Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748.

Bild:
<< vorherige Seite
der Clarissa.
Der zwey und viertzigste Brief
von
Fräulein Clarissa Harlowe an Fräulein
Howe.

(Eine Antwort auf den viertzigsten Brief.)

Sonntag Morgens den 9ten
April.

Glauben Sie ja nicht, daß ich auf Sie un-
gehalten bin, ob Sie mir gleich in Jh-
rem gestrigen Brieffe eine härtere Probe Jhrer
unpartheyischen Liebe (wie ich sie jetzt nen-
nen muß) gegeben haben, als vorhin jemahls.
Das würde eben so viel seyn, als mich zu einer
Königin aufwerffen, d. i. es andern unmöglich
machen, mir meine Fehler zu entdecken, und mir,
mich zu bessern, und die alleraufrichtigste und
zärtlichste Freundschaft unnütz zu machen.

Wie edel und wie rein brennen diese geheilig-
ten Flammen in Jhrer Brust? daß Sie so gar
einer unglücklichen Person schuld geben, sie sey
in ihrer eigenen Sache kaltsinniger als Sie in
einer fremden, weil sie sich in so fern selbst ver-
gißt, daß sie andern eine Wahl nicht streitig ma-
chen will, dazu sie ein Recht haben. Soll ich
ein so warmes Hertz an einer Freundin tadeln?
muß ich es nicht vielmehr bewundern?

Da-
H h 2
der Clariſſa.
Der zwey und viertzigſte Brief
von
Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein
Howe.

(Eine Antwort auf den viertzigſten Brief.)

Sonntag Morgens den 9ten
April.

Glauben Sie ja nicht, daß ich auf Sie un-
gehalten bin, ob Sie mir gleich in Jh-
rem geſtrigen Brieffe eine haͤrtere Probe Jhrer
unpartheyiſchen Liebe (wie ich ſie jetzt nen-
nen muß) gegeben haben, als vorhin jemahls.
Das wuͤrde eben ſo viel ſeyn, als mich zu einer
Koͤnigin aufwerffen, d. i. es andern unmoͤglich
machen, mir meine Fehler zu entdecken, und mir,
mich zu beſſern, und die alleraufrichtigſte und
zaͤrtlichſte Freundſchaft unnuͤtz zu machen.

Wie edel und wie rein brennen dieſe geheilig-
ten Flammen in Jhrer Bruſt? daß Sie ſo gar
einer ungluͤcklichen Perſon ſchuld geben, ſie ſey
in ihrer eigenen Sache kaltſinniger als Sie in
einer fremden, weil ſie ſich in ſo fern ſelbſt ver-
gißt, daß ſie andern eine Wahl nicht ſtreitig ma-
chen will, dazu ſie ein Recht haben. Soll ich
ein ſo warmes Hertz an einer Freundin tadeln?
muß ich es nicht vielmehr bewundern?

Da-
H h 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0489" n="483"/>
        <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">der Clari&#x017F;&#x017F;a</hi>.</hi> </fw><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#fr">Der zwey und viertzig&#x017F;te Brief</hi><lb/>
von<lb/><hi rendition="#fr">Fra&#x0364;ulein Clari&#x017F;&#x017F;a Harlowe an Fra&#x0364;ulein<lb/>
Howe.</hi></head><lb/>
          <p> <hi rendition="#c">(Eine Antwort auf den viertzig&#x017F;ten Brief.)</hi> </p><lb/>
          <p> <hi rendition="#et">Sonntag Morgens den 9ten<lb/>
April.</hi> </p><lb/>
          <p><hi rendition="#in">G</hi>lauben Sie ja nicht, daß ich auf Sie un-<lb/>
gehalten bin, ob Sie mir gleich in Jh-<lb/>
rem ge&#x017F;trigen Brieffe eine ha&#x0364;rtere Probe Jhrer<lb/><hi rendition="#fr">unpartheyi&#x017F;chen Liebe</hi> (wie ich &#x017F;ie jetzt nen-<lb/>
nen muß) gegeben haben, als vorhin jemahls.<lb/>
Das wu&#x0364;rde eben &#x017F;o viel &#x017F;eyn, als mich zu einer<lb/>
Ko&#x0364;nigin aufwerffen, d. i. es andern unmo&#x0364;glich<lb/>
machen, mir meine Fehler zu entdecken, und mir,<lb/>
mich zu be&#x017F;&#x017F;ern, und die alleraufrichtig&#x017F;te und<lb/>
za&#x0364;rtlich&#x017F;te Freund&#x017F;chaft unnu&#x0364;tz zu machen.</p><lb/>
          <p>Wie edel und wie rein brennen die&#x017F;e geheilig-<lb/>
ten Flammen in Jhrer Bru&#x017F;t? daß Sie &#x017F;o gar<lb/>
einer unglu&#x0364;cklichen Per&#x017F;on &#x017F;chuld geben, &#x017F;ie &#x017F;ey<lb/>
in ihrer eigenen Sache kalt&#x017F;inniger als Sie in<lb/>
einer fremden, weil &#x017F;ie &#x017F;ich in &#x017F;o fern &#x017F;elb&#x017F;t ver-<lb/>
gißt, daß &#x017F;ie andern eine Wahl nicht &#x017F;treitig ma-<lb/>
chen will, dazu &#x017F;ie ein Recht haben. Soll ich<lb/>
ein &#x017F;o warmes Hertz an einer Freundin tadeln?<lb/>
muß ich es nicht vielmehr bewundern?</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="sig">H h 2</fw>
          <fw place="bottom" type="catch">Da-</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[483/0489] der Clariſſa. Der zwey und viertzigſte Brief von Fraͤulein Clariſſa Harlowe an Fraͤulein Howe. (Eine Antwort auf den viertzigſten Brief.) Sonntag Morgens den 9ten April. Glauben Sie ja nicht, daß ich auf Sie un- gehalten bin, ob Sie mir gleich in Jh- rem geſtrigen Brieffe eine haͤrtere Probe Jhrer unpartheyiſchen Liebe (wie ich ſie jetzt nen- nen muß) gegeben haben, als vorhin jemahls. Das wuͤrde eben ſo viel ſeyn, als mich zu einer Koͤnigin aufwerffen, d. i. es andern unmoͤglich machen, mir meine Fehler zu entdecken, und mir, mich zu beſſern, und die alleraufrichtigſte und zaͤrtlichſte Freundſchaft unnuͤtz zu machen. Wie edel und wie rein brennen dieſe geheilig- ten Flammen in Jhrer Bruſt? daß Sie ſo gar einer ungluͤcklichen Perſon ſchuld geben, ſie ſey in ihrer eigenen Sache kaltſinniger als Sie in einer fremden, weil ſie ſich in ſo fern ſelbſt ver- gißt, daß ſie andern eine Wahl nicht ſtreitig ma- chen will, dazu ſie ein Recht haben. Soll ich ein ſo warmes Hertz an einer Freundin tadeln? muß ich es nicht vielmehr bewundern? Da- H h 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/489
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/489>, abgerufen am 25.11.2024.