derheit meine Gefahr, sie auf ewig zu verlieren in Erwegung ziehen, so hoffe ich, daß sie mi[unleserliches Material - Zeichen fehlt] wegen dieser List so wenig, als wegen meines Vor- habens gegen den Solmes hassen werden. Denn was für ein elender Kerl mußte ich feyn, wenn uns jemand entdeckt hätte, und ich hätte sie der Tyran- ney ihres Bruders und anderer, deren Barmher- tzigkeit Grausamkeit war, ehe sie noch diesen Vor- wand hatten, überlassen?
Wie boshaft! (sagte ich) allein wenn ich ihre Erzählung für lauter Wahrheit annehmen, und glauben will, daß jemand in den Garten gekom- men ist, so möchte ich wissen, wie es zuging, daß niemand aus der Thür heraus kam, als der Jo- seph Lehmann,) denn diesen meine ich erkannt zu haben) und daß er uns bloß in der Ferne nachsahe?
Es ist mein Glück, daß - - (sagte er, und grif in eine Tasche nach der andern) Jch will nicht hoffen, daß ich den Brief weggeschmissen habe. Vielleicht steckt er in dem Rock, den ich gestern anhatte. Jch habe nie gedacht, daß an dem Briefe etwas gelegen seyn könnte: allein ich mag gern alles erweisen und belegen, wenn ich kann. Unordentlich und unbedachtsam bin ich: aber ein aufrichtigeres Hertz als ich kann niemand gegen sie haben.
Er rief darauf seinen Diener, und ließ den Rock bringen, den er gestern angehabt hatte. Jn dessen Tasche fand er einen übelverwahrten Brief von Jo- seph Lehmann, welchen er denselben Montag Abends geschrieben hatte: des Jnhalts: "er bäte um
Ver-
N 4
derheit meine Gefahr, ſie auf ewig zu verlieren in Erwegung ziehen, ſo hoffe ich, daß ſie mi[unleserliches Material – Zeichen fehlt] wegen dieſer Liſt ſo wenig, als wegen meines Vor- habens gegen den Solmes haſſen werden. Denn was fuͤr ein elender Kerl mußte ich feyn, wenn uns jemand entdeckt haͤtte, und ich haͤtte ſie der Tyran- ney ihres Bruders und anderer, deren Barmher- tzigkeit Grauſamkeit war, ehe ſie noch dieſen Vor- wand hatten, uͤberlaſſen?
Wie boshaft! (ſagte ich) allein wenn ich ihre Erzaͤhlung fuͤr lauter Wahrheit annehmen, und glauben will, daß jemand in den Garten gekom- men iſt, ſo moͤchte ich wiſſen, wie es zuging, daß niemand aus der Thuͤr heraus kam, als der Jo- ſeph Lehmann,) denn dieſen meine ich erkannt zu haben) und daß er uns bloß in der Ferne nachſahe?
Es iſt mein Gluͤck, daß ‒ ‒ (ſagte er, und grif in eine Taſche nach der andern) Jch will nicht hoffen, daß ich den Brief weggeſchmiſſen habe. Vielleicht ſteckt er in dem Rock, den ich geſtern anhatte. Jch habe nie gedacht, daß an dem Briefe etwas gelegen ſeyn koͤnnte: allein ich mag gern alles erweiſen und belegen, wenn ich kann. Unordentlich und unbedachtſam bin ich: aber ein aufrichtigeres Hertz als ich kann niemand gegen ſie haben.
Er rief darauf ſeinen Diener, und ließ den Rock bringen, den er geſtern angehabt hatte. Jn deſſen Taſche fand er einen uͤbelverwahrten Brief von Jo- ſeph Lehmann, welchen er denſelben Montag Abends geſchrieben hatte: des Jnhalts: „er baͤte um
Ver-
N 4
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0213"n="199"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
derheit meine Gefahr, ſie auf ewig zu verlieren<lb/>
in Erwegung ziehen, ſo hoffe ich, daß ſie mi<gapreason="illegible"unit="chars"/><lb/>
wegen dieſer Liſt ſo wenig, als wegen meines Vor-<lb/>
habens gegen den <hirendition="#fr">Solmes</hi> haſſen werden. Denn<lb/>
was fuͤr ein elender Kerl mußte ich feyn, wenn uns<lb/>
jemand entdeckt haͤtte, und ich haͤtte ſie der Tyran-<lb/>
ney ihres Bruders und anderer, deren Barmher-<lb/>
tzigkeit Grauſamkeit war, ehe ſie noch dieſen Vor-<lb/>
wand hatten, uͤberlaſſen?</p><lb/><p>Wie boshaft! (ſagte ich) allein wenn ich ihre<lb/>
Erzaͤhlung fuͤr lauter Wahrheit annehmen, und<lb/>
glauben will, daß jemand in den Garten gekom-<lb/>
men iſt, ſo moͤchte ich wiſſen, wie es zuging, daß<lb/>
niemand aus der Thuͤr heraus kam, als der Jo-<lb/>ſeph Lehmann,) denn dieſen meine ich erkannt zu<lb/>
haben) und daß er uns bloß in der Ferne nachſahe?</p><lb/><p>Es iſt mein Gluͤck, daß ‒‒ (ſagte er, und<lb/>
grif in eine Taſche nach der andern) Jch will nicht<lb/>
hoffen, daß ich den Brief weggeſchmiſſen habe.<lb/>
Vielleicht ſteckt er in dem Rock, den ich geſtern<lb/>
anhatte. Jch habe nie gedacht, daß an dem<lb/>
Briefe etwas gelegen ſeyn koͤnnte: allein ich mag<lb/>
gern alles erweiſen und belegen, wenn ich kann.<lb/>
Unordentlich und unbedachtſam bin ich: aber ein<lb/>
aufrichtigeres Hertz als ich kann niemand gegen<lb/>ſie haben.</p><lb/><p>Er rief darauf ſeinen Diener, und ließ den Rock<lb/>
bringen, den er geſtern angehabt hatte. Jn deſſen<lb/>
Taſche fand er einen uͤbelverwahrten Brief von Jo-<lb/>ſeph Lehmann, welchen er denſelben Montag Abends<lb/>
geſchrieben hatte: des Jnhalts: „er baͤte um<lb/><fwplace="bottom"type="sig">N 4</fw><fwplace="bottom"type="catch">Ver-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[199/0213]
derheit meine Gefahr, ſie auf ewig zu verlieren
in Erwegung ziehen, ſo hoffe ich, daß ſie mi_
wegen dieſer Liſt ſo wenig, als wegen meines Vor-
habens gegen den Solmes haſſen werden. Denn
was fuͤr ein elender Kerl mußte ich feyn, wenn uns
jemand entdeckt haͤtte, und ich haͤtte ſie der Tyran-
ney ihres Bruders und anderer, deren Barmher-
tzigkeit Grauſamkeit war, ehe ſie noch dieſen Vor-
wand hatten, uͤberlaſſen?
Wie boshaft! (ſagte ich) allein wenn ich ihre
Erzaͤhlung fuͤr lauter Wahrheit annehmen, und
glauben will, daß jemand in den Garten gekom-
men iſt, ſo moͤchte ich wiſſen, wie es zuging, daß
niemand aus der Thuͤr heraus kam, als der Jo-
ſeph Lehmann,) denn dieſen meine ich erkannt zu
haben) und daß er uns bloß in der Ferne nachſahe?
Es iſt mein Gluͤck, daß ‒ ‒ (ſagte er, und
grif in eine Taſche nach der andern) Jch will nicht
hoffen, daß ich den Brief weggeſchmiſſen habe.
Vielleicht ſteckt er in dem Rock, den ich geſtern
anhatte. Jch habe nie gedacht, daß an dem
Briefe etwas gelegen ſeyn koͤnnte: allein ich mag
gern alles erweiſen und belegen, wenn ich kann.
Unordentlich und unbedachtſam bin ich: aber ein
aufrichtigeres Hertz als ich kann niemand gegen
ſie haben.
Er rief darauf ſeinen Diener, und ließ den Rock
bringen, den er geſtern angehabt hatte. Jn deſſen
Taſche fand er einen uͤbelverwahrten Brief von Jo-
ſeph Lehmann, welchen er denſelben Montag Abends
geſchrieben hatte: des Jnhalts: „er baͤte um
Ver-
N 4
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 199. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/213>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.