Fechtel, denn ich war feuerroth. Jch suchte mich zu fassen und zu überwinden, so gut ich konn- te, und trunck das Glas aus, das sie mir brach- te. Weil ich keine Hoffnung hatte, mich noch besser zu fassen, so schickte ich sie hinunter, und folgte ihr gleich nach: ich zitterte aber so, daß ich glaube, ich hätte nicht hinunter gehen können, wenn ich nicht so geeilet hätte. Was für ein elendes schwaches Werckzeug ist unser Leib, wenn das Gemürh beunruhiget ist?
Mein Saal (wie ich ihn zu nennen pflegte) hat doch zwey Thüren, als ich zu der einen hin- ein trat, so flogen meine Verwanten zu der an- dern hinaus. Jch konnte noch den Rock mei- ner Schwester sehen, welche im Weggehen die letzte war. Mein Onckle Anton ging auch mit ihnen hinaus, allein er blieb nicht lange draus- sen, wie ich ihnen hernach erzählen werde. Sie blieben zusammen in dem nächsten Saal, der nur durch eine Bretter-Wand von meinem ab- gesondert ist. Es war sonst nur ein Saal: als wir Mädchens aber groß wurden, so ward die Abtheilung gemacht, damit eine jede ihren Besuch besonders annehmen könnte.
So bald ich herein trat, nahete sich mir Herr Solmes/ und beugete sich beynahe bis auf die Erde. Man sahe die Verwirrung in allen sei- nen Gesichts-Zügen. Nachdem er sechs bis sie- ben mahl nichts als, Fräulein/ Fräulein her- aus gewürget hatte, so bedaurte er/ es that ihm sehr leid/ er war sehr unglücklich;
und
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der Clariſſa.
Fechtel, denn ich war feuerroth. Jch ſuchte mich zu faſſen und zu uͤberwinden, ſo gut ich konn- te, und trunck das Glas aus, das ſie mir brach- te. Weil ich keine Hoffnung hatte, mich noch beſſer zu faſſen, ſo ſchickte ich ſie hinunter, und folgte ihr gleich nach: ich zitterte aber ſo, daß ich glaube, ich haͤtte nicht hinunter gehen koͤnnen, wenn ich nicht ſo geeilet haͤtte. Was fuͤr ein elendes ſchwaches Werckzeug iſt unſer Leib, wenn das Gemuͤrh beunruhiget iſt?
Mein Saal (wie ich ihn zu nennen pflegte) hat doch zwey Thuͤren, als ich zu der einen hin- ein trat, ſo flogen meine Verwanten zu der an- dern hinaus. Jch konnte noch den Rock mei- ner Schweſter ſehen, welche im Weggehen die letzte war. Mein Onckle Anton ging auch mit ihnen hinaus, allein er blieb nicht lange drauſ- ſen, wie ich ihnen hernach erzaͤhlen werde. Sie blieben zuſammen in dem naͤchſten Saal, der nur durch eine Bretter-Wand von meinem ab- geſondert iſt. Es war ſonſt nur ein Saal: als wir Maͤdchens aber groß wurden, ſo ward die Abtheilung gemacht, damit eine jede ihren Beſuch beſonders annehmen koͤnnte.
So bald ich herein trat, nahete ſich mir Herr Solmes/ und beugete ſich beynahe bis auf die Erde. Man ſahe die Verwirrung in allen ſei- nen Geſichts-Zuͤgen. Nachdem er ſechs bis ſie- ben mahl nichts als, Fraͤulein/ Fraͤulein her- aus gewuͤrget hatte, ſo bedaurte er/ es that ihm ſehr leid/ er war ſehr ungluͤcklich;
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der Clariſſa.
Fechtel, denn ich war feuerroth. Jch ſuchte
mich zu faſſen und zu uͤberwinden, ſo gut ich konn-
te, und trunck das Glas aus, das ſie mir brach-
te. Weil ich keine Hoffnung hatte, mich noch
beſſer zu faſſen, ſo ſchickte ich ſie hinunter, und
folgte ihr gleich nach: ich zitterte aber ſo, daß
ich glaube, ich haͤtte nicht hinunter gehen koͤnnen,
wenn ich nicht ſo geeilet haͤtte. Was fuͤr ein
elendes ſchwaches Werckzeug iſt unſer Leib, wenn
das Gemuͤrh beunruhiget iſt?
Mein Saal (wie ich ihn zu nennen pflegte)
hat doch zwey Thuͤren, als ich zu der einen hin-
ein trat, ſo flogen meine Verwanten zu der an-
dern hinaus. Jch konnte noch den Rock mei-
ner Schweſter ſehen, welche im Weggehen die
letzte war. Mein Onckle Anton ging auch mit
ihnen hinaus, allein er blieb nicht lange drauſ-
ſen, wie ich ihnen hernach erzaͤhlen werde. Sie
blieben zuſammen in dem naͤchſten Saal, der
nur durch eine Bretter-Wand von meinem ab-
geſondert iſt. Es war ſonſt nur ein Saal:
als wir Maͤdchens aber groß wurden, ſo ward
die Abtheilung gemacht, damit eine jede ihren
Beſuch beſonders annehmen koͤnnte.
So bald ich herein trat, nahete ſich mir Herr
Solmes/ und beugete ſich beynahe bis auf die
Erde. Man ſahe die Verwirrung in allen ſei-
nen Geſichts-Zuͤgen. Nachdem er ſechs bis ſie-
ben mahl nichts als, Fraͤulein/ Fraͤulein her-
aus gewuͤrget hatte, ſo bedaurte er/ es that
ihm ſehr leid/ er war ſehr ungluͤcklich;
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/313>, abgerufen am 24.11.2024.
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