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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

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der Clarissa.

Warum aber? - - fing mein Onckle an.
Jch fiel ihm in das Wort! ich unterstehe mich
zu behaupten, daß manche, die nicht allen Tadel
verdienen, doch auch nicht viel lobenswürdiges an
sich haben. Jch glaube, daß Herr Solmes auch
seine Fehler haben mag. Von seinen Tugen-
den habe ich noch nie ein Wort gehört; aber
wohl von einigen Untugenden. Vergeben sie
mir dieses, Herr Solmes: ich rede es ihnen
nicht hinter dem Rücken nach. Der Spruch:
wer ohne Sünde ist/ der werfe den ersten
Stein auf sie:
scheint eine Lehre zu enthalten,
die ihnen sehr nützlich wäre.

(Er sahe stilleschweigend vor sich nieder.)

Es kan seyn, daß Herr Lovelace Fehler an
sich hat, die sie nicht haben: und vielleicht haben
sie einige, die er nicht hat. Jch will weder ihn
vertheidigen, noch sie anklagen. Niemand hat
allein eine gute, oder allein eine schlimme Sei-
te. Man sagt z. E. daß Herr Lovelace unver-
söhnlich seyn und die Meinigen hassen soll: das
kan gewiß keine Werthachtung gegen ihn bey
mir erwecken. Allein ich muß bekennen, daß
die Meinigen eben so feindselig gegen ihn gesin-
net sind. Herr Solmes hat auch Leute, denen
er feind ist: denen er gewiß sehr feind ist, und
das sind seine eigene Anverwanten. Das ist
des andern Fehler nicht; der steht mit seinen
Verwanten wohl. Er kan vielleicht andere eben
so schlimme Fehler an sich haben: noch schlim-
mer können sie meiner Meinung nach nicht sehn;

denn
der Clariſſa.

Warum aber? ‒ ‒ fing mein Onckle an.
Jch fiel ihm in das Wort! ich unterſtehe mich
zu behaupten, daß manche, die nicht allen Tadel
verdienen, doch auch nicht viel lobenswuͤrdiges an
ſich haben. Jch glaube, daß Herr Solmes auch
ſeine Fehler haben mag. Von ſeinen Tugen-
den habe ich noch nie ein Wort gehoͤrt; aber
wohl von einigen Untugenden. Vergeben ſie
mir dieſes, Herr Solmes: ich rede es ihnen
nicht hinter dem Ruͤcken nach. Der Spruch:
wer ohne Suͤnde iſt/ der werfe den erſten
Stein auf ſie:
ſcheint eine Lehre zu enthalten,
die ihnen ſehr nuͤtzlich waͤre.

(Er ſahe ſtilleſchweigend vor ſich nieder.)

Es kan ſeyn, daß Herr Lovelace Fehler an
ſich hat, die ſie nicht haben: und vielleicht haben
ſie einige, die er nicht hat. Jch will weder ihn
vertheidigen, noch ſie anklagen. Niemand hat
allein eine gute, oder allein eine ſchlimme Sei-
te. Man ſagt z. E. daß Herr Lovelace unver-
ſoͤhnlich ſeyn und die Meinigen haſſen ſoll: das
kan gewiß keine Werthachtung gegen ihn bey
mir erwecken. Allein ich muß bekennen, daß
die Meinigen eben ſo feindſelig gegen ihn geſin-
net ſind. Herr Solmes hat auch Leute, denen
er feind iſt: denen er gewiß ſehr feind iſt, und
das ſind ſeine eigene Anverwanten. Das iſt
des andern Fehler nicht; der ſteht mit ſeinen
Verwanten wohl. Er kan vielleicht andere eben
ſo ſchlimme Fehler an ſich haben: noch ſchlim-
mer koͤnnen ſie meiner Meinung nach nicht ſehn;

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[349/0355] der Clariſſa. Warum aber? ‒ ‒ fing mein Onckle an. Jch fiel ihm in das Wort! ich unterſtehe mich zu behaupten, daß manche, die nicht allen Tadel verdienen, doch auch nicht viel lobenswuͤrdiges an ſich haben. Jch glaube, daß Herr Solmes auch ſeine Fehler haben mag. Von ſeinen Tugen- den habe ich noch nie ein Wort gehoͤrt; aber wohl von einigen Untugenden. Vergeben ſie mir dieſes, Herr Solmes: ich rede es ihnen nicht hinter dem Ruͤcken nach. Der Spruch: wer ohne Suͤnde iſt/ der werfe den erſten Stein auf ſie: ſcheint eine Lehre zu enthalten, die ihnen ſehr nuͤtzlich waͤre. (Er ſahe ſtilleſchweigend vor ſich nieder.) Es kan ſeyn, daß Herr Lovelace Fehler an ſich hat, die ſie nicht haben: und vielleicht haben ſie einige, die er nicht hat. Jch will weder ihn vertheidigen, noch ſie anklagen. Niemand hat allein eine gute, oder allein eine ſchlimme Sei- te. Man ſagt z. E. daß Herr Lovelace unver- ſoͤhnlich ſeyn und die Meinigen haſſen ſoll: das kan gewiß keine Werthachtung gegen ihn bey mir erwecken. Allein ich muß bekennen, daß die Meinigen eben ſo feindſelig gegen ihn geſin- net ſind. Herr Solmes hat auch Leute, denen er feind iſt: denen er gewiß ſehr feind iſt, und das ſind ſeine eigene Anverwanten. Das iſt des andern Fehler nicht; der ſteht mit ſeinen Verwanten wohl. Er kan vielleicht andere eben ſo ſchlimme Fehler an ſich haben: noch ſchlim- mer koͤnnen ſie meiner Meinung nach nicht ſehn; denn

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/355>, abgerufen am 22.11.2024.