Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Geschichte
de schmecken können, ohne wegen des künftigen
allzubesorgt zu seyn.

Um 11 Uhr.

Meine Base Hervey hat mich besucht. E-
lisabeth
sagte mir mit der ihr gewöhnlichen lär-
menden Art: es würde ein Frauenzimmer, das
ich gewiß nicht erwartete, auf ein Frühstück zu
mir kommen. Jch meinte gewiß, es wäre mei-
ne Mutter; und dieser Gedancke setzte mich in
solche Unruhe, weil ich die Ursachen dieses Be-
suchs nicht errathen konnte, nachdem ich so lan-
ge ihrer Gegenwart hatte entbehren müssen, daß
meine Base meine Verwirrung bemerckte, nach-
dem wir kaum die ersten Worte, welche die Höf-
lichkeit erfoderte, mit einander geredet hatten.

Wie? Fräulein: sagte sie: sie scheinen
bestürtzt zu seyn. Jhr allzusorgfältige jun-
ge Kinder macht euch bisweilen ohne
Ursache allerhand Gedancken. Was fehlt
ihnen?
sagte sie, und ergriff meine Hand.
Mein Hertz/ warum zittern/ zittern/ zit-
tern sie so? Sie sind nicht im Stande/ je-
mand zu sprechen. Kommen sie/ meine
Liebe
(mit einem Kuß) fassen sie ein Hertz.
Jhre überflüßige Furcht vor der bevor-
stehenden Unterredung wird sie nach En-
digung dieser Unterredung überzeugen/
von was für Art ihr gantzer Widerwil-
le gegen eine gewisse Person ist. Sie wer-
den über sich selbst lachen müssen/ daß sie

sich

Die Geſchichte
de ſchmecken koͤnnen, ohne wegen des kuͤnftigen
allzubeſorgt zu ſeyn.

Um 11 Uhr.

Meine Baſe Hervey hat mich beſucht. E-
liſabeth
ſagte mir mit der ihr gewoͤhnlichen laͤr-
menden Art: es wuͤrde ein Frauenzimmer, das
ich gewiß nicht erwartete, auf ein Fruͤhſtuͤck zu
mir kommen. Jch meinte gewiß, es waͤre mei-
ne Mutter; und dieſer Gedancke ſetzte mich in
ſolche Unruhe, weil ich die Urſachen dieſes Be-
ſuchs nicht errathen konnte, nachdem ich ſo lan-
ge ihrer Gegenwart hatte entbehren muͤſſen, daß
meine Baſe meine Verwirrung bemerckte, nach-
dem wir kaum die erſten Worte, welche die Hoͤf-
lichkeit erfoderte, mit einander geredet hatten.

Wie? Fraͤulein: ſagte ſie: ſie ſcheinen
beſtuͤrtzt zu ſeyn. Jhr allzuſorgfaͤltige jun-
ge Kinder macht euch bisweilen ohne
Urſache allerhand Gedancken. Was fehlt
ihnen?
ſagte ſie, und ergriff meine Hand.
Mein Hertz/ warum zittern/ zittern/ zit-
tern ſie ſo? Sie ſind nicht im Stande/ je-
mand zu ſprechen. Kommen ſie/ meine
Liebe
(mit einem Kuß) faſſen ſie ein Hertz.
Jhre uͤberfluͤßige Furcht vor der bevor-
ſtehenden Unterredung wird ſie nach En-
digung dieſer Unterredung uͤberzeugen/
von was fuͤr Art ihr gantzer Widerwil-
le gegen eine gewiſſe Perſon iſt. Sie wer-
den uͤber ſich ſelbſt lachen muͤſſen/ daß ſie

ſich
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0300" n="294"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi></hi></fw><lb/>
de &#x017F;chmecken ko&#x0364;nnen, ohne wegen des ku&#x0364;nftigen<lb/>
allzube&#x017F;orgt zu &#x017F;eyn.</p><lb/>
          <p> <hi rendition="#et">Um 11 Uhr.</hi> </p><lb/>
          <p>Meine Ba&#x017F;e <hi rendition="#fr">Hervey</hi> hat mich be&#x017F;ucht. <hi rendition="#fr">E-<lb/>
li&#x017F;abeth</hi> &#x017F;agte mir mit der ihr gewo&#x0364;hnlichen la&#x0364;r-<lb/>
menden Art: es wu&#x0364;rde ein Frauenzimmer, das<lb/>
ich gewiß nicht erwartete, auf ein Fru&#x0364;h&#x017F;tu&#x0364;ck zu<lb/>
mir kommen. Jch meinte gewiß, es wa&#x0364;re mei-<lb/>
ne Mutter; und die&#x017F;er Gedancke &#x017F;etzte mich in<lb/>
&#x017F;olche Unruhe, weil ich die Ur&#x017F;achen die&#x017F;es Be-<lb/>
&#x017F;uchs nicht errathen konnte, nachdem ich &#x017F;o lan-<lb/>
ge ihrer Gegenwart hatte entbehren mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, daß<lb/>
meine Ba&#x017F;e meine Verwirrung bemerckte, nach-<lb/>
dem wir kaum die er&#x017F;ten Worte, welche die Ho&#x0364;f-<lb/>
lichkeit erfoderte, mit einander geredet hatten.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#fr">Wie? Fra&#x0364;ulein:</hi> &#x017F;agte &#x017F;ie: <hi rendition="#fr">&#x017F;ie &#x017F;cheinen<lb/>
be&#x017F;tu&#x0364;rtzt zu &#x017F;eyn. Jhr allzu&#x017F;orgfa&#x0364;ltige jun-<lb/>
ge Kinder macht euch bisweilen ohne<lb/>
Ur&#x017F;ache allerhand Gedancken. Was fehlt<lb/>
ihnen?</hi> &#x017F;agte &#x017F;ie, und ergriff meine Hand.<lb/><hi rendition="#fr">Mein Hertz/ warum zittern/ zittern/ zit-<lb/>
tern &#x017F;ie &#x017F;o? Sie &#x017F;ind nicht im Stande/ je-<lb/>
mand zu &#x017F;prechen. Kommen &#x017F;ie/ meine<lb/>
Liebe</hi> (mit einem Kuß) <hi rendition="#fr">fa&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie ein Hertz.<lb/>
Jhre u&#x0364;berflu&#x0364;ßige Furcht vor der bevor-<lb/>
&#x017F;tehenden Unterredung wird &#x017F;ie nach En-<lb/>
digung die&#x017F;er Unterredung u&#x0364;berzeugen/<lb/>
von was fu&#x0364;r Art ihr gantzer Widerwil-<lb/>
le gegen eine gewi&#x017F;&#x017F;e Per&#x017F;on i&#x017F;t. Sie wer-<lb/>
den u&#x0364;ber &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t lachen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en/ daß &#x017F;ie</hi><lb/>
<fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#fr">&#x017F;ich</hi></fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[294/0300] Die Geſchichte de ſchmecken koͤnnen, ohne wegen des kuͤnftigen allzubeſorgt zu ſeyn. Um 11 Uhr. Meine Baſe Hervey hat mich beſucht. E- liſabeth ſagte mir mit der ihr gewoͤhnlichen laͤr- menden Art: es wuͤrde ein Frauenzimmer, das ich gewiß nicht erwartete, auf ein Fruͤhſtuͤck zu mir kommen. Jch meinte gewiß, es waͤre mei- ne Mutter; und dieſer Gedancke ſetzte mich in ſolche Unruhe, weil ich die Urſachen dieſes Be- ſuchs nicht errathen konnte, nachdem ich ſo lan- ge ihrer Gegenwart hatte entbehren muͤſſen, daß meine Baſe meine Verwirrung bemerckte, nach- dem wir kaum die erſten Worte, welche die Hoͤf- lichkeit erfoderte, mit einander geredet hatten. Wie? Fraͤulein: ſagte ſie: ſie ſcheinen beſtuͤrtzt zu ſeyn. Jhr allzuſorgfaͤltige jun- ge Kinder macht euch bisweilen ohne Urſache allerhand Gedancken. Was fehlt ihnen? ſagte ſie, und ergriff meine Hand. Mein Hertz/ warum zittern/ zittern/ zit- tern ſie ſo? Sie ſind nicht im Stande/ je- mand zu ſprechen. Kommen ſie/ meine Liebe (mit einem Kuß) faſſen ſie ein Hertz. Jhre uͤberfluͤßige Furcht vor der bevor- ſtehenden Unterredung wird ſie nach En- digung dieſer Unterredung uͤberzeugen/ von was fuͤr Art ihr gantzer Widerwil- le gegen eine gewiſſe Perſon iſt. Sie wer- den uͤber ſich ſelbſt lachen muͤſſen/ daß ſie ſich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/300
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/300>, abgerufen am 22.11.2024.