Er erbot sich abermahls auf eine sehr höfliche Weise, mir mit Gelde zu dienen: allein ich verbat es eben so höflich.
Diese Unterredung sollte lauter angenehmes für mich haben. Er fragte mich, ob ich in dem Be- zirck der Stadt Windsor oder ausser der Stadt wohnen wollte?
So nahe bey dem Schlosse, als möglich: (sagte ich) damit ich mich des öffentlichen Gottes-Dien- stes desto besser bedienen kann; einer Wohlthat, der ich so lange habe entbehren müssen.
Er antwortete mir: es würde ihm am liebsten seyn, wenn er mich bey einem von den Dom-Her- ren einmiethen könnte; weil er glaubte, daß ich selbst eine solche Wohnung aus mehreren Ursachen vor- ziehen würde. Er würde vergnügt und ruhig seyn, weil er sich durch mein Versprechen genugsam ge- sichet halte, daß ich keinen andern als ihn nehmen würde, so lange er die Bedingung hielte, die er mit so vielem Vergnügen eingegangen hätte. Es liege ihm selbst nur ob, sich auf die eintzige mögliche Weise um meine Werthachtung und um mein Hertz zu bewerben. Er setzte mit einem ernsthaften Ge- sichte hinzu: meine liebe Fräulein, ich bin zwar noch jung, allein ich habe eine lange Bahn des Unrechts zurückgeleget. Jch hoffe nicht, daß mich ihr tu- gendhaftes Hertz um dieses Geständnisses willen ver- achten wird. Es ist jetzt für mich die höchste Zeit, an eine Besserung zu gedencken, nachdem ich schon mit Salomon sagen kann, daß mir nichts unter der Sonnen neu ist. Allein ich glaube, daß die
Tugend
O 4
Er erbot ſich abermahls auf eine ſehr hoͤfliche Weiſe, mir mit Gelde zu dienen: allein ich verbat es eben ſo hoͤflich.
Dieſe Unterredung ſollte lauter angenehmes fuͤr mich haben. Er fragte mich, ob ich in dem Be- zirck der Stadt Windſor oder auſſer der Stadt wohnen wollte?
So nahe bey dem Schloſſe, als moͤglich: (ſagte ich) damit ich mich des oͤffentlichen Gottes-Dien- ſtes deſto beſſer bedienen kann; einer Wohlthat, der ich ſo lange habe entbehren muͤſſen.
Er antwortete mir: es wuͤrde ihm am liebſten ſeyn, wenn er mich bey einem von den Dom-Her- ren einmiethen koͤnnte; weil er glaubte, daß ich ſelbſt eine ſolche Wohnung aus mehreren Urſachen vor- ziehen wuͤrde. Er wuͤrde vergnuͤgt und ruhig ſeyn, weil er ſich durch mein Verſprechen genugſam ge- ſichet halte, daß ich keinen andern als ihn nehmen wuͤrde, ſo lange er die Bedingung hielte, die er mit ſo vielem Vergnuͤgen eingegangen haͤtte. Es liege ihm ſelbſt nur ob, ſich auf die eintzige moͤgliche Weiſe um meine Werthachtung und um mein Hertz zu bewerben. Er ſetzte mit einem ernſthaften Ge- ſichte hinzu: meine liebe Fraͤulein, ich bin zwar noch jung, allein ich habe eine lange Bahn des Unrechts zuruͤckgeleget. Jch hoffe nicht, daß mich ihr tu- gendhaftes Hertz um dieſes Geſtaͤndniſſes willen ver- achten wird. Es iſt jetzt fuͤr mich die hoͤchſte Zeit, an eine Beſſerung zu gedencken, nachdem ich ſchon mit Salomon ſagen kann, daß mir nichts unter der Sonnen neu iſt. Allein ich glaube, daß die
Tugend
O 4
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Er erbot ſich abermahls auf eine ſehr hoͤfliche
Weiſe, mir mit Gelde zu dienen: allein ich verbat
es eben ſo hoͤflich.
Dieſe Unterredung ſollte lauter angenehmes fuͤr
mich haben. Er fragte mich, ob ich in dem Be-
zirck der Stadt Windſor oder auſſer der Stadt
wohnen wollte?
So nahe bey dem Schloſſe, als moͤglich: (ſagte
ich) damit ich mich des oͤffentlichen Gottes-Dien-
ſtes deſto beſſer bedienen kann; einer Wohlthat,
der ich ſo lange habe entbehren muͤſſen.
Er antwortete mir: es wuͤrde ihm am liebſten
ſeyn, wenn er mich bey einem von den Dom-Her-
ren einmiethen koͤnnte; weil er glaubte, daß ich ſelbſt
eine ſolche Wohnung aus mehreren Urſachen vor-
ziehen wuͤrde. Er wuͤrde vergnuͤgt und ruhig ſeyn,
weil er ſich durch mein Verſprechen genugſam ge-
ſichet halte, daß ich keinen andern als ihn nehmen
wuͤrde, ſo lange er die Bedingung hielte, die er mit
ſo vielem Vergnuͤgen eingegangen haͤtte. Es liege
ihm ſelbſt nur ob, ſich auf die eintzige moͤgliche
Weiſe um meine Werthachtung und um mein Hertz
zu bewerben. Er ſetzte mit einem ernſthaften Ge-
ſichte hinzu: meine liebe Fraͤulein, ich bin zwar noch
jung, allein ich habe eine lange Bahn des Unrechts
zuruͤckgeleget. Jch hoffe nicht, daß mich ihr tu-
gendhaftes Hertz um dieſes Geſtaͤndniſſes willen ver-
achten wird. Es iſt jetzt fuͤr mich die hoͤchſte Zeit,
an eine Beſſerung zu gedencken, nachdem ich ſchon
mit Salomon ſagen kann, daß mir nichts unter
der Sonnen neu iſt. Allein ich glaube, daß die
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 215. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/229>, abgerufen am 22.12.2024.
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