Anklage wider mich seyn, so oft ich mich für schul- dig halte. Wenn es möglich ist, daß durch eine um- ständliche Nachricht meine Schuld etwas gemäßi- get werden kann, alh welches das höchste ist, das eine Person hoffen darf, die sich nicht entschuldigen kann: so weiß ich gewiß, daß ich von Jhrer Freundschaft ein gemäßigtes Urtheil erwarten darf. Auf die Liebe anderer darf ich nicht hoffen: ohne Zweifel ist jetzt jedermann der Mund wider mich geöffnet, und alle, die Clarissa Harlowe gekannt haben, verdammen nun die entlauffene Tochter.
Nachdem ich meinen letzten Brief an Sie, den ich bis auf die letzte Stunde fortgesetzet hatte, nie- dergeleget, so kam ich nach dem Sommer-Hause zurück, und nahm nur noch meinen Brief an Lo- velacen zwischen den losen Ziegeln weg. Jch überlegte hier so ruhig, als es mir in meinen Um- ständen möglich war, was zwischen mir und meiner Frau Base Hervey vorgegangen war, und verglich einen Theil dessen, was mir Dorthchen geschrie- ben hatte, damit. Jch sing zuletzt an Hoffnung zu schöpfen, daß ich mich vor dem bevorstehenden Mittewochen nicht so sehr fürchten dürfte, als ich that. Dieses waren die Gründe, welche ich mir vorhielt.
"Der Mittewochen kann der Tag nicht seyn, "den sie im Sinne haben, ob sie gleich wünschen "mögen, mich durch diesen Tag in Furcht zu se- "tzen. Die Ehe-Stiftung ist noch nicht unter-
zeich-
Anklage wider mich ſeyn, ſo oft ich mich fuͤr ſchul- dig halte. Wenn es moͤglich iſt, daß durch eine um- ſtaͤndliche Nachricht meine Schuld etwas gemaͤßi- get werden kann, alh welches das hoͤchſte iſt, das eine Perſon hoffen darf, die ſich nicht entſchuldigen kann: ſo weiß ich gewiß, daß ich von Jhrer Freundſchaft ein gemaͤßigtes Urtheil erwarten darf. Auf die Liebe anderer darf ich nicht hoffen: ohne Zweifel iſt jetzt jedermann der Mund wider mich geoͤffnet, und alle, die Clariſſa Harlowe gekannt haben, verdammen nun die entlauffene Tochter.
Nachdem ich meinen letzten Brief an Sie, den ich bis auf die letzte Stunde fortgeſetzet hatte, nie- dergeleget, ſo kam ich nach dem Sommer-Hauſe zuruͤck, und nahm nur noch meinen Brief an Lo- velacen zwiſchen den loſen Ziegeln weg. Jch uͤberlegte hier ſo ruhig, als es mir in meinen Um- ſtaͤnden moͤglich war, was zwiſchen mir und meiner Frau Baſe Hervey vorgegangen war, und verglich einen Theil deſſen, was mir Dorthchen geſchrie- ben hatte, damit. Jch ſing zuletzt an Hoffnung zu ſchoͤpfen, daß ich mich vor dem bevorſtehenden Mittewochen nicht ſo ſehr fuͤrchten duͤrfte, als ich that. Dieſes waren die Gruͤnde, welche ich mir vorhielt.
„Der Mittewochen kann der Tag nicht ſeyn, „den ſie im Sinne haben, ob ſie gleich wuͤnſchen „moͤgen, mich durch dieſen Tag in Furcht zu ſe- „tzen. Die Ehe-Stiftung iſt noch nicht unter-
zeich-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0016"n="2"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
Anklage wider mich ſeyn, ſo oft ich mich fuͤr ſchul-<lb/>
dig halte. Wenn es moͤglich iſt, daß durch eine um-<lb/>ſtaͤndliche Nachricht meine Schuld etwas gemaͤßi-<lb/>
get werden kann, alh welches das hoͤchſte iſt, das<lb/>
eine Perſon hoffen darf, die ſich nicht entſchuldigen<lb/>
kann: ſo weiß ich gewiß, daß ich von Jhrer<lb/>
Freundſchaft ein gemaͤßigtes Urtheil erwarten darf.<lb/>
Auf die Liebe anderer darf ich nicht hoffen: ohne<lb/>
Zweifel iſt jetzt jedermann der Mund wider mich<lb/>
geoͤffnet, und alle, die <hirendition="#fr">Clariſſa Harlowe</hi> gekannt<lb/>
haben, verdammen nun die entlauffene Tochter.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Nachdem ich meinen letzten Brief an Sie, den<lb/>
ich bis auf die letzte Stunde fortgeſetzet hatte, nie-<lb/>
dergeleget, ſo kam ich nach dem Sommer-Hauſe<lb/>
zuruͤck, und nahm nur noch meinen Brief an <hirendition="#fr">Lo-<lb/>
velacen</hi> zwiſchen den loſen Ziegeln weg. Jch<lb/>
uͤberlegte hier ſo ruhig, als es mir in meinen Um-<lb/>ſtaͤnden moͤglich war, was zwiſchen mir und meiner<lb/>
Frau Baſe Hervey vorgegangen war, und verglich<lb/>
einen Theil deſſen, was mir Dorthchen geſchrie-<lb/>
ben hatte, damit. Jch ſing zuletzt an Hoffnung<lb/>
zu ſchoͤpfen, daß ich mich vor dem bevorſtehenden<lb/>
Mittewochen nicht ſo ſehr fuͤrchten duͤrfte, als ich<lb/>
that. Dieſes waren die Gruͤnde, welche ich mir<lb/>
vorhielt.</p><lb/><p>„Der Mittewochen kann der Tag nicht ſeyn,<lb/>„den ſie im Sinne haben, ob ſie gleich wuͤnſchen<lb/>„moͤgen, mich durch dieſen Tag in Furcht zu ſe-<lb/>„tzen. Die Ehe-Stiftung iſt noch nicht unter-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">zeich-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[2/0016]
Anklage wider mich ſeyn, ſo oft ich mich fuͤr ſchul-
dig halte. Wenn es moͤglich iſt, daß durch eine um-
ſtaͤndliche Nachricht meine Schuld etwas gemaͤßi-
get werden kann, alh welches das hoͤchſte iſt, das
eine Perſon hoffen darf, die ſich nicht entſchuldigen
kann: ſo weiß ich gewiß, daß ich von Jhrer
Freundſchaft ein gemaͤßigtes Urtheil erwarten darf.
Auf die Liebe anderer darf ich nicht hoffen: ohne
Zweifel iſt jetzt jedermann der Mund wider mich
geoͤffnet, und alle, die Clariſſa Harlowe gekannt
haben, verdammen nun die entlauffene Tochter.
Nachdem ich meinen letzten Brief an Sie, den
ich bis auf die letzte Stunde fortgeſetzet hatte, nie-
dergeleget, ſo kam ich nach dem Sommer-Hauſe
zuruͤck, und nahm nur noch meinen Brief an Lo-
velacen zwiſchen den loſen Ziegeln weg. Jch
uͤberlegte hier ſo ruhig, als es mir in meinen Um-
ſtaͤnden moͤglich war, was zwiſchen mir und meiner
Frau Baſe Hervey vorgegangen war, und verglich
einen Theil deſſen, was mir Dorthchen geſchrie-
ben hatte, damit. Jch ſing zuletzt an Hoffnung
zu ſchoͤpfen, daß ich mich vor dem bevorſtehenden
Mittewochen nicht ſo ſehr fuͤrchten duͤrfte, als ich
that. Dieſes waren die Gruͤnde, welche ich mir
vorhielt.
„Der Mittewochen kann der Tag nicht ſeyn,
„den ſie im Sinne haben, ob ſie gleich wuͤnſchen
„moͤgen, mich durch dieſen Tag in Furcht zu ſe-
„tzen. Die Ehe-Stiftung iſt noch nicht unter-
zeich-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/16>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.