artige Wendung ich meinem Eigenlobe zu geben weiß: du bewunderst diese Geschicklichkeit zwar, al- lein du vergissest sie, ich weiß nicht wie? mir in Rechnung zu bringen. Dein Neid ist die Ursache dieser Vergeßlichkeit, wenn dich die Natur zur Be- wunderung zwinget. Du bist ein viel so kurtzsich- tiger Kerl, alß daß du deine eigene Seele und die wahren Quellen deiner Leidenschaften kennen solltest.
Du redest schon wieder! Mich dünckt, du ant- wortest mir: deine Beschuldigung gegen mich spricht dich, Lovelace, nicht von der Anklage frey, daß du hochmüthig seyst.
Du sagst die Wahrheit. Jch glaube selbst, daß mir die Natur nicht wenig Einbildung gegeben hat. Allein wenn es meines gleichen verarget wird, daß wir uns etwas einbilden, so weiß ich nicht, bey wem man diese Schwachheits-Sünde entschuldigen will. Und dennoch finde ich bey mehrerer Uberlegung, daß meines gleichen am wenigsten Ursache habe, sich et- was einzubilden, und hochmütig zu seyn: denn die Welt wird sie selbst kennen und ehren, weil ihrer so wenige in der Welt sind. Wenn man einen Narren überzeugen kann, daß ein Mensch in der Welt mehr Verstand hat als er, so wird er von selbst glauben, daß dieser Mensch ein Wunder des Verstandes seyn müsse.
Was wird die allgemeine Lehre für alle Men- schen seyn, die hieraus folget? nicht wahr, diese: daß niemand hochmüthig seyn solle? Wie aber, wenn es uns ohnmöglich ist, nicht hochmüthig zu seyn? Vielleicht bin ich in solchen Umständen! Jch bilde
mir
Dritter Theil. P
artige Wendung ich meinem Eigenlobe zu geben weiß: du bewunderſt dieſe Geſchicklichkeit zwar, al- lein du vergiſſeſt ſie, ich weiß nicht wie? mir in Rechnung zu bringen. Dein Neid iſt die Urſache dieſer Vergeßlichkeit, wenn dich die Natur zur Be- wunderung zwinget. Du biſt ein viel ſo kurtzſich- tiger Kerl, alß daß du deine eigene Seele und die wahren Quellen deiner Leidenſchaften kennen ſollteſt.
Du redeſt ſchon wieder! Mich duͤnckt, du ant- worteſt mir: deine Beſchuldigung gegen mich ſpricht dich, Lovelace, nicht von der Anklage frey, daß du hochmuͤthig ſeyſt.
Du ſagſt die Wahrheit. Jch glaube ſelbſt, daß mir die Natur nicht wenig Einbildung gegeben hat. Allein wenn es meines gleichen verarget wird, daß wir uns etwas einbilden, ſo weiß ich nicht, bey wem man dieſe Schwachheits-Suͤnde entſchuldigen will. Und dennoch finde ich bey mehrerer Uberlegung, daß meines gleichen am wenigſten Urſache habe, ſich et- was einzubilden, und hochmuͤtig zu ſeyn: denn die Welt wird ſie ſelbſt kennen und ehren, weil ihrer ſo wenige in der Welt ſind. Wenn man einen Narren uͤberzeugen kann, daß ein Menſch in der Welt mehr Verſtand hat als er, ſo wird er von ſelbſt glauben, daß dieſer Menſch ein Wunder des Verſtandes ſeyn muͤſſe.
Was wird die allgemeine Lehre fuͤr alle Men- ſchen ſeyn, die hieraus folget? nicht wahr, dieſe: daß niemand hochmuͤthig ſeyn ſolle? Wie aber, wenn es uns ohnmoͤglich iſt, nicht hochmuͤthig zu ſeyn? Vielleicht bin ich in ſolchen Umſtaͤnden! Jch bilde
mir
Dritter Theil. P
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0239"n="225"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
artige Wendung ich meinem Eigenlobe zu geben<lb/>
weiß: du bewunderſt dieſe Geſchicklichkeit zwar, al-<lb/>
lein du vergiſſeſt ſie, ich weiß nicht wie? mir in<lb/>
Rechnung zu bringen. Dein Neid iſt die Urſache<lb/>
dieſer Vergeßlichkeit, wenn dich die Natur zur Be-<lb/>
wunderung zwinget. Du biſt ein viel ſo kurtzſich-<lb/>
tiger Kerl, alß daß du deine eigene Seele und die<lb/>
wahren Quellen deiner Leidenſchaften kennen ſollteſt.</p><lb/><p>Du redeſt ſchon wieder! Mich duͤnckt, du ant-<lb/>
worteſt mir: deine Beſchuldigung gegen mich ſpricht<lb/>
dich, <hirendition="#fr">Lovelace,</hi> nicht von der Anklage frey, daß<lb/>
du hochmuͤthig ſeyſt.</p><lb/><p>Du ſagſt die Wahrheit. Jch glaube ſelbſt, daß<lb/>
mir die Natur nicht wenig Einbildung gegeben hat.<lb/>
Allein wenn es meines gleichen verarget wird, daß<lb/>
wir uns etwas einbilden, ſo weiß ich nicht, bey wem<lb/>
man dieſe Schwachheits-Suͤnde entſchuldigen will.<lb/>
Und dennoch finde ich bey mehrerer Uberlegung, daß<lb/>
meines gleichen am wenigſten Urſache habe, ſich et-<lb/>
was einzubilden, und hochmuͤtig zu ſeyn: denn die<lb/>
Welt wird ſie ſelbſt kennen und ehren, weil ihrer<lb/>ſo wenige in der Welt ſind. Wenn man einen<lb/>
Narren uͤberzeugen kann, daß ein Menſch in der<lb/>
Welt mehr Verſtand hat als er, ſo wird er von<lb/>ſelbſt glauben, daß dieſer Menſch ein Wunder des<lb/>
Verſtandes ſeyn muͤſſe.</p><lb/><p>Was wird die allgemeine Lehre fuͤr alle Men-<lb/>ſchen ſeyn, die hieraus folget? nicht wahr, dieſe:<lb/>
daß niemand hochmuͤthig ſeyn ſolle? Wie aber, wenn<lb/>
es uns ohnmoͤglich iſt, nicht hochmuͤthig zu ſeyn?<lb/>
Vielleicht bin ich in ſolchen Umſtaͤnden! Jch bilde<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#fr">Dritter Theil.</hi> P</fw><fwplace="bottom"type="catch">mir</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[225/0239]
artige Wendung ich meinem Eigenlobe zu geben
weiß: du bewunderſt dieſe Geſchicklichkeit zwar, al-
lein du vergiſſeſt ſie, ich weiß nicht wie? mir in
Rechnung zu bringen. Dein Neid iſt die Urſache
dieſer Vergeßlichkeit, wenn dich die Natur zur Be-
wunderung zwinget. Du biſt ein viel ſo kurtzſich-
tiger Kerl, alß daß du deine eigene Seele und die
wahren Quellen deiner Leidenſchaften kennen ſollteſt.
Du redeſt ſchon wieder! Mich duͤnckt, du ant-
worteſt mir: deine Beſchuldigung gegen mich ſpricht
dich, Lovelace, nicht von der Anklage frey, daß
du hochmuͤthig ſeyſt.
Du ſagſt die Wahrheit. Jch glaube ſelbſt, daß
mir die Natur nicht wenig Einbildung gegeben hat.
Allein wenn es meines gleichen verarget wird, daß
wir uns etwas einbilden, ſo weiß ich nicht, bey wem
man dieſe Schwachheits-Suͤnde entſchuldigen will.
Und dennoch finde ich bey mehrerer Uberlegung, daß
meines gleichen am wenigſten Urſache habe, ſich et-
was einzubilden, und hochmuͤtig zu ſeyn: denn die
Welt wird ſie ſelbſt kennen und ehren, weil ihrer
ſo wenige in der Welt ſind. Wenn man einen
Narren uͤberzeugen kann, daß ein Menſch in der
Welt mehr Verſtand hat als er, ſo wird er von
ſelbſt glauben, daß dieſer Menſch ein Wunder des
Verſtandes ſeyn muͤſſe.
Was wird die allgemeine Lehre fuͤr alle Men-
ſchen ſeyn, die hieraus folget? nicht wahr, dieſe:
daß niemand hochmuͤthig ſeyn ſolle? Wie aber, wenn
es uns ohnmoͤglich iſt, nicht hochmuͤthig zu ſeyn?
Vielleicht bin ich in ſolchen Umſtaͤnden! Jch bilde
mir
Dritter Theil. P
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/239>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.