein muthiger Geiſt wuͤrde immer muthig handeln, und in keinem Stuͤcke niedertraͤchtig ſeyn; hingegen wuͤrde ein kriechendes Gemuͤth ſich uͤber all kriechend bewei- ſen, wo es einen Vortheil ſehe, und trotzig thun, wenn es keine Abſichten haͤtte. Es ſey dieſes eine Sache, die jetzt nicht mit mir ausgemacht werden koͤnnte. Jch haͤtte ſchon genug davon geſaget. Die gantze Unterredung ſey mir von denen aufgedrungen, welche Recht haͤtten, mir zu befehlen; allein ſie gehe gaͤntzlich wider mei- ne Neigung vor ſich, weil ich bisher nicht aus Vorſatz, ſondern aus unuͤberwindlicher Abneigung Herrn Solmes ausgeſchlagen haͤtte, daher ich zum voraus ſehe, daß dieſe Unterredung keinen andern Nutzen haben wuͤrde, als den Meinigen einen neuen Vorwand zu verſchaffen, daß ſie noch haͤrter mit mir umgehen koͤnnten.
Sie gab mir aufs neue Vorurtheile und ein von Lovelace eingenommenes Hertz Schuld. Sie redete weitlaͤuftig von der Pflicht eines Kindes, ſchrieb mir eine Menge guter Eigen- ſchafften zu, denen aber dieſes mahl die Crone fehlte, nemlich ein folgſamer Sinn. Sie ſtelle- te mir den Gehorſam, dabey ich meine eigene
Ein-
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Die Geſchichte
ne andere Urſache als Liebe und Ehrerbietung;
und die Furcht und Ehrerbietung ſey immer das
ſicherſte Zeichen der Liebe. Einen dreiſten und
wilden Liebhaber muͤſſe man nie dreiſter machen,
noch ihm einige Hoffnung geben.
Jch antwortete: man muͤſſe dem Tempera-
ment etwas zu gute halten. Ein muthiger Geiſt
wuͤrde immer muthig handeln, und in keinem
Stuͤcke niedertraͤchtig ſeyn; hingegen wuͤrde ein
kriechendes Gemuͤth ſich uͤber all kriechend bewei-
ſen, wo es einen Vortheil ſehe, und trotzig thun,
wenn es keine Abſichten haͤtte. Es ſey dieſes
eine Sache, die jetzt nicht mit mir ausgemacht
werden koͤnnte. Jch haͤtte ſchon genug davon
geſaget. Die gantze Unterredung ſey mir von
denen aufgedrungen, welche Recht haͤtten, mir
zu befehlen; allein ſie gehe gaͤntzlich wider mei-
ne Neigung vor ſich, weil ich bisher nicht aus
Vorſatz, ſondern aus unuͤberwindlicher Abneigung
Herrn Solmes ausgeſchlagen haͤtte, daher ich
zum voraus ſehe, daß dieſe Unterredung keinen
andern Nutzen haben wuͤrde, als den Meinigen
einen neuen Vorwand zu verſchaffen, daß ſie
noch haͤrter mit mir umgehen koͤnnten.
Sie gab mir aufs neue Vorurtheile und ein
von Lovelace eingenommenes Hertz Schuld.
Sie redete weitlaͤuftig von der Pflicht eines
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/302>, abgerufen am 22.11.2024.
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