auf eine so zärtliche Art bezeuget hat: daß er sich so weit zu mir herablassen wollen: daß er - - - Wie zärtlich ist das, was folget! und wie empfindlich kräncket mich diese Zärtlichkeit! Meine Base brauchte kein Geheimniß daraus zu machen, daß sie einen solchen Brief an mich geschrieben hat. Der Vater will seiner Tochter zu Fusse fallen, und auf den Knieen bitten! Der Anblick würde mir uner- träglich gewesen seyn: ich weiß gewiß nicht, was ich in dem Falle gethan haben möchte. Der Tod würde mir angenehmer gewesen seyn, als eine solche Vor- bitte meines Vaters für den Freyer, der mir der eckelhafteste in der Welt war. Allein ich hätte verdienet, in mein altes Nichts verwandelt zu wer- den, wenn ich meinen Vater auf den Knieen hätte eine vergebliche Bitte thun lassen.
Wenn ich nichts hätte zu verleugnen gehabt, als die Zuneigung gegen einen andern, und das äussere Ansehen, so würde es keines Knieens bedurft haben, sondern der Gehorsam sollte meine Neigung leicht besieget haben. Allein ein so natürlicher und unü- berwindlicher Abscheu: das Hohngelächter meines grausamen und unerträglichen Bruders und mei- ner neidischen Schwester: die so heilig versproche- nen Pflichten des Ehestandes, und die allerinnigste Vertraulichkeit; (nehmen Sie mir nicht übel, daß ich an eine Folge der Verheyrathung dencken mußte, die sich das reineste Gemüth vorstellen muß) meine Vorstellung von der Unverbrüchlichkeit aller Ver- sprechungen, sonderlich derer in die wir gewilliget haben: waren allzu starcke Hindernisse. Würde
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auf eine ſo zaͤrtliche Art bezeuget hat: daß er ſich ſo weit zu mir herablaſſen wollen: daß er ‒ ‒ ‒ Wie zaͤrtlich iſt das, was folget! und wie empfindlich kraͤncket mich dieſe Zaͤrtlichkeit! Meine Baſe brauchte kein Geheimniß daraus zu machen, daß ſie einen ſolchen Brief an mich geſchrieben hat. Der Vater will ſeiner Tochter zu Fuſſe fallen, und auf den Knieen bitten! Der Anblick wuͤrde mir uner- traͤglich geweſen ſeyn: ich weiß gewiß nicht, was ich in dem Falle gethan haben moͤchte. Der Tod wuͤrde mir angenehmer geweſen ſeyn, als eine ſolche Vor- bitte meines Vaters fuͤr den Freyer, der mir der eckelhafteſte in der Welt war. Allein ich haͤtte verdienet, in mein altes Nichts verwandelt zu wer- den, wenn ich meinen Vater auf den Knieen haͤtte eine vergebliche Bitte thun laſſen.
Wenn ich nichts haͤtte zu verleugnen gehabt, als die Zuneigung gegen einen andern, und das aͤuſſere Anſehen, ſo wuͤrde es keines Knieens bedurft haben, ſondern der Gehorſam ſollte meine Neigung leicht beſieget haben. Allein ein ſo natuͤrlicher und unuͤ- berwindlicher Abſcheu: das Hohngelaͤchter meines grauſamen und unertraͤglichen Bruders und mei- ner neidiſchen Schweſter: die ſo heilig verſproche- nen Pflichten des Eheſtandes, und die allerinnigſte Vertraulichkeit; (nehmen Sie mir nicht uͤbel, daß ich an eine Folge der Verheyrathung dencken mußte, die ſich das reineſte Gemuͤth vorſtellen muß) meine Vorſtellung von der Unverbruͤchlichkeit aller Ver- ſprechungen, ſonderlich derer in die wir gewilliget haben: waren allzu ſtarcke Hinderniſſe. Wuͤrde
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auf eine ſo zaͤrtliche Art bezeuget hat: daß er ſich
ſo weit zu mir herablaſſen wollen: daß er ‒ ‒ ‒ Wie
zaͤrtlich iſt das, was folget! und wie empfindlich
kraͤncket mich dieſe Zaͤrtlichkeit! Meine Baſe
brauchte kein Geheimniß daraus zu machen, daß ſie
einen ſolchen Brief an mich geſchrieben hat. Der
Vater will ſeiner Tochter zu Fuſſe fallen, und auf
den Knieen bitten! Der Anblick wuͤrde mir uner-
traͤglich geweſen ſeyn: ich weiß gewiß nicht, was ich
in dem Falle gethan haben moͤchte. Der Tod wuͤrde
mir angenehmer geweſen ſeyn, als eine ſolche Vor-
bitte meines Vaters fuͤr den Freyer, der mir der
eckelhafteſte in der Welt war. Allein ich haͤtte
verdienet, in mein altes Nichts verwandelt zu wer-
den, wenn ich meinen Vater auf den Knieen haͤtte
eine vergebliche Bitte thun laſſen.
Wenn ich nichts haͤtte zu verleugnen gehabt, als
die Zuneigung gegen einen andern, und das aͤuſſere
Anſehen, ſo wuͤrde es keines Knieens bedurft haben,
ſondern der Gehorſam ſollte meine Neigung leicht
beſieget haben. Allein ein ſo natuͤrlicher und unuͤ-
berwindlicher Abſcheu: das Hohngelaͤchter meines
grauſamen und unertraͤglichen Bruders und mei-
ner neidiſchen Schweſter: die ſo heilig verſproche-
nen Pflichten des Eheſtandes, und die allerinnigſte
Vertraulichkeit; (nehmen Sie mir nicht uͤbel, daß
ich an eine Folge der Verheyrathung dencken mußte,
die ſich das reineſte Gemuͤth vorſtellen muß) meine
Vorſtellung von der Unverbruͤchlichkeit aller Ver-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/407>, abgerufen am 16.06.2024.
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