sie noch eine Stunde fort geredet haben, ohne von mir unterbrochen zu werden.
Als sie dieses gewahr ward, und sahe, daß ich nur weinete, und mir das Tuch vor das Gesicht hielt, und mich der Seufzer und lauten Weinens kaum länger enthalten konnte: so sagte sie: Wie? bekomme ich keine Antwort, mein Kind? Was ist das kür eine sprachlose Traurigkeit? Sie wissen ja, daß ich sie immer geliebet habe, und daß ich dieses alles nicht als meine Sache treibe, Sie wollten doch Herrn Solmes nicht erlau- ben, ihnen das zu erzählen, was ihnen den Herrn Lovelace verhaßt gemacht haben würde: soll ich ihnen einiges sagen, daß man ihm Schuld giebt? Soll ich es thun, mein Hertz?
Jch antwortete blos durch Seufzer und Thrä- nen.
Gut! mein Kind, so sollen sie es nachher zu erfahren kriegen, wenn sie besser im Stande sind es zu ertragen, und sich darüber zu freuen, daß sie seinen Klauen entkommen sind. Sie werden alsdenn ihr Betragen gegen Herr Solmes vor der Hochzeit dadurch einigermassen entschuldigen können, daß sie Herrn Lovelace nicht für einen so abscheulichen Bösewicht gehalten haben.
Mein Hertz schlug vor Ungeduld und Un- muth, als ich hören muste, daß sie so deutlich davon redete, daß ich seine Frau werden sollte. Jch wollte aber doch noch nicht reden: denn wenn ich den Mund geöffnet hätte, so würde es mit allzugroser Hefftigkeit geschehen seyn.
Jhr
Die Geſchichte
ſie noch eine Stunde fort geredet haben, ohne von mir unterbrochen zu werden.
Als ſie dieſes gewahr ward, und ſahe, daß ich nur weinete, und mir das Tuch vor das Geſicht hielt, und mich der Seufzer und lauten Weinens kaum laͤnger enthalten konnte: ſo ſagte ſie: Wie? bekomme ich keine Antwort, mein Kind? Was iſt das kuͤr eine ſprachloſe Traurigkeit? Sie wiſſen ja, daß ich ſie immer geliebet habe, und daß ich dieſes alles nicht als meine Sache treibe, Sie wollten doch Herrn Solmes nicht erlau- ben, ihnen das zu erzaͤhlen, was ihnen den Herrn Lovelace verhaßt gemacht haben wuͤrde: ſoll ich ihnen einiges ſagen, daß man ihm Schuld giebt? Soll ich es thun, mein Hertz?
Jch antwortete blos durch Seufzer und Thraͤ- nen.
Gut! mein Kind, ſo ſollen ſie es nachher zu erfahren kriegen, wenn ſie beſſer im Stande ſind es zu ertragen, und ſich daruͤber zu freuen, daß ſie ſeinen Klauen entkommen ſind. Sie werden alsdenn ihr Betragen gegen Herr Solmes vor der Hochzeit dadurch einigermaſſen entſchuldigen koͤnnen, daß ſie Herrn Lovelace nicht fuͤr einen ſo abſcheulichen Boͤſewicht gehalten haben.
Mein Hertz ſchlug vor Ungeduld und Un- muth, als ich hoͤren muſte, daß ſie ſo deutlich davon redete, daß ich ſeine Frau werden ſollte. Jch wollte aber doch noch nicht reden: denn wenn ich den Mund geoͤffnet haͤtte, ſo wuͤrde es mit allzugroſer Hefftigkeit geſchehen ſeyn.
Jhr
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Die Geſchichte
ſie noch eine Stunde fort geredet haben, ohne
von mir unterbrochen zu werden.
Als ſie dieſes gewahr ward, und ſahe, daß ich
nur weinete, und mir das Tuch vor das Geſicht
hielt, und mich der Seufzer und lauten Weinens
kaum laͤnger enthalten konnte: ſo ſagte ſie: Wie?
bekomme ich keine Antwort, mein Kind? Was
iſt das kuͤr eine ſprachloſe Traurigkeit? Sie
wiſſen ja, daß ich ſie immer geliebet habe, und
daß ich dieſes alles nicht als meine Sache treibe,
Sie wollten doch Herrn Solmes nicht erlau-
ben, ihnen das zu erzaͤhlen, was ihnen den Herrn
Lovelace verhaßt gemacht haben wuͤrde: ſoll
ich ihnen einiges ſagen, daß man ihm Schuld
giebt? Soll ich es thun, mein Hertz?
Jch antwortete blos durch Seufzer und Thraͤ-
nen.
Gut! mein Kind, ſo ſollen ſie es nachher zu
erfahren kriegen, wenn ſie beſſer im Stande ſind
es zu ertragen, und ſich daruͤber zu freuen, daß
ſie ſeinen Klauen entkommen ſind. Sie werden
alsdenn ihr Betragen gegen Herr Solmes vor
der Hochzeit dadurch einigermaſſen entſchuldigen
koͤnnen, daß ſie Herrn Lovelace nicht fuͤr einen
ſo abſcheulichen Boͤſewicht gehalten haben.
Mein Hertz ſchlug vor Ungeduld und Un-
muth, als ich hoͤren muſte, daß ſie ſo deutlich
davon redete, daß ich ſeine Frau werden ſollte.
Jch wollte aber doch noch nicht reden: denn
wenn ich den Mund geoͤffnet haͤtte, ſo wuͤrde es
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 420. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/426>, abgerufen am 22.11.2024.
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