Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



urtheilet zu werden, daß ich diese Gelegenheit aus
den Händen gelassen habe.

Unterdessen, daß ich meinen letzten Brief an
Sie schrieb, schickte der ungeschliffene Mensch ei-
nige mahl zu mir, und bat sich meine Gesellschaft
aus. Er hatte nichts besonders mit mir zu spre-
chen: ich sollte ihm nur das Vergnügen machen,
und ihn sprechen hören. Er scheint in seine Schwatz-
haftigkeit sehr verliebt zu seyn. Er hat eine feine
Sammlung von artigen Schmeicheleyen: und
verlanget, daß ich ihm meine Ohren dazu leyhen
soll. Er brauchte sich diese Mühe nicht zu geben.
Denn selten gebe ich ihm sein gebührendes Lob,
und selten bezeige ich mein Vergnügen über seine
beredte Zunge nach seinem Wunsch.

Als ich den Brief geschrieben und dem guten
Freunde des Herrn Hickmanns übergeben hatte,
so wollte ich wieder hinauf gehen. Allein er bat mich,
unten zu bleiben, weil er etwas mit mir zu reden
hätte.

Es war (wie ich gleich zum voraus sagte) nichts
neues oder nothwendiges, sondern Klagen, die auf
eine beynahe unverschämte Art angebracht wurden.
Er sagte mir: er könnte nicht leben, wenn ich ihm
meine Gesellschaft entziehen, und nicht etwas
mehr Geduld mit ihm haben wollte, als ich bis-
her gehabt hätte.

Jch ging hierauf nicht ohne Unwillen mit ihm
in den Saal. Jch war desto verdrießlicher, weil
er ohne von einer Aenderung zu reden sich in diesem
Hause ruhig niedergelassen hatte.

Unse-



urtheilet zu werden, daß ich dieſe Gelegenheit aus
den Haͤnden gelaſſen habe.

Unterdeſſen, daß ich meinen letzten Brief an
Sie ſchrieb, ſchickte der ungeſchliffene Menſch ei-
nige mahl zu mir, und bat ſich meine Geſellſchaft
aus. Er hatte nichts beſonders mit mir zu ſpre-
chen: ich ſollte ihm nur das Vergnuͤgen machen,
und ihn ſprechen hoͤren. Er ſcheint in ſeine Schwatz-
haftigkeit ſehr verliebt zu ſeyn. Er hat eine feine
Sammlung von artigen Schmeicheleyen: und
verlanget, daß ich ihm meine Ohren dazu leyhen
ſoll. Er brauchte ſich dieſe Muͤhe nicht zu geben.
Denn ſelten gebe ich ihm ſein gebuͤhrendes Lob,
und ſelten bezeige ich mein Vergnuͤgen uͤber ſeine
beredte Zunge nach ſeinem Wunſch.

Als ich den Brief geſchrieben und dem guten
Freunde des Herrn Hickmanns uͤbergeben hatte,
ſo wollte ich wieder hinauf gehen. Allein er bat mich,
unten zu bleiben, weil er etwas mit mir zu reden
haͤtte.

Es war (wie ich gleich zum voraus ſagte) nichts
neues oder nothwendiges, ſondern Klagen, die auf
eine beynahe unverſchaͤmte Art angebracht wurden.
Er ſagte mir: er koͤnnte nicht leben, wenn ich ihm
meine Geſellſchaft entziehen, und nicht etwas
mehr Geduld mit ihm haben wollte, als ich bis-
her gehabt haͤtte.

Jch ging hierauf nicht ohne Unwillen mit ihm
in den Saal. Jch war deſto verdrießlicher, weil
er ohne von einer Aenderung zu reden ſich in dieſem
Hauſe ruhig niedergelaſſen hatte.

Unſe-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0162" n="148"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
urtheilet zu werden, daß ich die&#x017F;e Gelegenheit aus<lb/>
den Ha&#x0364;nden gela&#x017F;&#x017F;en habe.</p><lb/>
          <p>Unterde&#x017F;&#x017F;en, daß ich meinen letzten Brief an<lb/>
Sie &#x017F;chrieb, &#x017F;chickte der unge&#x017F;chliffene Men&#x017F;ch ei-<lb/>
nige mahl zu mir, und bat &#x017F;ich meine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft<lb/>
aus. Er hatte nichts be&#x017F;onders mit mir zu &#x017F;pre-<lb/>
chen: ich &#x017F;ollte ihm nur das Vergnu&#x0364;gen machen,<lb/>
und ihn &#x017F;prechen ho&#x0364;ren. Er &#x017F;cheint in &#x017F;eine Schwatz-<lb/>
haftigkeit &#x017F;ehr verliebt zu &#x017F;eyn. Er hat eine feine<lb/>
Sammlung von artigen Schmeicheleyen: und<lb/>
verlanget, daß ich ihm meine Ohren dazu leyhen<lb/>
&#x017F;oll. Er brauchte &#x017F;ich die&#x017F;e Mu&#x0364;he nicht zu geben.<lb/>
Denn &#x017F;elten gebe ich ihm &#x017F;ein gebu&#x0364;hrendes Lob,<lb/>
und &#x017F;elten bezeige ich mein Vergnu&#x0364;gen u&#x0364;ber &#x017F;eine<lb/>
beredte Zunge nach &#x017F;einem Wun&#x017F;ch.</p><lb/>
          <p>Als ich den Brief ge&#x017F;chrieben und dem guten<lb/>
Freunde des Herrn <hi rendition="#fr">Hickmanns</hi> u&#x0364;bergeben hatte,<lb/>
&#x017F;o wollte ich wieder hinauf gehen. Allein er bat mich,<lb/>
unten zu bleiben, weil er etwas mit mir zu reden<lb/>
ha&#x0364;tte.</p><lb/>
          <p>Es war (wie ich gleich zum voraus &#x017F;agte) nichts<lb/>
neues oder nothwendiges, &#x017F;ondern Klagen, die auf<lb/>
eine beynahe unver&#x017F;cha&#x0364;mte Art angebracht wurden.<lb/>
Er &#x017F;agte mir: er ko&#x0364;nnte nicht leben, wenn ich ihm<lb/>
meine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft entziehen, und nicht etwas<lb/>
mehr <hi rendition="#fr">Geduld</hi> mit ihm haben wollte, als ich bis-<lb/>
her gehabt ha&#x0364;tte.</p><lb/>
          <p>Jch ging hierauf nicht ohne Unwillen mit ihm<lb/>
in den Saal. Jch war de&#x017F;to verdrießlicher, weil<lb/>
er ohne von einer Aenderung zu reden &#x017F;ich in die&#x017F;em<lb/>
Hau&#x017F;e ruhig niedergela&#x017F;&#x017F;en hatte.</p><lb/>
          <fw place="bottom" type="catch">Un&#x017F;e-</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[148/0162] urtheilet zu werden, daß ich dieſe Gelegenheit aus den Haͤnden gelaſſen habe. Unterdeſſen, daß ich meinen letzten Brief an Sie ſchrieb, ſchickte der ungeſchliffene Menſch ei- nige mahl zu mir, und bat ſich meine Geſellſchaft aus. Er hatte nichts beſonders mit mir zu ſpre- chen: ich ſollte ihm nur das Vergnuͤgen machen, und ihn ſprechen hoͤren. Er ſcheint in ſeine Schwatz- haftigkeit ſehr verliebt zu ſeyn. Er hat eine feine Sammlung von artigen Schmeicheleyen: und verlanget, daß ich ihm meine Ohren dazu leyhen ſoll. Er brauchte ſich dieſe Muͤhe nicht zu geben. Denn ſelten gebe ich ihm ſein gebuͤhrendes Lob, und ſelten bezeige ich mein Vergnuͤgen uͤber ſeine beredte Zunge nach ſeinem Wunſch. Als ich den Brief geſchrieben und dem guten Freunde des Herrn Hickmanns uͤbergeben hatte, ſo wollte ich wieder hinauf gehen. Allein er bat mich, unten zu bleiben, weil er etwas mit mir zu reden haͤtte. Es war (wie ich gleich zum voraus ſagte) nichts neues oder nothwendiges, ſondern Klagen, die auf eine beynahe unverſchaͤmte Art angebracht wurden. Er ſagte mir: er koͤnnte nicht leben, wenn ich ihm meine Geſellſchaft entziehen, und nicht etwas mehr Geduld mit ihm haben wollte, als ich bis- her gehabt haͤtte. Jch ging hierauf nicht ohne Unwillen mit ihm in den Saal. Jch war deſto verdrießlicher, weil er ohne von einer Aenderung zu reden ſich in dieſem Hauſe ruhig niedergelaſſen hatte. Unſe-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/162
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/162>, abgerufen am 22.12.2024.