Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



chen hatte, daß sie nie einen andern heyrathen
wollte, so lange als ich am Leben und unverhey-
rathet wäre, und sie durch keine Tod-Sünde be-
leydigte. Dis war so viel als nichts versprochen:
denn sie konnte sich für beleydiget halten, so bald
sie wollte, und war in ihrer eigenen Sache Rich-
terin. Allein sie konnte hieraus sehen, wie billig
ich in meinen Wünschen sey, und daß ich nicht
(wie sie mir Schuld giebt) eines Daumens breit
in einer Hand Breit verwandelte.

Sie bewilligte das, was ich bat: und fragte:
von welcher Art die Versicherung seyn sollte, die
sie mir darüber gäbe.

Mündlich! sagte ich.

Sie that mir hierauf ein mündliches Verspre-
chen. Jch bat mir die Freyheit aus es zu versie-
geln, und that es auch ohne zu warten bis sie ant-
worten konnte: weil ich nicht Lust hatte ihr Nein
zu hören.

Du magst es mir glauben oder nicht: dieses
war das erste mahl, das ich mich unterstand ihre
sanften Lippen mit den meinigen zu berühren. Jch
kann dir versichern, Belford, der eintzige Druck,
den ich ihren Lippen so gelinde gab, als wenn ich
selbst eine Jungfer wäre, damit sie sich künftig
desto weniger fürchten möchte, hat mir mehr Ver-
gnügen verursachet, als jemahls die letzten Pro-
ben der Liebe bey irgend einem andern Frauenzim-
mer. So kostbar kann die Ehrfurcht gegen eine
Person uns dasjenige Vergnügen machen, das sie
uns verbietet.

Jch



chen hatte, daß ſie nie einen andern heyrathen
wollte, ſo lange als ich am Leben und unverhey-
rathet waͤre, und ſie durch keine Tod-Suͤnde be-
leydigte. Dis war ſo viel als nichts verſprochen:
denn ſie konnte ſich fuͤr beleydiget halten, ſo bald
ſie wollte, und war in ihrer eigenen Sache Rich-
terin. Allein ſie konnte hieraus ſehen, wie billig
ich in meinen Wuͤnſchen ſey, und daß ich nicht
(wie ſie mir Schuld giebt) eines Daumens breit
in einer Hand Breit verwandelte.

Sie bewilligte das, was ich bat: und fragte:
von welcher Art die Verſicherung ſeyn ſollte, die
ſie mir daruͤber gaͤbe.

Muͤndlich! ſagte ich.

Sie that mir hierauf ein muͤndliches Verſpre-
chen. Jch bat mir die Freyheit aus es zu verſie-
geln, und that es auch ohne zu warten bis ſie ant-
worten konnte: weil ich nicht Luſt hatte ihr Nein
zu hoͤren.

Du magſt es mir glauben oder nicht: dieſes
war das erſte mahl, das ich mich unterſtand ihre
ſanften Lippen mit den meinigen zu beruͤhren. Jch
kann dir verſichern, Belford, der eintzige Druck,
den ich ihren Lippen ſo gelinde gab, als wenn ich
ſelbſt eine Jungfer waͤre, damit ſie ſich kuͤnftig
deſto weniger fuͤrchten moͤchte, hat mir mehr Ver-
gnuͤgen verurſachet, als jemahls die letzten Pro-
ben der Liebe bey irgend einem andern Frauenzim-
mer. So koſtbar kann die Ehrfurcht gegen eine
Perſon uns dasjenige Vergnuͤgen machen, das ſie
uns verbietet.

Jch
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0141" n="127"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
chen hatte, daß &#x017F;ie nie einen andern heyrathen<lb/>
wollte, &#x017F;o lange als ich am Leben und unverhey-<lb/>
rathet wa&#x0364;re, und &#x017F;ie durch keine Tod-Su&#x0364;nde be-<lb/>
leydigte. Dis war &#x017F;o viel als nichts ver&#x017F;prochen:<lb/>
denn &#x017F;ie konnte &#x017F;ich fu&#x0364;r beleydiget halten, &#x017F;o bald<lb/>
&#x017F;ie wollte, und war in ihrer eigenen Sache Rich-<lb/>
terin. Allein &#x017F;ie konnte hieraus &#x017F;ehen, wie billig<lb/>
ich in meinen Wu&#x0364;n&#x017F;chen &#x017F;ey, und daß ich nicht<lb/>
(wie &#x017F;ie mir Schuld giebt) eines Daumens breit<lb/>
in einer Hand Breit verwandelte.</p><lb/>
          <p>Sie bewilligte das, was ich bat: und fragte:<lb/>
von welcher Art die Ver&#x017F;icherung &#x017F;eyn &#x017F;ollte, die<lb/>
&#x017F;ie mir daru&#x0364;ber ga&#x0364;be.</p><lb/>
          <p>Mu&#x0364;ndlich! &#x017F;agte ich.</p><lb/>
          <p>Sie that mir hierauf ein mu&#x0364;ndliches Ver&#x017F;pre-<lb/>
chen. Jch bat mir die Freyheit aus es zu ver&#x017F;ie-<lb/>
geln, und that es auch ohne zu warten bis &#x017F;ie ant-<lb/>
worten konnte: weil ich nicht Lu&#x017F;t hatte ihr Nein<lb/>
zu ho&#x0364;ren.</p><lb/>
          <p>Du mag&#x017F;t es mir glauben oder nicht: die&#x017F;es<lb/>
war das er&#x017F;te mahl, das ich mich unter&#x017F;tand ihre<lb/>
&#x017F;anften Lippen mit den meinigen zu beru&#x0364;hren. Jch<lb/>
kann dir ver&#x017F;ichern, <hi rendition="#fr">Belford,</hi> der eintzige Druck,<lb/>
den ich ihren Lippen &#x017F;o gelinde gab, als wenn ich<lb/>
&#x017F;elb&#x017F;t eine Jungfer wa&#x0364;re, damit &#x017F;ie &#x017F;ich ku&#x0364;nftig<lb/>
de&#x017F;to weniger fu&#x0364;rchten mo&#x0364;chte, hat mir mehr Ver-<lb/>
gnu&#x0364;gen verur&#x017F;achet, als jemahls die letzten Pro-<lb/>
ben der Liebe bey irgend einem andern Frauenzim-<lb/>
mer. So ko&#x017F;tbar kann die Ehrfurcht gegen eine<lb/>
Per&#x017F;on uns dasjenige Vergnu&#x0364;gen machen, das &#x017F;ie<lb/>
uns verbietet.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Jch</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[127/0141] chen hatte, daß ſie nie einen andern heyrathen wollte, ſo lange als ich am Leben und unverhey- rathet waͤre, und ſie durch keine Tod-Suͤnde be- leydigte. Dis war ſo viel als nichts verſprochen: denn ſie konnte ſich fuͤr beleydiget halten, ſo bald ſie wollte, und war in ihrer eigenen Sache Rich- terin. Allein ſie konnte hieraus ſehen, wie billig ich in meinen Wuͤnſchen ſey, und daß ich nicht (wie ſie mir Schuld giebt) eines Daumens breit in einer Hand Breit verwandelte. Sie bewilligte das, was ich bat: und fragte: von welcher Art die Verſicherung ſeyn ſollte, die ſie mir daruͤber gaͤbe. Muͤndlich! ſagte ich. Sie that mir hierauf ein muͤndliches Verſpre- chen. Jch bat mir die Freyheit aus es zu verſie- geln, und that es auch ohne zu warten bis ſie ant- worten konnte: weil ich nicht Luſt hatte ihr Nein zu hoͤren. Du magſt es mir glauben oder nicht: dieſes war das erſte mahl, das ich mich unterſtand ihre ſanften Lippen mit den meinigen zu beruͤhren. Jch kann dir verſichern, Belford, der eintzige Druck, den ich ihren Lippen ſo gelinde gab, als wenn ich ſelbſt eine Jungfer waͤre, damit ſie ſich kuͤnftig deſto weniger fuͤrchten moͤchte, hat mir mehr Ver- gnuͤgen verurſachet, als jemahls die letzten Pro- ben der Liebe bey irgend einem andern Frauenzim- mer. So koſtbar kann die Ehrfurcht gegen eine Perſon uns dasjenige Vergnuͤgen machen, das ſie uns verbietet. Jch

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/141
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/141>, abgerufen am 22.12.2024.