sich so fürchterliche Vorstellungen gemacht haben.
Jch antwortete: wenn man sich etwas vor- stellete, so hätte es eben die Wirckung, als wenn es lauter Wahrheit wäre, ob es gleich andere nur für Einbildung hielten. Jch hätte die gan- tze Nacht hindurch nicht eine Stunde geschlafen. Meine unverschämte Aufseherin wäre Schuld an meiner Bestürtzung, weil ich aus ihren Wor- ten hätte schliessen müssen, daß meine Mutter zu mir käme. Jch gestünde indessen, daß ich gar nicht im Stande wäre, eine gewisse Person zu sprechen, die ich nicht gern sprechen wollte.
Sie erwiederte! niemand könte aus uns klug werden. Herr Solmes sey die vergange- ne Nacht eben so unruhig gewesen als ich.
Allein, sagte ich, wem soll denn durch unsere Unterredung ein Gefalle geschehen?
Jch hoffe ihnen beyden/ wenn die er- ste Unruhe vorüber seyn wird. Ein fürch- terlicher Anfang hat oft ein vergnügtes Ende. Das weiß ich aus Erfahrung.
Nur Ein glückliches Ende, sagte ich, kan die- se Unterredung haben, wenn nemlich beyde Thei- le damit zufrieden sind, daß es die letzte Unter- redung seyn soll.
Sie stellete mir hierauf alles Unglück vor, das mich befallen würde, wenn ich mich nicht lencken liesse. Sie bat mich, ich möchte ihm doch we- nigstens so begegnen, wie es meiner Erziehung gemäß wäre. Seine Furcht vor mir hätte kei-
ne
T 4
der Clariſſa.
ſich ſo fuͤrchterliche Vorſtellungen gemacht haben.
Jch antwortete: wenn man ſich etwas vor- ſtellete, ſo haͤtte es eben die Wirckung, als wenn es lauter Wahrheit waͤre, ob es gleich andere nur fuͤr Einbildung hielten. Jch haͤtte die gan- tze Nacht hindurch nicht eine Stunde geſchlafen. Meine unverſchaͤmte Aufſeherin waͤre Schuld an meiner Beſtuͤrtzung, weil ich aus ihren Wor- ten haͤtte ſchlieſſen muͤſſen, daß meine Mutter zu mir kaͤme. Jch geſtuͤnde indeſſen, daß ich gar nicht im Stande waͤre, eine gewiſſe Perſon zu ſprechen, die ich nicht gern ſprechen wollte.
Sie erwiederte! niemand koͤnte aus uns klug werden. Herr Solmes ſey die vergange- ne Nacht eben ſo unruhig geweſen als ich.
Allein, ſagte ich, wem ſoll denn durch unſere Unterredung ein Gefalle geſchehen?
Jch hoffe ihnen beyden/ wenn die er- ſte Unruhe voruͤber ſeyn wird. Ein fuͤrch- terlicher Anfang hat oft ein vergnuͤgtes Ende. Das weiß ich aus Erfahrung.
Nur Ein gluͤckliches Ende, ſagte ich, kan die- ſe Unterredung haben, wenn nemlich beyde Thei- le damit zufrieden ſind, daß es die letzte Unter- redung ſeyn ſoll.
Sie ſtellete mir hierauf alles Ungluͤck vor, das mich befallen wuͤrde, wenn ich mich nicht lencken lieſſe. Sie bat mich, ich moͤchte ihm doch we- nigſtens ſo begegnen, wie es meiner Erziehung gemaͤß waͤre. Seine Furcht vor mir haͤtte kei-
ne
T 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0301"n="295"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">der Clariſſa</hi>.</hi></fw><lb/><hirendition="#fr">ſich ſo fuͤrchterliche Vorſtellungen gemacht<lb/>
haben.</hi></p><lb/><p>Jch antwortete: wenn man ſich etwas vor-<lb/>ſtellete, ſo haͤtte es eben die Wirckung, als wenn<lb/>
es lauter Wahrheit waͤre, ob es gleich andere<lb/>
nur fuͤr Einbildung hielten. Jch haͤtte die gan-<lb/>
tze Nacht hindurch nicht eine Stunde geſchlafen.<lb/>
Meine unverſchaͤmte Aufſeherin waͤre Schuld<lb/>
an meiner Beſtuͤrtzung, weil ich aus ihren Wor-<lb/>
ten haͤtte ſchlieſſen muͤſſen, daß meine Mutter<lb/>
zu mir kaͤme. Jch geſtuͤnde indeſſen, daß ich<lb/>
gar nicht im Stande waͤre, eine gewiſſe Perſon<lb/>
zu ſprechen, die ich nicht gern ſprechen wollte.</p><lb/><p>Sie erwiederte! <hirendition="#fr">niemand koͤnte aus uns<lb/>
klug werden. Herr Solmes ſey die vergange-<lb/>
ne Nacht eben ſo unruhig geweſen als ich.</hi></p><lb/><p>Allein, ſagte ich, wem ſoll denn durch unſere<lb/>
Unterredung ein Gefalle geſchehen?</p><lb/><p><hirendition="#fr">Jch hoffe ihnen beyden/ wenn die er-<lb/>ſte Unruhe voruͤber ſeyn wird. Ein fuͤrch-<lb/>
terlicher Anfang hat oft ein vergnuͤgtes<lb/>
Ende. Das weiß ich aus Erfahrung.</hi></p><lb/><p>Nur Ein gluͤckliches Ende, ſagte ich, kan die-<lb/>ſe Unterredung haben, wenn nemlich beyde Thei-<lb/>
le damit zufrieden ſind, daß es die letzte Unter-<lb/>
redung ſeyn ſoll.</p><lb/><p>Sie ſtellete mir hierauf alles Ungluͤck vor, das<lb/>
mich befallen wuͤrde, wenn ich mich nicht lencken<lb/>
lieſſe. Sie bat mich, ich moͤchte ihm doch we-<lb/>
nigſtens ſo begegnen, wie es meiner Erziehung<lb/>
gemaͤß waͤre. Seine Furcht vor mir haͤtte kei-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">T 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">ne</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[295/0301]
der Clariſſa.
ſich ſo fuͤrchterliche Vorſtellungen gemacht
haben.
Jch antwortete: wenn man ſich etwas vor-
ſtellete, ſo haͤtte es eben die Wirckung, als wenn
es lauter Wahrheit waͤre, ob es gleich andere
nur fuͤr Einbildung hielten. Jch haͤtte die gan-
tze Nacht hindurch nicht eine Stunde geſchlafen.
Meine unverſchaͤmte Aufſeherin waͤre Schuld
an meiner Beſtuͤrtzung, weil ich aus ihren Wor-
ten haͤtte ſchlieſſen muͤſſen, daß meine Mutter
zu mir kaͤme. Jch geſtuͤnde indeſſen, daß ich
gar nicht im Stande waͤre, eine gewiſſe Perſon
zu ſprechen, die ich nicht gern ſprechen wollte.
Sie erwiederte! niemand koͤnte aus uns
klug werden. Herr Solmes ſey die vergange-
ne Nacht eben ſo unruhig geweſen als ich.
Allein, ſagte ich, wem ſoll denn durch unſere
Unterredung ein Gefalle geſchehen?
Jch hoffe ihnen beyden/ wenn die er-
ſte Unruhe voruͤber ſeyn wird. Ein fuͤrch-
terlicher Anfang hat oft ein vergnuͤgtes
Ende. Das weiß ich aus Erfahrung.
Nur Ein gluͤckliches Ende, ſagte ich, kan die-
ſe Unterredung haben, wenn nemlich beyde Thei-
le damit zufrieden ſind, daß es die letzte Unter-
redung ſeyn ſoll.
Sie ſtellete mir hierauf alles Ungluͤck vor, das
mich befallen wuͤrde, wenn ich mich nicht lencken
lieſſe. Sie bat mich, ich moͤchte ihm doch we-
nigſtens ſo begegnen, wie es meiner Erziehung
gemaͤß waͤre. Seine Furcht vor mir haͤtte kei-
ne
T 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 295. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/301>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.