Gelehrsamkeit genug (erwiederte ich) unter uns Frauens-Leuten damit zu prahlen! allein etwas zu wenig Verstand, die Gelehrsamkeit zu seinem und anderer Besten anzuwenden! Sonst - -
Sie wünschte (sagte sie) daß er ein besseres Hertz hätte. Sonst aber käme es ihr vor, als wenn ich eine allzugute Meinung von einer ge- wissen Person hätte, und daß ich deswegen von meinem Bruder geringschätzigere Gedancken he- gete, als einer Schwester zukäme. Zwischen beyden sey ein gelehrter Neid gewesen, und daher rührte auch ihr Haß.
Ein gelehrter Neid! (antwortete ich) doch dem sey wie ihm wolle, so wünschte ich daß bey- de etwas besser verstünden, was sich für einen wohlgezogenen jungen Herrn von Stande schickt. Alsdenn würde sich keiner von beyden solcher Sachen rühmen, darüber sie sich billig schämen solten.
Jch brach diese Rede ab, und sagte nocb: es könnte seyn, daß sie etwas geschriebenes nebst ein paar Federn und etwas Dinte fänden, (Ach wie ist es mir zuwider, daß ich solche Künste brau- chen muß! Verhaßte Nothwendigkeit, die mich dazu zwinget!) weil man mir doch nicht erlau- ben würde, hinauf zu gehen, und sie auf die Sei- te zu bringen. Jch müßte mir dieses gefallen
lassen.
Zweyter Theil. K k
der Clariſſa.
Gelehrſamkeit genug (erwiederte ich) unter uns Frauens-Leuten damit zu prahlen! allein etwas zu wenig Verſtand, die Gelehrſamkeit zu ſeinem und anderer Beſten anzuwenden! Sonſt ‒ ‒
Sie wuͤnſchte (ſagte ſie) daß er ein beſſeres Hertz haͤtte. Sonſt aber kaͤme es ihr vor, als wenn ich eine allzugute Meinung von einer ge- wiſſen Perſon haͤtte, und daß ich deswegen von meinem Bruder geringſchaͤtzigere Gedancken he- gete, als einer Schweſter zukaͤme. Zwiſchen beyden ſey ein gelehrter Neid geweſen, und daher ruͤhrte auch ihr Haß.
Ein gelehrter Neid! (antwortete ich) doch dem ſey wie ihm wolle, ſo wuͤnſchte ich daß bey- de etwas beſſer verſtuͤnden, was ſich fuͤr einen wohlgezogenen jungen Herrn von Stande ſchickt. Alsdenn wuͤrde ſich keiner von beyden ſolcher Sachen ruͤhmen, daruͤber ſie ſich billig ſchaͤmen ſolten.
Jch brach dieſe Rede ab, und ſagte nocb: es koͤnnte ſeyn, daß ſie etwas geſchriebenes nebſt ein paar Federn und etwas Dinte faͤnden, (Ach wie iſt es mir zuwider, daß ich ſolche Kuͤnſte brau- chen muß! Verhaßte Nothwendigkeit, die mich dazu zwinget!) weil man mir doch nicht erlau- ben wuͤrde, hinauf zu gehen, und ſie auf die Sei- te zu bringen. Jch muͤßte mir dieſes gefallen
laſſen.
Zweyter Theil. K k
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der Clariſſa.
Gelehrſamkeit genug (erwiederte ich) unter
uns Frauens-Leuten damit zu prahlen! allein
etwas zu wenig Verſtand, die Gelehrſamkeit
zu ſeinem und anderer Beſten anzuwenden!
Sonſt ‒ ‒
Sie wuͤnſchte (ſagte ſie) daß er ein beſſeres
Hertz haͤtte. Sonſt aber kaͤme es ihr vor, als
wenn ich eine allzugute Meinung von einer ge-
wiſſen Perſon haͤtte, und daß ich deswegen von
meinem Bruder geringſchaͤtzigere Gedancken he-
gete, als einer Schweſter zukaͤme. Zwiſchen
beyden ſey ein gelehrter Neid geweſen, und
daher ruͤhrte auch ihr Haß.
Ein gelehrter Neid! (antwortete ich) doch
dem ſey wie ihm wolle, ſo wuͤnſchte ich daß bey-
de etwas beſſer verſtuͤnden, was ſich fuͤr einen
wohlgezogenen jungen Herrn von Stande ſchickt.
Alsdenn wuͤrde ſich keiner von beyden ſolcher
Sachen ruͤhmen, daruͤber ſie ſich billig ſchaͤmen
ſolten.
Jch brach dieſe Rede ab, und ſagte nocb: es
koͤnnte ſeyn, daß ſie etwas geſchriebenes nebſt ein
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 2. Göttingen, 1748, S. 513. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa02_1748/519>, abgerufen am 21.11.2024.
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