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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

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Die Geschichte
reiffer überlegen, und es künftig mit einer bessern
Fassung des Gemüths annehmen.

Nach ihrem Abschied überdachte ich die Re-
den, die mein Bruder und meine Schwester ge-
führet hatten: Jhr Frohlocken über mir lag
mir im Sinne: und ich fand, daß sich eine Bit-
terkeit in meinem Gemüth erregte, die ich noch
niemahls empfunden hatte, und der ich nicht wi-
derstehen konnte. Da ich nun alles überlegte,
und mich vor dem so nahe bevorstehenden Tage
fürchtete: was konnte ich da thun? Was mei-
nen Sie, bin ich in demjenigen, was ich gethan
habe, einigermassen zu entschuldigen? Und wol-
len und können Sie mich entschuldigen, wenn
mich gleich die Welt verdammet, weil sie meine
Ursachen nicht weiß? Wenn Sie mich nicht
entschuldigen, so bin ich unglücklich. Dieses
war es, was ich that:

Jch schaffete mir Elisabeth so bald ich kon-
te vom Halse, und schrieb an Herrn Lovelace.
Jch berichtete ihm: "man wollte alles das, wo-
"mit man mich auf meines Onckles Gut bedrohet
"hätte, hier in das Werck richten: ich hätte mich
"deswegen entschlossen, mich in den Schutz ei-
"ner von seinen beyden Basen zu begeben, wenn
"sie mich dessen gewähren wollten. Jch wollte
"mir Erlaubniß ausbitten, in dem Sommer-
"Hause das mit Epheu bedeckt ist, zu speisen;
"und wollte um 2, 3, 4, oder 5 Uhr des Mon-
"tags Nachmittags zu ihm vor die Garten-Thür
"hinaus kommen, wenn ich anders könnte. Er

solte

Die Geſchichte
reiffer uͤberlegen, und es kuͤnftig mit einer beſſern
Faſſung des Gemuͤths annehmen.

Nach ihrem Abſchied uͤberdachte ich die Re-
den, die mein Bruder und meine Schweſter ge-
fuͤhret hatten: Jhr Frohlocken uͤber mir lag
mir im Sinne: und ich fand, daß ſich eine Bit-
terkeit in meinem Gemuͤth erregte, die ich noch
niemahls empfunden hatte, und der ich nicht wi-
derſtehen konnte. Da ich nun alles uͤberlegte,
und mich vor dem ſo nahe bevorſtehenden Tage
fuͤrchtete: was konnte ich da thun? Was mei-
nen Sie, bin ich in demjenigen, was ich gethan
habe, einigermaſſen zu entſchuldigen? Und wol-
len und koͤnnen Sie mich entſchuldigen, wenn
mich gleich die Welt verdammet, weil ſie meine
Urſachen nicht weiß? Wenn Sie mich nicht
entſchuldigen, ſo bin ich ungluͤcklich. Dieſes
war es, was ich that:

Jch ſchaffete mir Eliſabeth ſo bald ich kon-
te vom Halſe, und ſchrieb an Herrn Lovelace.
Jch berichtete ihm: „man wollte alles das, wo-
„mit man mich auf meines Onckles Gut bedrohet
„haͤtte, hier in das Werck richten: ich haͤtte mich
„deswegen entſchloſſen, mich in den Schutz ei-
„ner von ſeinen beyden Baſen zu begeben, wenn
„ſie mich deſſen gewaͤhren wollten. Jch wollte
„mir Erlaubniß ausbitten, in dem Sommer-
„Hauſe das mit Epheu bedeckt iſt, zu ſpeiſen;
„und wollte um 2, 3, 4, oder 5 Uhr des Mon-
„tags Nachmittags zu ihm vor die Garten-Thuͤr
„hinaus kommen, wenn ich anders koͤnnte. Er

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[428/0434] Die Geſchichte reiffer uͤberlegen, und es kuͤnftig mit einer beſſern Faſſung des Gemuͤths annehmen. Nach ihrem Abſchied uͤberdachte ich die Re- den, die mein Bruder und meine Schweſter ge- fuͤhret hatten: Jhr Frohlocken uͤber mir lag mir im Sinne: und ich fand, daß ſich eine Bit- terkeit in meinem Gemuͤth erregte, die ich noch niemahls empfunden hatte, und der ich nicht wi- derſtehen konnte. Da ich nun alles uͤberlegte, und mich vor dem ſo nahe bevorſtehenden Tage fuͤrchtete: was konnte ich da thun? Was mei- nen Sie, bin ich in demjenigen, was ich gethan habe, einigermaſſen zu entſchuldigen? Und wol- len und koͤnnen Sie mich entſchuldigen, wenn mich gleich die Welt verdammet, weil ſie meine Urſachen nicht weiß? Wenn Sie mich nicht entſchuldigen, ſo bin ich ungluͤcklich. Dieſes war es, was ich that: Jch ſchaffete mir Eliſabeth ſo bald ich kon- te vom Halſe, und ſchrieb an Herrn Lovelace. Jch berichtete ihm: „man wollte alles das, wo- „mit man mich auf meines Onckles Gut bedrohet „haͤtte, hier in das Werck richten: ich haͤtte mich „deswegen entſchloſſen, mich in den Schutz ei- „ner von ſeinen beyden Baſen zu begeben, wenn „ſie mich deſſen gewaͤhren wollten. Jch wollte „mir Erlaubniß ausbitten, in dem Sommer- „Hauſe das mit Epheu bedeckt iſt, zu ſpeiſen; „und wollte um 2, 3, 4, oder 5 Uhr des Mon- „tags Nachmittags zu ihm vor die Garten-Thuͤr „hinaus kommen, wenn ich anders koͤnnte. Er ſolte

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 428. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/434>, abgerufen am 22.11.2024.