Der sechs und dreißigste Brief von Fräulein Clarissa Harlowe an Fräulein Howe.
Donnerstag Abends.
Es kommt nun heraus, daß ich die Ursache der neulichen Unruhe in unserm Hause, und der dunckeln Reden, die Elisabeth fahren ließ, richtig errathen habe: daß nehmlich alles dieses Folgen von der Nachricht sind, die Herr Lovelace unter der Hand in unserm Hause hat ausbringen lassen, auf was für eine frevelhafte Art (frevelhast muß ich seinen Vorschlag nen- nen) er gesonnen sey, meine Wegbringung nach meines Onckles Gut zu verhindern.
Jch sahe schon damahls, daß dieses Mittel eben so unbequem zu seinem Endzweck, als frevelhaft war. Denn konnte er sich einbilden, (wie Eli- sabeth gantz richtig sagte, und es vielleicht ihrer Herrschafft nach sagte) daß Eltern sich durch Dro- hungen eines ihnen verhaßten ungestümen Kopfs um ihr Recht über ihre Kinder würden bringen lassen? durch Drohungen eines Menschen, der über ihr Kind kein anders Recht haben kan, als das ihm das Kind gegeben hat, so selbst kein Recht über sich hat? Wie muß dieses meine Eltern erbittern, wenn es mein Bruder nach sei- ner Gabe auf der schwartzen Seite vorzustellen sucht.
So
Die Geſchichte
Der ſechs und dreißigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe.
Donnerſtag Abends.
Es kommt nun heraus, daß ich die Urſache der neulichen Unruhe in unſerm Hauſe, und der dunckeln Reden, die Eliſabeth fahren ließ, richtig errathen habe: daß nehmlich alles dieſes Folgen von der Nachricht ſind, die Herr Lovelace unter der Hand in unſerm Hauſe hat ausbringen laſſen, auf was fuͤr eine frevelhafte Art (frevelhaſt muß ich ſeinen Vorſchlag nen- nen) er geſonnen ſey, meine Wegbringung nach meines Onckles Gut zu verhindern.
Jch ſahe ſchon damahls, daß dieſes Mittel eben ſo unbequem zu ſeinem Endzweck, als frevelhaft war. Denn konnte er ſich einbilden, (wie Eli- ſabeth gantz richtig ſagte, und es vielleicht ihrer Herrſchafft nach ſagte) daß Eltern ſich durch Dro- hungen eines ihnen verhaßten ungeſtuͤmen Kopfs um ihr Recht uͤber ihre Kinder wuͤrden bringen laſſen? durch Drohungen eines Menſchen, der uͤber ihr Kind kein anders Recht haben kan, als das ihm das Kind gegeben hat, ſo ſelbſt kein Recht uͤber ſich hat? Wie muß dieſes meine Eltern erbittern, wenn es mein Bruder nach ſei- ner Gabe auf der ſchwartzen Seite vorzuſtellen ſucht.
So
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[414/0420]
Die Geſchichte
Der ſechs und dreißigſte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.
Donnerſtag Abends.
Es kommt nun heraus, daß ich die Urſache
der neulichen Unruhe in unſerm Hauſe,
und der dunckeln Reden, die Eliſabeth fahren
ließ, richtig errathen habe: daß nehmlich alles
dieſes Folgen von der Nachricht ſind, die Herr
Lovelace unter der Hand in unſerm Hauſe hat
ausbringen laſſen, auf was fuͤr eine frevelhafte
Art (frevelhaſt muß ich ſeinen Vorſchlag nen-
nen) er geſonnen ſey, meine Wegbringung nach
meines Onckles Gut zu verhindern.
Jch ſahe ſchon damahls, daß dieſes Mittel eben
ſo unbequem zu ſeinem Endzweck, als frevelhaft
war. Denn konnte er ſich einbilden, (wie Eli-
ſabeth gantz richtig ſagte, und es vielleicht ihrer
Herrſchafft nach ſagte) daß Eltern ſich durch Dro-
hungen eines ihnen verhaßten ungeſtuͤmen Kopfs
um ihr Recht uͤber ihre Kinder wuͤrden bringen
laſſen? durch Drohungen eines Menſchen, der
uͤber ihr Kind kein anders Recht haben kan, als
das ihm das Kind gegeben hat, ſo ſelbſt kein
Recht uͤber ſich hat? Wie muß dieſes meine
Eltern erbittern, wenn es mein Bruder nach ſei-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 414. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/420>, abgerufen am 22.11.2024.
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