seyn, daß sie ihrer Meinung nach genöthiget ist, mit einer erwachsenen Tochter so umzugehen?
Was meinen Sie? wenn Sie die Mutter ge- wesen wären, und Jhre Tochter hätte sich Jhnen auf eben die Art widersetzt, würden Sie sich nicht auch haben übernehmen lassen, Jhre Tochter auf die Hände zu schlagen, damit sie Jhnen das so geheim gehaltene Blat geben möchte?
Es ist wahr, was Jhnen Jhre Frau Mutter sagte: daß Sie sie zu dieser Uebereilung gezwun- gen haben: und es ist eine Herablassung von ihr, die Sie nicht bemerckt haben, daß sie dazu setzte: es thäte ihr leid.
So lange wir unverheyrathet sind, (denn nach- her kommen wir freylich unter einen andern Schutz, der aber dennoch die kindliche Pflicht nicht aufhebet) sind die Flügel unserer Eltern unser unentbehrli- cher und bester Schutz vor den Raub-Vögeln, die uns nachstellen, und uns für ihre gewisse Beute an- sehen, so bald wir uns von diesen natürlichen und wachsamen Beschützern entfernen.
So hart es Jhnen scheinet, daß Jhnen Jhre Frau Mutter einen Brief-Wechsel verbietet, den sie sonst so sehr billigte, so müssen Sie sich dennoch dieses harte Verbot gefallen lassen, wenn Jhre Frau Mutter glaubt, daß ein Brief-Wechsel mit mir Jh- rem guten Nahmen nachtheilig seyn könnte, nach- dem mich alle die Meinigen verlohren gegeben haben. Muß sie nicht in ihrer Meinung bestärcket werden, wenn sie solche Früchte Jhres Brief-Wechsels wahr- nimmt, daß Sie sich eine Ehre daraus machen,
mürrisch
ſeyn, daß ſie ihrer Meinung nach genoͤthiget iſt, mit einer erwachſenen Tochter ſo umzugehen?
Was meinen Sie? wenn Sie die Mutter ge- weſen waͤren, und Jhre Tochter haͤtte ſich Jhnen auf eben die Art widerſetzt, wuͤrden Sie ſich nicht auch haben uͤbernehmen laſſen, Jhre Tochter auf die Haͤnde zu ſchlagen, damit ſie Jhnen das ſo geheim gehaltene Blat geben moͤchte?
Es iſt wahr, was Jhnen Jhre Frau Mutter ſagte: daß Sie ſie zu dieſer Uebereilung gezwun- gen haben: und es iſt eine Herablaſſung von ihr, die Sie nicht bemerckt haben, daß ſie dazu ſetzte: es thaͤte ihr leid.
So lange wir unverheyrathet ſind, (denn nach- her kommen wir freylich unter einen andern Schutz, der aber dennoch die kindliche Pflicht nicht aufhebet) ſind die Fluͤgel unſerer Eltern unſer unentbehrli- cher und beſter Schutz vor den Raub-Voͤgeln, die uns nachſtellen, und uns fuͤr ihre gewiſſe Beute an- ſehen, ſo bald wir uns von dieſen natuͤrlichen und wachſamen Beſchuͤtzern entfernen.
So hart es Jhnen ſcheinet, daß Jhnen Jhre Frau Mutter einen Brief-Wechſel verbietet, den ſie ſonſt ſo ſehr billigte, ſo muͤſſen Sie ſich dennoch dieſes harte Verbot gefallen laſſen, wenn Jhre Frau Mutter glaubt, daß ein Brief-Wechſel mit mir Jh- rem guten Nahmen nachtheilig ſeyn koͤnnte, nach- dem mich alle die Meinigen veꝛlohren gegeben haben. Muß ſie nicht in ihrer Meinung beſtaͤrcket werden, wenn ſie ſolche Fruͤchte Jhres Brief-Wechſels wahr- nimmt, daß Sie ſich eine Ehre daraus machen,
muͤrriſch
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ſeyn, daß ſie ihrer Meinung nach genoͤthiget iſt, mit
einer erwachſenen Tochter ſo umzugehen?
Was meinen Sie? wenn Sie die Mutter ge-
weſen waͤren, und Jhre Tochter haͤtte ſich Jhnen auf
eben die Art widerſetzt, wuͤrden Sie ſich nicht auch
haben uͤbernehmen laſſen, Jhre Tochter auf die
Haͤnde zu ſchlagen, damit ſie Jhnen das ſo geheim
gehaltene Blat geben moͤchte?
Es iſt wahr, was Jhnen Jhre Frau Mutter
ſagte: daß Sie ſie zu dieſer Uebereilung gezwun-
gen haben: und es iſt eine Herablaſſung von ihr,
die Sie nicht bemerckt haben, daß ſie dazu ſetzte:
es thaͤte ihr leid.
So lange wir unverheyrathet ſind, (denn nach-
her kommen wir freylich unter einen andern Schutz,
der aber dennoch die kindliche Pflicht nicht aufhebet)
ſind die Fluͤgel unſerer Eltern unſer unentbehrli-
cher und beſter Schutz vor den Raub-Voͤgeln, die
uns nachſtellen, und uns fuͤr ihre gewiſſe Beute an-
ſehen, ſo bald wir uns von dieſen natuͤrlichen und
wachſamen Beſchuͤtzern entfernen.
So hart es Jhnen ſcheinet, daß Jhnen Jhre
Frau Mutter einen Brief-Wechſel verbietet, den ſie
ſonſt ſo ſehr billigte, ſo muͤſſen Sie ſich dennoch
dieſes harte Verbot gefallen laſſen, wenn Jhre Frau
Mutter glaubt, daß ein Brief-Wechſel mit mir Jh-
rem guten Nahmen nachtheilig ſeyn koͤnnte, nach-
dem mich alle die Meinigen veꝛlohren gegeben haben.
Muß ſie nicht in ihrer Meinung beſtaͤrcket werden,
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 319. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/333>, abgerufen am 22.12.2024.
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