Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



die beste Meinung von der Klugheit der Töchter
hat, geführet werden, als der ist, der aus meinem
eignen Beyspiel fließet?

Sind nicht die Jahre von dem sechszehenten zu
dem ein und zwantzigsten die gefährlichen Jahre,
die einer solchen Aufsicht am meisten benöthiget
sind? Jn diesen Jahren pflegen wir die Augen der
Manns-Personen am meisten an uns zu ziehen:
und wir sind ihren Bitten und oft ihren Versu-
chungen in der Zeit am meisten unterworfen. Jst
nicht dieses die Zeit, in welcher uns unsre Auffüh-
rung Ehre oder Schande erwirbet, die uns unser
gantzes Leben hindurch nachzufolgen pfleget.

Sind wir nicht in der Zeit unserer selbst wegen
in der grössesten Gefahr, weil unsere Augen einige
unserer Anbeter den andern vorzuziehen pflegen?

Wenn nun unsere Gefahr von innen und von
aussen gedoppelt ist, sollen nicht billig unsere Eltern
ihre Sorgfalt verdoppeln? Soll uns diese nothwen-
dige Verdoppelung ihrer Sorgfalt deswegen ver-
drießlich seyn, weil wir erwachsen sind?

Sagen Sie mir doch, wie groß, wie alt muß
eine Tochter seyn, die mit Recht glauben kann, daß
sie dem Gehorsahm gegen ihre Eltern entwachsen
sey? und vor die ihre Eltern eben so wenig Sorge
tragen sollen, als die Thiere vor ihre erwachsene
Junge tragen?

Es kommt Jhnen hart vor, daß Jhre Frau
Mutter mit Jhnen umgehet, als mit einem Kinde?
Muß es aber der Mutter nicht eben so unangenehm

seyn,



die beſte Meinung von der Klugheit der Toͤchter
hat, gefuͤhret werden, als der iſt, der aus meinem
eignen Beyſpiel fließet?

Sind nicht die Jahre von dem ſechszehenten zu
dem ein und zwantzigſten die gefaͤhrlichen Jahre,
die einer ſolchen Aufſicht am meiſten benoͤthiget
ſind? Jn dieſen Jahren pflegen wir die Augen der
Manns-Perſonen am meiſten an uns zu ziehen:
und wir ſind ihren Bitten und oft ihren Verſu-
chungen in der Zeit am meiſten unterworfen. Jſt
nicht dieſes die Zeit, in welcher uns unſre Auffuͤh-
rung Ehre oder Schande erwirbet, die uns unſer
gantzes Leben hindurch nachzufolgen pfleget.

Sind wir nicht in der Zeit unſerer ſelbſt wegen
in der groͤſſeſten Gefahr, weil unſere Augen einige
unſerer Anbeter den andern vorzuziehen pflegen?

Wenn nun unſere Gefahr von innen und von
auſſen gedoppelt iſt, ſollen nicht billig unſere Eltern
ihre Sorgfalt verdoppeln? Soll uns dieſe nothwen-
dige Verdoppelung ihrer Sorgfalt deswegen ver-
drießlich ſeyn, weil wir erwachſen ſind?

Sagen Sie mir doch, wie groß, wie alt muß
eine Tochter ſeyn, die mit Recht glauben kann, daß
ſie dem Gehorſahm gegen ihre Eltern entwachſen
ſey? und vor die ihre Eltern eben ſo wenig Sorge
tragen ſollen, als die Thiere vor ihre erwachſene
Junge tragen?

Es kommt Jhnen hart vor, daß Jhre Frau
Mutter mit Jhnen umgehet, als mit einem Kinde?
Muß es aber der Mutter nicht eben ſo unangenehm

ſeyn,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0332" n="318"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
die be&#x017F;te Meinung von der Klugheit der To&#x0364;chter<lb/>
hat, gefu&#x0364;hret werden, als der i&#x017F;t, der aus meinem<lb/>
eignen Bey&#x017F;piel fließet?</p><lb/>
          <p>Sind nicht die Jahre von dem &#x017F;echszehenten zu<lb/>
dem ein und zwantzig&#x017F;ten die gefa&#x0364;hrlichen Jahre,<lb/>
die einer &#x017F;olchen Auf&#x017F;icht am mei&#x017F;ten beno&#x0364;thiget<lb/>
&#x017F;ind? Jn die&#x017F;en Jahren pflegen wir die Augen der<lb/>
Manns-Per&#x017F;onen am mei&#x017F;ten an uns zu ziehen:<lb/>
und wir &#x017F;ind ihren Bitten und oft ihren Ver&#x017F;u-<lb/>
chungen in der Zeit am mei&#x017F;ten unterworfen. J&#x017F;t<lb/>
nicht die&#x017F;es die Zeit, in welcher uns un&#x017F;re Auffu&#x0364;h-<lb/>
rung Ehre oder Schande erwirbet, die uns un&#x017F;er<lb/>
gantzes Leben hindurch nachzufolgen pfleget.</p><lb/>
          <p>Sind wir nicht in der Zeit un&#x017F;erer &#x017F;elb&#x017F;t wegen<lb/>
in der gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;e&#x017F;ten Gefahr, weil un&#x017F;ere Augen einige<lb/>
un&#x017F;erer Anbeter den andern vorzuziehen pflegen?</p><lb/>
          <p>Wenn nun un&#x017F;ere Gefahr von innen und von<lb/>
au&#x017F;&#x017F;en gedoppelt i&#x017F;t, &#x017F;ollen nicht billig un&#x017F;ere Eltern<lb/>
ihre Sorgfalt verdoppeln? Soll uns die&#x017F;e nothwen-<lb/>
dige Verdoppelung ihrer Sorgfalt deswegen ver-<lb/>
drießlich &#x017F;eyn, weil wir erwach&#x017F;en &#x017F;ind?</p><lb/>
          <p>Sagen Sie mir doch, wie groß, wie alt muß<lb/>
eine Tochter &#x017F;eyn, die mit Recht glauben kann, daß<lb/>
&#x017F;ie dem Gehor&#x017F;ahm gegen ihre Eltern entwach&#x017F;en<lb/>
&#x017F;ey? und vor die ihre Eltern eben &#x017F;o wenig Sorge<lb/>
tragen &#x017F;ollen, als die Thiere vor ihre erwach&#x017F;ene<lb/>
Junge tragen?</p><lb/>
          <p>Es kommt Jhnen hart vor, daß Jhre Frau<lb/>
Mutter mit Jhnen umgehet, als mit einem Kinde?<lb/>
Muß es aber der Mutter nicht eben &#x017F;o unangenehm<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;eyn,</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[318/0332] die beſte Meinung von der Klugheit der Toͤchter hat, gefuͤhret werden, als der iſt, der aus meinem eignen Beyſpiel fließet? Sind nicht die Jahre von dem ſechszehenten zu dem ein und zwantzigſten die gefaͤhrlichen Jahre, die einer ſolchen Aufſicht am meiſten benoͤthiget ſind? Jn dieſen Jahren pflegen wir die Augen der Manns-Perſonen am meiſten an uns zu ziehen: und wir ſind ihren Bitten und oft ihren Verſu- chungen in der Zeit am meiſten unterworfen. Jſt nicht dieſes die Zeit, in welcher uns unſre Auffuͤh- rung Ehre oder Schande erwirbet, die uns unſer gantzes Leben hindurch nachzufolgen pfleget. Sind wir nicht in der Zeit unſerer ſelbſt wegen in der groͤſſeſten Gefahr, weil unſere Augen einige unſerer Anbeter den andern vorzuziehen pflegen? Wenn nun unſere Gefahr von innen und von auſſen gedoppelt iſt, ſollen nicht billig unſere Eltern ihre Sorgfalt verdoppeln? Soll uns dieſe nothwen- dige Verdoppelung ihrer Sorgfalt deswegen ver- drießlich ſeyn, weil wir erwachſen ſind? Sagen Sie mir doch, wie groß, wie alt muß eine Tochter ſeyn, die mit Recht glauben kann, daß ſie dem Gehorſahm gegen ihre Eltern entwachſen ſey? und vor die ihre Eltern eben ſo wenig Sorge tragen ſollen, als die Thiere vor ihre erwachſene Junge tragen? Es kommt Jhnen hart vor, daß Jhre Frau Mutter mit Jhnen umgehet, als mit einem Kinde? Muß es aber der Mutter nicht eben ſo unangenehm ſeyn,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/332
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 318. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/332>, abgerufen am 22.12.2024.