Unsere verdrießliche Unterredung nahm sogleich ihren Anfang. Er machte mich verdrießlich, und ich wiederholte einige sehr verständliche Wahrhei- ten, die ich ihm schon vorhin gesagt hatte. Jn- sonderheit versicherte ich ihm, daß mein Misver- gnügen gegen ihn und gegen meine eigene Ueberei- lung alle Stunden zunähme. Er schiene mir kein Mensch zu seyn, der durch den Umgang mit andern etwas lernete. Jch würde nicht vergnügt seyn, bis daß ich allein wäre.
Vielleicht befremdete ihn meine Heftigkeit. Al- lein er sahe so armseelig aus, und wußte so wenig zu seiner Entschuldigung vorzubringen, daß er mit solchem Ungestüm verlangt hatte, mich zu spre- chen, da er doch wußte, daß ein fremder Herr auf meinen Brief wartete: daß ich ihn stehen ließ, und ihm nur noch sagte, ich wollte meine Zeit nach mei- nem Willen eintheilen, und ihm weder von meiner Zeit noch von meinem Thun und Lassen Rechen- schaft geben.
Er war sehr unruhig, bis er mich endlich wieder zu sprechen bekam. Niemand konnte eine demü- thigere Gebeerde annehmen als er, da ich wieder zu ihm herunter kam: welches ich früher thun mußte, als mir es lieb war.
Er sagte mir: er hätte bey dieser Gelegenheit angefangen, sich genauer und schärfer zu untersu- chen, und sich besser kennen zu lernen. Er fände große Ursache, seine Ungeduld und Unbedachtsam- keit zu tadeln, die, ob sie gleich aus keinem bösen Hertzen entstünden, mir dennoch ohnmöglich an-
genehm
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Unſere verdrießliche Unterredung nahm ſogleich ihren Anfang. Er machte mich verdrießlich, und ich wiederholte einige ſehr verſtaͤndliche Wahrhei- ten, die ich ihm ſchon vorhin geſagt hatte. Jn- ſonderheit verſicherte ich ihm, daß mein Misver- gnuͤgen gegen ihn und gegen meine eigene Ueberei- lung alle Stunden zunaͤhme. Er ſchiene mir kein Menſch zu ſeyn, der durch den Umgang mit andern etwas lernete. Jch wuͤrde nicht vergnuͤgt ſeyn, bis daß ich allein waͤre.
Vielleicht befremdete ihn meine Heftigkeit. Al- lein er ſahe ſo armſeelig aus, und wußte ſo wenig zu ſeiner Entſchuldigung vorzubringen, daß er mit ſolchem Ungeſtuͤm verlangt hatte, mich zu ſpre- chen, da er doch wußte, daß ein fremder Herr auf meinen Brief wartete: daß ich ihn ſtehen ließ, und ihm nur noch ſagte, ich wollte meine Zeit nach mei- nem Willen eintheilen, und ihm weder von meiner Zeit noch von meinem Thun und Laſſen Rechen- ſchaft geben.
Er war ſehr unruhig, bis er mich endlich wieder zu ſprechen bekam. Niemand konnte eine demuͤ- thigere Gebeerde annehmen als er, da ich wieder zu ihm herunter kam: welches ich fruͤher thun mußte, als mir es lieb war.
Er ſagte mir: er haͤtte bey dieſer Gelegenheit angefangen, ſich genauer und ſchaͤrfer zu unterſu- chen, und ſich beſſer kennen zu lernen. Er faͤnde große Urſache, ſeine Ungeduld und Unbedachtſam- keit zu tadeln, die, ob ſie gleich aus keinem boͤſen Hertzen entſtuͤnden, mir dennoch ohnmoͤglich an-
genehm
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Unſere verdrießliche Unterredung nahm ſogleich
ihren Anfang. Er machte mich verdrießlich, und
ich wiederholte einige ſehr verſtaͤndliche Wahrhei-
ten, die ich ihm ſchon vorhin geſagt hatte. Jn-
ſonderheit verſicherte ich ihm, daß mein Misver-
gnuͤgen gegen ihn und gegen meine eigene Ueberei-
lung alle Stunden zunaͤhme. Er ſchiene mir kein
Menſch zu ſeyn, der durch den Umgang mit andern
etwas lernete. Jch wuͤrde nicht vergnuͤgt ſeyn, bis
daß ich allein waͤre.
Vielleicht befremdete ihn meine Heftigkeit. Al-
lein er ſahe ſo armſeelig aus, und wußte ſo wenig
zu ſeiner Entſchuldigung vorzubringen, daß er
mit ſolchem Ungeſtuͤm verlangt hatte, mich zu ſpre-
chen, da er doch wußte, daß ein fremder Herr auf
meinen Brief wartete: daß ich ihn ſtehen ließ, und
ihm nur noch ſagte, ich wollte meine Zeit nach mei-
nem Willen eintheilen, und ihm weder von meiner
Zeit noch von meinem Thun und Laſſen Rechen-
ſchaft geben.
Er war ſehr unruhig, bis er mich endlich wieder
zu ſprechen bekam. Niemand konnte eine demuͤ-
thigere Gebeerde annehmen als er, da ich wieder zu
ihm herunter kam: welches ich fruͤher thun mußte,
als mir es lieb war.
Er ſagte mir: er haͤtte bey dieſer Gelegenheit
angefangen, ſich genauer und ſchaͤrfer zu unterſu-
chen, und ſich beſſer kennen zu lernen. Er faͤnde
große Urſache, ſeine Ungeduld und Unbedachtſam-
keit zu tadeln, die, ob ſie gleich aus keinem boͤſen
Hertzen entſtuͤnden, mir dennoch ohnmoͤglich an-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 149. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/163>, abgerufen am 22.12.2024.
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