Elisabeth fuhr fort zu reden, und mir zu erzählen: meine Mutter sey jetzt eben so sehr ge- gen mich aufgebracht, als irgend ein anderer. Mein Urtheil sey schon gesprochen. Durch mei- ne Hefftigkeit hätte ich alle abgeschreckt, ein Wort für mich zu reden. Herr Solmes hätte sich auf die Lippen gebissen, und etwas heraus ge- murmelt: er schiene (nach ihrer Redens-Art) mehr im Kopf gehabt zu haben, als heraus ge- wollt hätte.
Dem ohngeachtet gab sie mir zu verstehen, daß dieses harte Hertz ein Vergnügen darin fän- de, mich zu sehen, wenn es gleich wider meinen Willen wäre: und daß er verlangte mich aber- mahls zu sehen. Muß das nicht ein Wilder, ein Unmensch seyn?
Mein Onckle Harlowe hätte gesagt, er woll- te sich meiner nicht mehr annehmen. Er hätte Mitleiden mit Herr Solmes: er hoffe aber, daß sich dieser künftig des vergangenen nicht zu meinem Nachtheil erinnern möchte. Mein Onckle Anton hingegen hätte gemeint: ich müste bil- lig dafür büssen, so wohl um Herrn Solmes als um ihrer selbst willen. Sie, die Elisabeth/ sagte, sie sey eben der Meinung, nicht anders, als wenn sie mit zu der Familie gehörte.
Weil ich kein anderes Mittel habe, das zu er- fahren, was unten geredet und beschlossen wird, so habe ich bisweilen mit ihrer Grobheit mehr Geduld, als ich sonst haben würde. Sie scheint
um
A a 4
der Clariſſa.
Eliſabeth fuhr fort zu reden, und mir zu erzaͤhlen: meine Mutter ſey jetzt eben ſo ſehr ge- gen mich aufgebracht, als irgend ein anderer. Mein Urtheil ſey ſchon geſprochen. Durch mei- ne Hefftigkeit haͤtte ich alle abgeſchreckt, ein Wort fuͤr mich zu reden. Herr Solmes haͤtte ſich auf die Lippen gebiſſen, und etwas heraus ge- murmelt: er ſchiene (nach ihrer Redens-Art) mehr im Kopf gehabt zu haben, als heraus ge- wollt haͤtte.
Dem ohngeachtet gab ſie mir zu verſtehen, daß dieſes harte Hertz ein Vergnuͤgen darin faͤn- de, mich zu ſehen, wenn es gleich wider meinen Willen waͤre: und daß er verlangte mich aber- mahls zu ſehen. Muß das nicht ein Wilder, ein Unmenſch ſeyn?
Mein Onckle Harlowe haͤtte geſagt, er woll- te ſich meiner nicht mehr annehmen. Er haͤtte Mitleiden mit Herr Solmes: er hoffe aber, daß ſich dieſer kuͤnftig des vergangenen nicht zu meinem Nachtheil erinnern moͤchte. Mein Onckle Anton hingegen haͤtte gemeint: ich muͤſte bil- lig dafuͤr buͤſſen, ſo wohl um Herrn Solmes als um ihrer ſelbſt willen. Sie, die Eliſabeth/ ſagte, ſie ſey eben der Meinung, nicht anders, als wenn ſie mit zu der Familie gehoͤrte.
Weil ich kein anderes Mittel habe, das zu er- fahren, was unten geredet und beſchloſſen wird, ſo habe ich bisweilen mit ihrer Grobheit mehr Geduld, als ich ſonſt haben wuͤrde. Sie ſcheint
um
A a 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0381"n="375"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">der Clariſſa</hi>.</hi></fw><lb/><p><hirendition="#fr">Eliſabeth</hi> fuhr fort zu reden, und mir zu<lb/>
erzaͤhlen: meine Mutter ſey jetzt eben ſo ſehr ge-<lb/>
gen mich aufgebracht, als irgend ein anderer.<lb/>
Mein Urtheil ſey ſchon geſprochen. Durch mei-<lb/>
ne Hefftigkeit haͤtte ich alle abgeſchreckt, ein Wort<lb/>
fuͤr mich zu reden. Herr <hirendition="#fr">Solmes</hi> haͤtte ſich<lb/>
auf die Lippen gebiſſen, und etwas heraus ge-<lb/>
murmelt: er ſchiene (nach ihrer Redens-Art)<lb/>
mehr im Kopf gehabt zu haben, als heraus ge-<lb/>
wollt haͤtte.</p><lb/><p>Dem ohngeachtet gab ſie mir zu verſtehen,<lb/>
daß dieſes harte Hertz ein Vergnuͤgen darin faͤn-<lb/>
de, mich zu ſehen, wenn es gleich wider meinen<lb/>
Willen waͤre: und daß er verlangte mich aber-<lb/>
mahls zu ſehen. Muß das nicht ein Wilder,<lb/>
ein Unmenſch ſeyn?</p><lb/><p>Mein Onckle <hirendition="#fr">Harlowe</hi> haͤtte geſagt, er woll-<lb/>
te ſich meiner nicht mehr annehmen. Er haͤtte<lb/>
Mitleiden mit Herr <hirendition="#fr">Solmes:</hi> er hoffe aber,<lb/>
daß ſich dieſer kuͤnftig des vergangenen nicht zu<lb/>
meinem Nachtheil erinnern moͤchte. Mein Onckle<lb/><hirendition="#fr">Anton</hi> hingegen haͤtte gemeint: ich muͤſte bil-<lb/>
lig dafuͤr buͤſſen, ſo wohl um Herrn <hirendition="#fr">Solmes</hi><lb/>
als um ihrer ſelbſt willen. Sie, die <hirendition="#fr">Eliſabeth/</hi><lb/>ſagte, ſie ſey eben der Meinung, nicht anders,<lb/>
als wenn ſie mit zu der Familie gehoͤrte.</p><lb/><p>Weil ich kein anderes Mittel habe, das zu er-<lb/>
fahren, was unten geredet und beſchloſſen wird,<lb/>ſo habe ich bisweilen mit ihrer Grobheit mehr<lb/>
Geduld, als ich ſonſt haben wuͤrde. Sie ſcheint<lb/><fwplace="bottom"type="sig">A a 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">um</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[375/0381]
der Clariſſa.
Eliſabeth fuhr fort zu reden, und mir zu
erzaͤhlen: meine Mutter ſey jetzt eben ſo ſehr ge-
gen mich aufgebracht, als irgend ein anderer.
Mein Urtheil ſey ſchon geſprochen. Durch mei-
ne Hefftigkeit haͤtte ich alle abgeſchreckt, ein Wort
fuͤr mich zu reden. Herr Solmes haͤtte ſich
auf die Lippen gebiſſen, und etwas heraus ge-
murmelt: er ſchiene (nach ihrer Redens-Art)
mehr im Kopf gehabt zu haben, als heraus ge-
wollt haͤtte.
Dem ohngeachtet gab ſie mir zu verſtehen,
daß dieſes harte Hertz ein Vergnuͤgen darin faͤn-
de, mich zu ſehen, wenn es gleich wider meinen
Willen waͤre: und daß er verlangte mich aber-
mahls zu ſehen. Muß das nicht ein Wilder,
ein Unmenſch ſeyn?
Mein Onckle Harlowe haͤtte geſagt, er woll-
te ſich meiner nicht mehr annehmen. Er haͤtte
Mitleiden mit Herr Solmes: er hoffe aber,
daß ſich dieſer kuͤnftig des vergangenen nicht zu
meinem Nachtheil erinnern moͤchte. Mein Onckle
Anton hingegen haͤtte gemeint: ich muͤſte bil-
lig dafuͤr buͤſſen, ſo wohl um Herrn Solmes
als um ihrer ſelbſt willen. Sie, die Eliſabeth/
ſagte, ſie ſey eben der Meinung, nicht anders,
als wenn ſie mit zu der Familie gehoͤrte.
Weil ich kein anderes Mittel habe, das zu er-
fahren, was unten geredet und beſchloſſen wird,
ſo habe ich bisweilen mit ihrer Grobheit mehr
Geduld, als ich ſonſt haben wuͤrde. Sie ſcheint
um
A a 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 375. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/381>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.