Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Geschichte

Jch bin sehr verdrießlich darüber. Wir ha-
ben nachdrückliche Worte gewechselt. Allein
ausser der oben erwähnten elenden Frage: was
wir uns um anderer Leute willen Unge-
legenheit machen sollen?
will meine Mutter
auch behanpten, daß es ihre Schuldigkeit sey,
nachzugeben. Sie sagt: sie sey immer der
Meinung gewesen, daß sich Töchter nach den
Einsichten ihrer Eltern richten müsten. Sie
hätte selbst meinen Vater nicht so wohl aus ei-
gener Wahl als nach der Wahl ihres Vaters
genommen.

Hieraus macht sie Schlüsse, so wohl für ih-
ren lieben Hickmann/ als für Solmes.

Jch darf nicht daran zweiffeln, daß sich mei-
ne Mutter immer nach dem Grundsatz ge-
richtet hat. Denn sie sagt es, daß sie es ge-
than habe. Jch habe noch eine Ursache es zu
glauben, die ich Jhnen nicht verschweigen will,
so wenig es sich auch für mich schicken mag, sie
zu nennen: nehmlich, sie haben nicht die ver-
gnügteste Ehe mit einander gehabt, wie man es
von Leuten vermuthen möchte, die einander den
übrigen ihres Geschlechts vorgezogen haben.

Diese doppelte Absicht, die meine Mutter so
klüglich auf einmahl zu erreichen gedenckt, wird
einer gewissen Person keinen Vortheil bringen.
Wenn sie in Beantwortung meiner Bitte, und
in den angebrachten Gründen ihr Augenwerck
auf ihn und auf seine Anwerbung richtet: so
soll er gewiß vor den Verdruß büssen, den ich

in
Die Geſchichte

Jch bin ſehr verdrießlich daruͤber. Wir ha-
ben nachdruͤckliche Worte gewechſelt. Allein
auſſer der oben erwaͤhnten elenden Frage: was
wir uns um anderer Leute willen Unge-
legenheit machen ſollen?
will meine Mutter
auch behanpten, daß es ihre Schuldigkeit ſey,
nachzugeben. Sie ſagt: ſie ſey immer der
Meinung geweſen, daß ſich Toͤchter nach den
Einſichten ihrer Eltern richten muͤſten. Sie
haͤtte ſelbſt meinen Vater nicht ſo wohl aus ei-
gener Wahl als nach der Wahl ihres Vaters
genommen.

Hieraus macht ſie Schluͤſſe, ſo wohl fuͤr ih-
ren lieben Hickmann/ als fuͤr Solmes.

Jch darf nicht daran zweiffeln, daß ſich mei-
ne Mutter immer nach dem Grundſatz ge-
richtet hat. Denn ſie ſagt es, daß ſie es ge-
than habe. Jch habe noch eine Urſache es zu
glauben, die ich Jhnen nicht verſchweigen will,
ſo wenig es ſich auch fuͤr mich ſchicken mag, ſie
zu nennen: nehmlich, ſie haben nicht die ver-
gnuͤgteſte Ehe mit einander gehabt, wie man es
von Leuten vermuthen moͤchte, die einander den
uͤbrigen ihres Geſchlechts vorgezogen haben.

Dieſe doppelte Abſicht, die meine Mutter ſo
kluͤglich auf einmahl zu erreichen gedenckt, wird
einer gewiſſen Perſon keinen Vortheil bringen.
Wenn ſie in Beantwortung meiner Bitte, und
in den angebrachten Gruͤnden ihr Augenwerck
auf ihn und auf ſeine Anwerbung richtet: ſo
ſoll er gewiß vor den Verdruß buͤſſen, den ich

in
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0400" n="394"/>
          <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"> <hi rendition="#g">Die Ge&#x017F;chichte</hi> </hi> </fw><lb/>
          <p>Jch bin &#x017F;ehr verdrießlich daru&#x0364;ber. Wir ha-<lb/>
ben nachdru&#x0364;ckliche Worte gewech&#x017F;elt. Allein<lb/>
au&#x017F;&#x017F;er der oben erwa&#x0364;hnten elenden Frage: <hi rendition="#fr">was<lb/>
wir uns um anderer Leute willen Unge-<lb/>
legenheit machen &#x017F;ollen?</hi> will meine Mutter<lb/>
auch behanpten, daß es ihre Schuldigkeit &#x017F;ey,<lb/>
nachzugeben. Sie &#x017F;agt: &#x017F;ie &#x017F;ey <hi rendition="#fr">immer</hi> der<lb/>
Meinung gewe&#x017F;en, daß &#x017F;ich To&#x0364;chter nach den<lb/>
Ein&#x017F;ichten ihrer Eltern richten mu&#x0364;&#x017F;ten. Sie<lb/>
ha&#x0364;tte &#x017F;elb&#x017F;t meinen Vater nicht &#x017F;o wohl aus ei-<lb/>
gener Wahl als nach der Wahl ihres Vaters<lb/>
genommen.</p><lb/>
          <p>Hieraus macht &#x017F;ie Schlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, &#x017F;o wohl fu&#x0364;r ih-<lb/>
ren lieben <hi rendition="#fr">Hickmann/</hi> als fu&#x0364;r <hi rendition="#fr">Solmes.</hi></p><lb/>
          <p>Jch darf nicht daran zweiffeln, daß &#x017F;ich mei-<lb/>
ne Mutter <hi rendition="#fr">immer</hi> nach dem Grund&#x017F;atz ge-<lb/>
richtet hat. Denn &#x017F;ie &#x017F;agt es, daß &#x017F;ie es ge-<lb/>
than habe. Jch habe noch eine Ur&#x017F;ache es zu<lb/>
glauben, die ich Jhnen nicht ver&#x017F;chweigen will,<lb/>
&#x017F;o wenig es &#x017F;ich auch fu&#x0364;r mich &#x017F;chicken mag, &#x017F;ie<lb/>
zu nennen: nehmlich, &#x017F;ie haben nicht die ver-<lb/>
gnu&#x0364;gte&#x017F;te Ehe mit einander gehabt, wie man es<lb/>
von Leuten vermuthen mo&#x0364;chte, die einander den<lb/>
u&#x0364;brigen ihres Ge&#x017F;chlechts vorgezogen haben.</p><lb/>
          <p>Die&#x017F;e doppelte Ab&#x017F;icht, die meine Mutter &#x017F;o<lb/>
klu&#x0364;glich auf einmahl zu erreichen gedenckt, wird<lb/>
einer gewi&#x017F;&#x017F;en Per&#x017F;on keinen Vortheil bringen.<lb/>
Wenn &#x017F;ie in Beantwortung meiner Bitte, und<lb/>
in den angebrachten Gru&#x0364;nden ihr Augenwerck<lb/>
auf ihn und auf &#x017F;eine Anwerbung richtet: &#x017F;o<lb/>
&#x017F;oll er gewiß vor den Verdruß bu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en, den ich<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">in</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[394/0400] Die Geſchichte Jch bin ſehr verdrießlich daruͤber. Wir ha- ben nachdruͤckliche Worte gewechſelt. Allein auſſer der oben erwaͤhnten elenden Frage: was wir uns um anderer Leute willen Unge- legenheit machen ſollen? will meine Mutter auch behanpten, daß es ihre Schuldigkeit ſey, nachzugeben. Sie ſagt: ſie ſey immer der Meinung geweſen, daß ſich Toͤchter nach den Einſichten ihrer Eltern richten muͤſten. Sie haͤtte ſelbſt meinen Vater nicht ſo wohl aus ei- gener Wahl als nach der Wahl ihres Vaters genommen. Hieraus macht ſie Schluͤſſe, ſo wohl fuͤr ih- ren lieben Hickmann/ als fuͤr Solmes. Jch darf nicht daran zweiffeln, daß ſich mei- ne Mutter immer nach dem Grundſatz ge- richtet hat. Denn ſie ſagt es, daß ſie es ge- than habe. Jch habe noch eine Urſache es zu glauben, die ich Jhnen nicht verſchweigen will, ſo wenig es ſich auch fuͤr mich ſchicken mag, ſie zu nennen: nehmlich, ſie haben nicht die ver- gnuͤgteſte Ehe mit einander gehabt, wie man es von Leuten vermuthen moͤchte, die einander den uͤbrigen ihres Geſchlechts vorgezogen haben. Dieſe doppelte Abſicht, die meine Mutter ſo kluͤglich auf einmahl zu erreichen gedenckt, wird einer gewiſſen Perſon keinen Vortheil bringen. Wenn ſie in Beantwortung meiner Bitte, und in den angebrachten Gruͤnden ihr Augenwerck auf ihn und auf ſeine Anwerbung richtet: ſo ſoll er gewiß vor den Verdruß buͤſſen, den ich in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/400
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/400>, abgerufen am 15.08.2024.