cken anfangen, wenn sich jemand so viel Mühe giebt, ihn anzuklagen, der gewiß nicht im Sin- ne hat, seine Besserung dadurch zu befördern, oder jemanden dadurch zu nutzen, als sich selbst, wenn ich anders so hochmüthig seyn darf, mich dieses Ausdrucks zu bedienen.
Jch sehe (sagte mein Onckle) sie sind voller vorgefaßten Meinungen, voll von verliebten Vor- urtheilen für eine Person, die gar keinen Ansatz zur Tugend hat.
Meine Base sagte, sie stärcken uns in unserm Argwohn nur allzusehr! Es ist zu verwundern, daß ein tugendhaftes und ehrliebendes Frauen- zimmer eine Person so hoch schätzen kan, die ge- rade das Widerspiel von ihr ist.
Jch bitte sie, schliessen sie nicht allzugeschwind zu meinem Nachtheil. Jch bin weit davon ent- fernt, Herr Lovelace für denjenigen zu halten, der er seyn solte. Allein wessen guter Nahme würde ungekränckt bleiben, wenn man sich um alle seine Haus-Umstände bekümmern wollte, und wenn Leute, die ein Vorurtbeil gegen ihn haben, alles sein Thun und Lassen ausspüren und untersuchen wollten. Jch liebe die Tugend an Mannspersonen eben so sehr, als an Frauenzim- mer: ich halte sie bey einem Geschlecht so hoch, und so unentbehrlich, als bey dem andern. Wenn ich mir selbst gelassen handeln dürfte, so würde ich einen tugendhaften Mann selbst einem laster- haften Könige vorziehen.
War-
Die Geſchichte
cken anfangen, wenn ſich jemand ſo viel Muͤhe giebt, ihn anzuklagen, der gewiß nicht im Sin- ne hat, ſeine Beſſerung dadurch zu befoͤrdern, oder jemanden dadurch zu nutzen, als ſich ſelbſt, wenn ich anders ſo hochmuͤthig ſeyn darf, mich dieſes Ausdrucks zu bedienen.
Jch ſehe (ſagte mein Onckle) ſie ſind voller vorgefaßten Meinungen, voll von verliebten Vor- urtheilen fuͤr eine Perſon, die gar keinen Anſatz zur Tugend hat.
Meine Baſe ſagte, ſie ſtaͤrcken uns in unſerm Argwohn nur allzuſehr! Es iſt zu verwundern, daß ein tugendhaftes und ehrliebendes Frauen- zimmer eine Perſon ſo hoch ſchaͤtzen kan, die ge- rade das Widerſpiel von ihr iſt.
Jch bitte ſie, ſchlieſſen ſie nicht allzugeſchwind zu meinem Nachtheil. Jch bin weit davon ent- fernt, Herr Lovelace fuͤr denjenigen zu halten, der er ſeyn ſolte. Allein weſſen guter Nahme wuͤrde ungekraͤnckt bleiben, wenn man ſich um alle ſeine Haus-Umſtaͤnde bekuͤmmern wollte, und wenn Leute, die ein Vorurtbeil gegen ihn haben, alles ſein Thun und Laſſen ausſpuͤren und unterſuchen wollten. Jch liebe die Tugend an Mannsperſonen eben ſo ſehr, als an Frauenzim- mer: ich halte ſie bey einem Geſchlecht ſo hoch, und ſo unentbehrlich, als bey dem andern. Wenn ich mir ſelbſt gelaſſen handeln duͤrfte, ſo wuͤrde ich einen tugendhaften Mann ſelbſt einem laſter- haften Koͤnige vorziehen.
War-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0354"n="348"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">Die Geſchichte</hi></hi></fw><lb/>
cken anfangen, wenn ſich jemand ſo viel Muͤhe<lb/>
giebt, ihn anzuklagen, der gewiß nicht im Sin-<lb/>
ne hat, ſeine Beſſerung dadurch zu befoͤrdern,<lb/>
oder jemanden dadurch zu nutzen, als ſich ſelbſt,<lb/>
wenn ich anders ſo hochmuͤthig ſeyn darf, mich<lb/>
dieſes Ausdrucks zu bedienen.</p><lb/><p>Jch ſehe (ſagte mein Onckle) ſie ſind voller<lb/>
vorgefaßten Meinungen, voll von verliebten Vor-<lb/>
urtheilen fuͤr eine Perſon, die gar keinen Anſatz<lb/>
zur Tugend hat.</p><lb/><p>Meine Baſe ſagte, ſie ſtaͤrcken uns in unſerm<lb/>
Argwohn nur allzuſehr! Es iſt zu verwundern,<lb/>
daß ein tugendhaftes und ehrliebendes Frauen-<lb/>
zimmer eine Perſon ſo hoch ſchaͤtzen kan, die ge-<lb/>
rade das Widerſpiel von ihr iſt.</p><lb/><p>Jch bitte ſie, ſchlieſſen ſie nicht allzugeſchwind<lb/>
zu meinem Nachtheil. Jch bin weit davon ent-<lb/>
fernt, Herr <hirendition="#fr">Lovelace</hi> fuͤr denjenigen zu halten,<lb/>
der er ſeyn ſolte. Allein weſſen guter Nahme<lb/>
wuͤrde ungekraͤnckt bleiben, wenn man ſich um<lb/>
alle ſeine Haus-Umſtaͤnde bekuͤmmern wollte,<lb/>
und wenn Leute, die ein Vorurtbeil gegen ihn<lb/>
haben, alles ſein Thun und Laſſen ausſpuͤren und<lb/>
unterſuchen wollten. Jch liebe die Tugend an<lb/>
Mannsperſonen eben ſo ſehr, als an Frauenzim-<lb/>
mer: ich halte ſie bey einem Geſchlecht ſo hoch,<lb/>
und ſo unentbehrlich, als bey dem andern. Wenn<lb/>
ich mir ſelbſt gelaſſen handeln duͤrfte, ſo wuͤrde<lb/>
ich einen tugendhaften Mann ſelbſt einem laſter-<lb/>
haften Koͤnige vorziehen.</p><lb/><fwplace="bottom"type="catch">War-</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[348/0354]
Die Geſchichte
cken anfangen, wenn ſich jemand ſo viel Muͤhe
giebt, ihn anzuklagen, der gewiß nicht im Sin-
ne hat, ſeine Beſſerung dadurch zu befoͤrdern,
oder jemanden dadurch zu nutzen, als ſich ſelbſt,
wenn ich anders ſo hochmuͤthig ſeyn darf, mich
dieſes Ausdrucks zu bedienen.
Jch ſehe (ſagte mein Onckle) ſie ſind voller
vorgefaßten Meinungen, voll von verliebten Vor-
urtheilen fuͤr eine Perſon, die gar keinen Anſatz
zur Tugend hat.
Meine Baſe ſagte, ſie ſtaͤrcken uns in unſerm
Argwohn nur allzuſehr! Es iſt zu verwundern,
daß ein tugendhaftes und ehrliebendes Frauen-
zimmer eine Perſon ſo hoch ſchaͤtzen kan, die ge-
rade das Widerſpiel von ihr iſt.
Jch bitte ſie, ſchlieſſen ſie nicht allzugeſchwind
zu meinem Nachtheil. Jch bin weit davon ent-
fernt, Herr Lovelace fuͤr denjenigen zu halten,
der er ſeyn ſolte. Allein weſſen guter Nahme
wuͤrde ungekraͤnckt bleiben, wenn man ſich um
alle ſeine Haus-Umſtaͤnde bekuͤmmern wollte,
und wenn Leute, die ein Vorurtbeil gegen ihn
haben, alles ſein Thun und Laſſen ausſpuͤren und
unterſuchen wollten. Jch liebe die Tugend an
Mannsperſonen eben ſo ſehr, als an Frauenzim-
mer: ich halte ſie bey einem Geſchlecht ſo hoch,
und ſo unentbehrlich, als bey dem andern. Wenn
ich mir ſelbſt gelaſſen handeln duͤrfte, ſo wuͤrde
ich einen tugendhaften Mann ſelbſt einem laſter-
haften Koͤnige vorziehen.
War-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/354>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.