Wie? Was ist die Sache? Jch dächte, hier im Hause hätte niemand Ursache zu weinen, als ich.
Ja, (sagte sie) ich habe auch geweint, weil ich sie lieb habe.
Jch küssete sie: so haben sie um meinetwillen Thränen vergossen, meine liebe Fräulein Base? Wir haben uns immer geliebet. Sagen sie doch aber, was hat man mit mir vor, deswegen sie ihre Liebe gegen mich durch Thränen bezeugen müssen?
Sie müssen sich nichts davon mercken lassen, was ich ihnen sagen will. Meine Mutter hat mit mir über sie geweint, allein sie unterstand sich nicht, sich vor jemand sehen zu lassen: sie sagte nur zu mir: Dorthgen ich habe noch nie so viel überlegte Bosheit angetroffen/ als bey deinem Vetter/ Jacob Harlowe. Sie wollen die Crone ihrer Familie ver- derben.
Wie denn das? Fräulein Dorthgen. Er- klärte sie sich nicht näher, wie sie es machen woll- ten?
Ja! Sie sagte, Herr Solmes hätte von sei- ner Bewerbung abstehen wollen, denn er hätte gesagt, sie hasseten ihn, und es wäre keine Hoff- nung übrig, sie zu gewinnen. Jhre Mutter war auch damit zufrieden, und meinte, man soll- te sie bey ihrem Versprechen fassen, Herrn Lo- velace zu entsagen, und unverheyrathet zu blei- ben. Meine Mutter war eben der Meinung:
denn
Die Geſchichte
Wie? Was iſt die Sache? Jch daͤchte, hier im Hauſe haͤtte niemand Urſache zu weinen, als ich.
Ja, (ſagte ſie) ich habe auch geweint, weil ich ſie lieb habe.
Jch kuͤſſete ſie: ſo haben ſie um meinetwillen Thraͤnen vergoſſen, meine liebe Fraͤulein Baſe? Wir haben uns immer geliebet. Sagen ſie doch aber, was hat man mit mir vor, deswegen ſie ihre Liebe gegen mich durch Thraͤnen bezeugen muͤſſen?
Sie muͤſſen ſich nichts davon mercken laſſen, was ich ihnen ſagen will. Meine Mutter hat mit mir uͤber ſie geweint, allein ſie unterſtand ſich nicht, ſich vor jemand ſehen zu laſſen: ſie ſagte nur zu mir: Dorthgen ich habe noch nie ſo viel uͤberlegte Bosheit angetroffen/ als bey deinem Vetter/ Jacob Harlowe. Sie wollen die Crone ihrer Familie ver- derben.
Wie denn das? Fraͤulein Dorthgen. Er- klaͤrte ſie ſich nicht naͤher, wie ſie es machen woll- ten?
Ja! Sie ſagte, Herr Solmes haͤtte von ſei- ner Bewerbung abſtehen wollen, denn er haͤtte geſagt, ſie haſſeten ihn, und es waͤre keine Hoff- nung uͤbrig, ſie zu gewinnen. Jhre Mutter war auch damit zufrieden, und meinte, man ſoll- te ſie bey ihrem Verſprechen faſſen, Herrn Lo- velace zu entſagen, und unverheyrathet zu blei- ben. Meine Mutter war eben der Meinung:
denn
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Die Geſchichte
Wie? Was iſt die Sache? Jch daͤchte, hier
im Hauſe haͤtte niemand Urſache zu weinen, als
ich.
Ja, (ſagte ſie) ich habe auch geweint, weil
ich ſie lieb habe.
Jch kuͤſſete ſie: ſo haben ſie um meinetwillen
Thraͤnen vergoſſen, meine liebe Fraͤulein Baſe?
Wir haben uns immer geliebet. Sagen ſie
doch aber, was hat man mit mir vor, deswegen
ſie ihre Liebe gegen mich durch Thraͤnen bezeugen
muͤſſen?
Sie muͤſſen ſich nichts davon mercken laſſen,
was ich ihnen ſagen will. Meine Mutter hat
mit mir uͤber ſie geweint, allein ſie unterſtand
ſich nicht, ſich vor jemand ſehen zu laſſen: ſie
ſagte nur zu mir: Dorthgen ich habe noch
nie ſo viel uͤberlegte Bosheit angetroffen/
als bey deinem Vetter/ Jacob Harlowe.
Sie wollen die Crone ihrer Familie ver-
derben.
Wie denn das? Fraͤulein Dorthgen. Er-
klaͤrte ſie ſich nicht naͤher, wie ſie es machen woll-
ten?
Ja! Sie ſagte, Herr Solmes haͤtte von ſei-
ner Bewerbung abſtehen wollen, denn er haͤtte
geſagt, ſie haſſeten ihn, und es waͤre keine Hoff-
nung uͤbrig, ſie zu gewinnen. Jhre Mutter
war auch damit zufrieden, und meinte, man ſoll-
te ſie bey ihrem Verſprechen faſſen, Herrn Lo-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/332>, abgerufen am 24.11.2024.
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