Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite


Es ist einer der betrübtesten Umstände, in den
man sich durch Unbedächtlichkeit setzet, daß man al-
len die uns lieben, Kummer, und allen die uns und
unsere Familie hassen, Freude verursachet.

Wie nützlich könnte diese Betrachtung seyn, wenn
man zu rechter Zeit, da eben der Ausschlag unseren
Entschliessungen zu geben ist, darauf geführet
würde!

Sie erkennen den Werth der Tugend bey einer
Manns-Person nicht genug. So edel auch sonst
Jhr Gemüth ist, so sind Sie doch von dem Fehler
nicht völlig rein, daß Sie das geringe schätzen, was
Sie haben. Es würde Jhnen gewiß nicht in den
Sinn kommen, wenn Herr Lovelace Jhr Anbeter
wäre, ihm auf eben die Art zu begegnen, wie sich
der ihm weit vorzuziehende Herr Hickmann es ge-
fallen lassen muß. Sie kennen doch die Person,
die von meiner Mutter an mich schrieb:
wer viel ertragen könne, dem werde auch gemeinig-
lich viel zu tragen aufgelegt. Jch glaube Herr
Hickmann würde begierig seyn, den Nahmen die-
ses Frauenzimmers zu wissen; in der gewissen Hoff-
nung, daß es seinen eigenen Satz zur Uebung brin-
gen werde: und er würde wünschen, daß dieses
Frauenzimmer mit der Fräulein Howe bekannt
seyn möchte.

Ein artiges und edles Hertz ist gewiß keine ver-
ächtliche Eigenschaft einer Manns-Person. War-
um bekäme sonst der vornehmste Stand den Nah-
men des Adels? einen Nahmen, den oft Fürsten
nicht verdienen: weil uns nicht so wohl Geburt und

Güter


Es iſt einer der betruͤbteſten Umſtaͤnde, in den
man ſich durch Unbedaͤchtlichkeit ſetzet, daß man al-
len die uns lieben, Kummer, und allen die uns und
unſere Familie haſſen, Freude verurſachet.

Wie nuͤtzlich koͤnnte dieſe Betrachtung ſeyn, wenn
man zu rechter Zeit, da eben der Ausſchlag unſeren
Entſchlieſſungen zu geben iſt, darauf gefuͤhret
wuͤrde!

Sie erkennen den Werth der Tugend bey einer
Manns-Perſon nicht genug. So edel auch ſonſt
Jhr Gemuͤth iſt, ſo ſind Sie doch von dem Fehler
nicht voͤllig rein, daß Sie das geringe ſchaͤtzen, was
Sie haben. Es wuͤrde Jhnen gewiß nicht in den
Sinn kommen, wenn Herr Lovelace Jhr Anbeter
waͤre, ihm auf eben die Art zu begegnen, wie ſich
der ihm weit vorzuziehende Herr Hickmann es ge-
fallen laſſen muß. Sie kennen doch die Perſon,
die von meiner Mutter an mich ſchrieb:
wer viel ertragen koͤnne, dem werde auch gemeinig-
lich viel zu tragen aufgelegt. Jch glaube Herr
Hickmann wuͤrde begierig ſeyn, den Nahmen die-
ſes Frauenzimmers zu wiſſen; in der gewiſſen Hoff-
nung, daß es ſeinen eigenen Satz zur Uebung brin-
gen werde: und er wuͤrde wuͤnſchen, daß dieſes
Frauenzimmer mit der Fraͤulein Howe bekannt
ſeyn moͤchte.

Ein artiges und edles Hertz iſt gewiß keine ver-
aͤchtliche Eigenſchaft einer Manns-Perſon. War-
um bekaͤme ſonſt der vornehmſte Stand den Nah-
men des Adels? einen Nahmen, den oft Fuͤrſten
nicht verdienen: weil uns nicht ſo wohl Geburt und

Guͤter
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0258" n="244"/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <p>Es i&#x017F;t einer der betru&#x0364;bte&#x017F;ten Um&#x017F;ta&#x0364;nde, in den<lb/>
man &#x017F;ich durch Unbeda&#x0364;chtlichkeit &#x017F;etzet, daß man al-<lb/>
len die uns lieben, Kummer, und allen die uns und<lb/>
un&#x017F;ere Familie ha&#x017F;&#x017F;en, Freude verur&#x017F;achet.</p><lb/>
          <p>Wie nu&#x0364;tzlich ko&#x0364;nnte die&#x017F;e Betrachtung &#x017F;eyn, wenn<lb/>
man zu rechter Zeit, da eben der Aus&#x017F;chlag un&#x017F;eren<lb/>
Ent&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;ungen zu geben i&#x017F;t, darauf gefu&#x0364;hret<lb/>
wu&#x0364;rde!</p><lb/>
          <p>Sie erkennen den Werth der Tugend bey einer<lb/>
Manns-Per&#x017F;on nicht genug. So edel auch &#x017F;on&#x017F;t<lb/>
Jhr Gemu&#x0364;th i&#x017F;t, &#x017F;o &#x017F;ind Sie doch von dem Fehler<lb/>
nicht vo&#x0364;llig rein, daß Sie das geringe &#x017F;cha&#x0364;tzen, was<lb/>
Sie haben. Es wu&#x0364;rde Jhnen gewiß nicht in den<lb/>
Sinn kommen, wenn Herr <hi rendition="#fr">Lovelace</hi> Jhr Anbeter<lb/>
wa&#x0364;re, ihm auf eben die Art zu begegnen, wie &#x017F;ich<lb/>
der ihm weit vorzuziehende Herr <hi rendition="#fr">Hickmann</hi> es ge-<lb/>
fallen la&#x017F;&#x017F;en muß. Sie kennen doch die Per&#x017F;on,<lb/>
die von meiner Mutter an mich &#x017F;chrieb:<lb/>
wer viel ertragen ko&#x0364;nne, dem werde auch gemeinig-<lb/>
lich viel zu tragen aufgelegt. Jch glaube Herr<lb/><hi rendition="#fr">Hickmann</hi> wu&#x0364;rde begierig &#x017F;eyn, den Nahmen die-<lb/>
&#x017F;es Frauenzimmers zu wi&#x017F;&#x017F;en; in der gewi&#x017F;&#x017F;en Hoff-<lb/>
nung, daß es &#x017F;einen eigenen Satz zur Uebung brin-<lb/>
gen werde: und er wu&#x0364;rde wu&#x0364;n&#x017F;chen, daß die&#x017F;es<lb/>
Frauenzimmer mit der Fra&#x0364;ulein <hi rendition="#fr">Howe</hi> bekannt<lb/>
&#x017F;eyn mo&#x0364;chte.</p><lb/>
          <p>Ein artiges und edles Hertz i&#x017F;t gewiß keine ver-<lb/>
a&#x0364;chtliche Eigen&#x017F;chaft einer Manns-Per&#x017F;on. War-<lb/>
um beka&#x0364;me &#x017F;on&#x017F;t der vornehm&#x017F;te Stand den Nah-<lb/>
men des Adels? einen Nahmen, den oft Fu&#x0364;r&#x017F;ten<lb/>
nicht verdienen: weil uns nicht &#x017F;o wohl Geburt und<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Gu&#x0364;ter</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[244/0258] Es iſt einer der betruͤbteſten Umſtaͤnde, in den man ſich durch Unbedaͤchtlichkeit ſetzet, daß man al- len die uns lieben, Kummer, und allen die uns und unſere Familie haſſen, Freude verurſachet. Wie nuͤtzlich koͤnnte dieſe Betrachtung ſeyn, wenn man zu rechter Zeit, da eben der Ausſchlag unſeren Entſchlieſſungen zu geben iſt, darauf gefuͤhret wuͤrde! Sie erkennen den Werth der Tugend bey einer Manns-Perſon nicht genug. So edel auch ſonſt Jhr Gemuͤth iſt, ſo ſind Sie doch von dem Fehler nicht voͤllig rein, daß Sie das geringe ſchaͤtzen, was Sie haben. Es wuͤrde Jhnen gewiß nicht in den Sinn kommen, wenn Herr Lovelace Jhr Anbeter waͤre, ihm auf eben die Art zu begegnen, wie ſich der ihm weit vorzuziehende Herr Hickmann es ge- fallen laſſen muß. Sie kennen doch die Perſon, die von meiner Mutter an mich ſchrieb: wer viel ertragen koͤnne, dem werde auch gemeinig- lich viel zu tragen aufgelegt. Jch glaube Herr Hickmann wuͤrde begierig ſeyn, den Nahmen die- ſes Frauenzimmers zu wiſſen; in der gewiſſen Hoff- nung, daß es ſeinen eigenen Satz zur Uebung brin- gen werde: und er wuͤrde wuͤnſchen, daß dieſes Frauenzimmer mit der Fraͤulein Howe bekannt ſeyn moͤchte. Ein artiges und edles Hertz iſt gewiß keine ver- aͤchtliche Eigenſchaft einer Manns-Perſon. War- um bekaͤme ſonſt der vornehmſte Stand den Nah- men des Adels? einen Nahmen, den oft Fuͤrſten nicht verdienen: weil uns nicht ſo wohl Geburt und Guͤter

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/258
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/258>, abgerufen am 22.12.2024.