de ich nicht vermeyden können, die seinige zu wer- den, und ich würde meiner eigenen Familie zu tro- tzen scheinen. Soll ich mich nicht an die Meinigen wenden, und den Ausgang abwarten, ehe ich dieses äußerste versuche? Und dennoch kann ich nicht ein- mahl den Meinigen Vorschläge thun, ehe ich aus seinen Händen bin.
Frau Sorlings zeigete mir heute früh einen Brief, den sie gestern Abend von ihrer Schwester der Frau Greme erhalten hatte. Das erste in diesem Briefe ist eine Entschuldigung gegen mich. Sie hoffet, ich würde ihr eine unverlangte Dienst- fertigkeit zu gute halten, wenn ihre Schwester sich unterstünde, mir ihren Brief zu zeigen. Sie wünsche um der vornehmen Familie willen, ja sie unterstehe sich auch zu sagen, um meinet willen, daß ich mich bewegen ließe, seine Gnaden (so nennet sie Lovelacen) glücklich zu machen. Sie sey zu diesem Briefe und Wunsch durch das bewogen wor- den, was er die Gnade gehabt habe, gegen sie fal- len zu lassen, da er auf seiner Reise nach Windsor bey ihr angesprochen und sie sich die Freyheit genom- men habe, ihn zu fragen, ob es ihr erlaubt sey, ihm zu gratuliren? Er habe nie ein Frauenzimmer so lieben können, als mich: kein Frauenzimmer sey so würdig gewesen geliebt zu werden: so oft er mit mir umzugehen das Glück hätte, wachse auch seine Bewunderung und Ehrfurcht gegen mich. Seine Liebe gegen mich sey so rein, daß er sich vorhin nie etwas so reines habe vorstellen können, und nie ge- dacht hätte, daß etwas auf Erden einen so himmli-
schen
de ich nicht vermeyden koͤnnen, die ſeinige zu wer- den, und ich wuͤrde meiner eigenen Familie zu tro- tzen ſcheinen. Soll ich mich nicht an die Meinigen wenden, und den Ausgang abwarten, ehe ich dieſes aͤußerſte verſuche? Und dennoch kann ich nicht ein- mahl den Meinigen Vorſchlaͤge thun, ehe ich aus ſeinen Haͤnden bin.
Frau Sorlings zeigete mir heute fruͤh einen Brief, den ſie geſtern Abend von ihrer Schweſter der Frau Greme erhalten hatte. Das erſte in dieſem Briefe iſt eine Entſchuldigung gegen mich. Sie hoffet, ich wuͤrde ihr eine unverlangte Dienſt- fertigkeit zu gute halten, wenn ihre Schweſter ſich unterſtuͤnde, mir ihren Brief zu zeigen. Sie wuͤnſche um der vornehmen Familie willen, ja ſie unterſtehe ſich auch zu ſagen, um meinet willen, daß ich mich bewegen ließe, ſeine Gnaden (ſo nennet ſie Lovelacen) gluͤcklich zu machen. Sie ſey zu dieſem Briefe und Wunſch durch das bewogen wor- den, was er die Gnade gehabt habe, gegen ſie fal- len zu laſſen, da er auf ſeiner Reiſe nach Windſor bey ihr angeſprochen und ſie ſich die Freyheit genom- men habe, ihn zu fragen, ob es ihr erlaubt ſey, ihm zu gratuliren? Er habe nie ein Frauenzimmer ſo lieben koͤnnen, als mich: kein Frauenzimmer ſey ſo wuͤrdig geweſen geliebt zu werden: ſo oft er mit mir umzugehen das Gluͤck haͤtte, wachſe auch ſeine Bewunderung und Ehrfurcht gegen mich. Seine Liebe gegen mich ſey ſo rein, daß er ſich vorhin nie etwas ſo reines habe vorſtellen koͤnnen, und nie ge- dacht haͤtte, daß etwas auf Erden einen ſo himmli-
ſchen
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de ich nicht vermeyden koͤnnen, die ſeinige zu wer-
den, und ich wuͤrde meiner eigenen Familie zu tro-
tzen ſcheinen. Soll ich mich nicht an die Meinigen
wenden, und den Ausgang abwarten, ehe ich dieſes
aͤußerſte verſuche? Und dennoch kann ich nicht ein-
mahl den Meinigen Vorſchlaͤge thun, ehe ich aus
ſeinen Haͤnden bin.
Frau Sorlings zeigete mir heute fruͤh einen
Brief, den ſie geſtern Abend von ihrer Schweſter
der Frau Greme erhalten hatte. Das erſte in
dieſem Briefe iſt eine Entſchuldigung gegen mich.
Sie hoffet, ich wuͤrde ihr eine unverlangte Dienſt-
fertigkeit zu gute halten, wenn ihre Schweſter
ſich unterſtuͤnde, mir ihren Brief zu zeigen. Sie
wuͤnſche um der vornehmen Familie willen, ja ſie
unterſtehe ſich auch zu ſagen, um meinet willen, daß
ich mich bewegen ließe, ſeine Gnaden (ſo nennet
ſie Lovelacen) gluͤcklich zu machen. Sie ſey zu
dieſem Briefe und Wunſch durch das bewogen wor-
den, was er die Gnade gehabt habe, gegen ſie fal-
len zu laſſen, da er auf ſeiner Reiſe nach Windſor
bey ihr angeſprochen und ſie ſich die Freyheit genom-
men habe, ihn zu fragen, ob es ihr erlaubt ſey,
ihm zu gratuliren? Er habe nie ein Frauenzimmer
ſo lieben koͤnnen, als mich: kein Frauenzimmer ſey
ſo wuͤrdig geweſen geliebt zu werden: ſo oft er mit
mir umzugehen das Gluͤck haͤtte, wachſe auch ſeine
Bewunderung und Ehrfurcht gegen mich. Seine
Liebe gegen mich ſey ſo rein, daß er ſich vorhin nie
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/256>, abgerufen am 22.12.2024.
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