Jch mußte hier abbrechen, denn ich ward so unruhig, daß ich mich nicht getrauen durffte, meinen Gedancken weiter nachzuhängen. Jch ging deswegen in den Garten, um mir eine Ver- änderung zu machen, und mein Gemüth zu be- ruhigen. Jch war nur einmahl den Gang zwi- schen den Nuß-Bäumen auf und nieder gegan- gen, so kam Elisabeth zu mir: Fräulein, ihr Herr Vater ist hier, und ihr Onckle Anton, und mein junger Herr, und meine junge Fräulein: die wollen alle im Garten spatziren gehen: und der gnädige Herr hat mich geschickt sie zu suchen, damit er ihnen nicht begegnen möchte.
Jch ging in einen krummen Gang, und stellen- te mich hinter die Hecke, so bald ich meine Schwe- ster sahe, bis sie alle vorüber waren.
Es scheint, daß sich meine Mutter nicht wohl befindet; denn sie hütet die Stube. Wenn sie wircklich unpaß ist, so ist dieses ein neuer Kum- mer für mich, denn ich muß befürchten, daß sie sich über meinen vermeinten Ungehorsam grä- met.
Sie können sich nicht vorstellen, was ich hin- ter der Hecke empfunden habe, als ich meinen Vater in einer solchen Nähe sahe. Jch freuete mich, ihn durch die Hecke zu sehen, als er vorbey ging: allein alle Gelencke zitterten mir, da ich ihn diese Worte aussprechen hörte: dir mein Sohn/ und dir meine Tochter/ und euch/ mein Bruder/ überlasse ich die gantze Sa- che. Jch konnte nicht daran zweiffeln, daß nicht
die
Die Geſchichte
Jch mußte hier abbrechen, denn ich ward ſo unruhig, daß ich mich nicht getrauen durffte, meinen Gedancken weiter nachzuhaͤngen. Jch ging deswegen in den Garten, um mir eine Ver- aͤnderung zu machen, und mein Gemuͤth zu be- ruhigen. Jch war nur einmahl den Gang zwi- ſchen den Nuß-Baͤumen auf und nieder gegan- gen, ſo kam Eliſabeth zu mir: Fraͤulein, ihr Herr Vater iſt hier, und ihr Onckle Anton, und mein junger Herr, und meine junge Fraͤulein: die wollen alle im Garten ſpatziren gehen: und der gnaͤdige Herr hat mich geſchickt ſie zu ſuchen, damit er ihnen nicht begegnen moͤchte.
Jch ging in einen krummen Gang, und ſtellen- te mich hinter die Hecke, ſo bald ich meine Schwe- ſter ſahe, bis ſie alle voruͤber waren.
Es ſcheint, daß ſich meine Mutter nicht wohl befindet; denn ſie huͤtet die Stube. Wenn ſie wircklich unpaß iſt, ſo iſt dieſes ein neuer Kum- mer fuͤr mich, denn ich muß befuͤrchten, daß ſie ſich uͤber meinen vermeinten Ungehorſam graͤ- met.
Sie koͤnnen ſich nicht vorſtellen, was ich hin- ter der Hecke empfunden habe, als ich meinen Vater in einer ſolchen Naͤhe ſahe. Jch freuete mich, ihn durch die Hecke zu ſehen, als er vorbey ging: allein alle Gelencke zitterten mir, da ich ihn dieſe Worte ausſprechen hoͤrte: dir mein Sohn/ und dir meine Tochter/ und euch/ mein Bruder/ uͤberlaſſe ich die gantze Sa- che. Jch konnte nicht daran zweiffeln, daß nicht
die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0390"n="384"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#b"><hirendition="#g">Die Geſchichte</hi></hi></fw><lb/><p>Jch mußte hier abbrechen, denn ich ward ſo<lb/>
unruhig, daß ich mich nicht getrauen durffte,<lb/>
meinen Gedancken weiter nachzuhaͤngen. Jch<lb/>
ging deswegen in den Garten, um mir eine Ver-<lb/>
aͤnderung zu machen, und mein Gemuͤth zu be-<lb/>
ruhigen. Jch war nur einmahl den Gang zwi-<lb/>ſchen den Nuß-Baͤumen auf und nieder gegan-<lb/>
gen, ſo kam <hirendition="#fr">Eliſabeth</hi> zu mir: Fraͤulein, ihr<lb/>
Herr Vater iſt hier, und ihr Onckle <hirendition="#fr">Anton,</hi> und<lb/>
mein junger Herr, und meine junge Fraͤulein:<lb/>
die wollen alle im Garten ſpatziren gehen: und<lb/>
der gnaͤdige Herr hat mich geſchickt ſie zu ſuchen,<lb/>
damit er ihnen nicht begegnen moͤchte.</p><lb/><p>Jch ging in einen krummen Gang, und ſtellen-<lb/>
te mich hinter die Hecke, ſo bald ich meine Schwe-<lb/>ſter ſahe, bis ſie alle voruͤber waren.</p><lb/><p>Es ſcheint, daß ſich meine Mutter nicht wohl<lb/>
befindet; denn ſie huͤtet die Stube. Wenn ſie<lb/>
wircklich unpaß iſt, ſo iſt dieſes ein neuer Kum-<lb/>
mer fuͤr mich, denn ich muß befuͤrchten, daß ſie<lb/>ſich uͤber meinen vermeinten Ungehorſam graͤ-<lb/>
met.</p><lb/><p>Sie koͤnnen ſich nicht vorſtellen, was ich hin-<lb/>
ter der Hecke empfunden habe, als ich meinen<lb/>
Vater in einer ſolchen Naͤhe ſahe. Jch freuete<lb/>
mich, ihn durch die Hecke zu ſehen, als er vorbey<lb/>
ging: allein alle Gelencke zitterten mir, da ich<lb/>
ihn dieſe Worte ausſprechen hoͤrte: <hirendition="#fr">dir mein<lb/>
Sohn/ und dir meine Tochter/ und euch/<lb/>
mein Bruder/ uͤberlaſſe ich die gantze Sa-<lb/>
che.</hi> Jch konnte nicht daran zweiffeln, daß nicht<lb/><fwplace="bottom"type="catch">die</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[384/0390]
Die Geſchichte
Jch mußte hier abbrechen, denn ich ward ſo
unruhig, daß ich mich nicht getrauen durffte,
meinen Gedancken weiter nachzuhaͤngen. Jch
ging deswegen in den Garten, um mir eine Ver-
aͤnderung zu machen, und mein Gemuͤth zu be-
ruhigen. Jch war nur einmahl den Gang zwi-
ſchen den Nuß-Baͤumen auf und nieder gegan-
gen, ſo kam Eliſabeth zu mir: Fraͤulein, ihr
Herr Vater iſt hier, und ihr Onckle Anton, und
mein junger Herr, und meine junge Fraͤulein:
die wollen alle im Garten ſpatziren gehen: und
der gnaͤdige Herr hat mich geſchickt ſie zu ſuchen,
damit er ihnen nicht begegnen moͤchte.
Jch ging in einen krummen Gang, und ſtellen-
te mich hinter die Hecke, ſo bald ich meine Schwe-
ſter ſahe, bis ſie alle voruͤber waren.
Es ſcheint, daß ſich meine Mutter nicht wohl
befindet; denn ſie huͤtet die Stube. Wenn ſie
wircklich unpaß iſt, ſo iſt dieſes ein neuer Kum-
mer fuͤr mich, denn ich muß befuͤrchten, daß ſie
ſich uͤber meinen vermeinten Ungehorſam graͤ-
met.
Sie koͤnnen ſich nicht vorſtellen, was ich hin-
ter der Hecke empfunden habe, als ich meinen
Vater in einer ſolchen Naͤhe ſahe. Jch freuete
mich, ihn durch die Hecke zu ſehen, als er vorbey
ging: allein alle Gelencke zitterten mir, da ich
ihn dieſe Worte ausſprechen hoͤrte: dir mein
Sohn/ und dir meine Tochter/ und euch/
mein Bruder/ uͤberlaſſe ich die gantze Sa-
che. Jch konnte nicht daran zweiffeln, daß nicht
die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/390>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.