Wenn unsere beyden Ritter gleich für gleich ge- sucht hätten, so glaube ich wohl, daß Herr Lo- velace mich zuletzt möchte müde gemacht haben; al- lein ein halbes Jahr lang wollte ich ihm Verdruß für Verdruß verursachet haben. Sie hingegen würden mit meinen langsamen-geschwinden Freyer so artig, so sanfte, so ordentlich fortgegangen seyn, als die vier Jahrs-Zeiten. Keine andere Verän- derung würde bey jenem und bey Jhnen zu sehen gewesen seyn, als die zum Vergnügen anderer ge- reichet. Jch war im Begriff noch mehr von der vo- rigen Art zu schreiben: allein meine Mutter über- fiel mich mit einem krausen Gesicht und sagte: sie hätte mir weiter nichts als einen Brief zu schreiben erlaubt. Sie hat Jhren verwünschten Onckle ge- sprochen, und es ist grosser Geheimder Rath gewe- sen. Sie hat mich sehr geplaget. Jch muß diesen Brief weglegen, bis ich von neuen Nachricht von Jh- nen bekomme, denn ich weiß nicht wo ich ihn hinschi- cken soll. Bestellen Sie ihre Brieffe an einen drit- ten Ort, wie ich Sie schon neulich gebeten habe.
Jch habe meiner Mutter auf ihr Befragen geant- wortet: ich hätte zwar an Sie geschrieben, allein nur zum Zeitvertreib: denn ich könnte heilig ver- sichern, daß ich nicht wüßte wo Sie wären.
Jch hoffe, daß Jhr nächster Brief mir die Nach- richt von Jhrer Verheyrathung bringen wird, wenn auch gleich der darauf folgende Brief mir klagen sollte, daß Lovelace das undanckbarste Ungeheuer auf Erden sey. Denn dafür müßte ich ihn halten, wenn Sie nicht die aller vergnügteste Ehe mit ihm haben.
Meine
Wenn unſere beyden Ritter gleich fuͤr gleich ge- ſucht haͤtten, ſo glaube ich wohl, daß Herr Lo- velace mich zuletzt moͤchte muͤde gemacht haben; al- lein ein halbes Jahr lang wollte ich ihm Verdruß fuͤr Verdruß verurſachet haben. Sie hingegen wuͤrden mit meinen langſamen-geſchwinden Freyer ſo artig, ſo ſanfte, ſo ordentlich fortgegangen ſeyn, als die vier Jahrs-Zeiten. Keine andere Veraͤn- derung wuͤrde bey jenem und bey Jhnen zu ſehen geweſen ſeyn, als die zum Vergnuͤgen anderer ge- reichet. Jch war im Begriff noch mehr von der vo- rigen Art zu ſchreiben: allein meine Mutter uͤber- fiel mich mit einem krauſen Geſicht und ſagte: ſie haͤtte mir weiter nichts als einen Brief zu ſchreiben erlaubt. Sie hat Jhren verwuͤnſchten Onckle ge- ſprochen, und es iſt groſſer Geheimder Rath gewe- ſen. Sie hat mich ſehr geplaget. Jch muß dieſen Brief weglegen, bis ich von neuen Nachricht von Jh- nen bekomme, denn ich weiß nicht wo ich ihn hinſchi- cken ſoll. Beſtellen Sie ihre Brieffe an einen drit- ten Ort, wie ich Sie ſchon neulich gebeten habe.
Jch habe meiner Mutter auf ihr Befragen geant- wortet: ich haͤtte zwar an Sie geſchrieben, allein nur zum Zeitvertreib: denn ich koͤnnte heilig ver- ſichern, daß ich nicht wuͤßte wo Sie waͤren.
Jch hoffe, daß Jhr naͤchſter Brief mir die Nach- richt von Jhrer Verheyrathung bringen wird, wenn auch gleich der darauf folgende Brief mir klagen ſollte, daß Lovelace das undanckbarſte Ungeheuer auf Erden ſey. Denn dafuͤr muͤßte ich ihn halten, wenn Sie nicht die aller vergnuͤgteſte Ehe mit ihm haben.
Meine
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Wenn unſere beyden Ritter gleich fuͤr gleich ge-
ſucht haͤtten, ſo glaube ich wohl, daß Herr Lo-
velace mich zuletzt moͤchte muͤde gemacht haben; al-
lein ein halbes Jahr lang wollte ich ihm Verdruß
fuͤr Verdruß verurſachet haben. Sie hingegen
wuͤrden mit meinen langſamen-geſchwinden Freyer
ſo artig, ſo ſanfte, ſo ordentlich fortgegangen ſeyn,
als die vier Jahrs-Zeiten. Keine andere Veraͤn-
derung wuͤrde bey jenem und bey Jhnen zu ſehen
geweſen ſeyn, als die zum Vergnuͤgen anderer ge-
reichet. Jch war im Begriff noch mehr von der vo-
rigen Art zu ſchreiben: allein meine Mutter uͤber-
fiel mich mit einem krauſen Geſicht und ſagte: ſie
haͤtte mir weiter nichts als einen Brief zu ſchreiben
erlaubt. Sie hat Jhren verwuͤnſchten Onckle ge-
ſprochen, und es iſt groſſer Geheimder Rath gewe-
ſen. Sie hat mich ſehr geplaget. Jch muß dieſen
Brief weglegen, bis ich von neuen Nachricht von Jh-
nen bekomme, denn ich weiß nicht wo ich ihn hinſchi-
cken ſoll. Beſtellen Sie ihre Brieffe an einen drit-
ten Ort, wie ich Sie ſchon neulich gebeten habe.
Jch habe meiner Mutter auf ihr Befragen geant-
wortet: ich haͤtte zwar an Sie geſchrieben, allein
nur zum Zeitvertreib: denn ich koͤnnte heilig ver-
ſichern, daß ich nicht wuͤßte wo Sie waͤren.
Jch hoffe, daß Jhr naͤchſter Brief mir die Nach-
richt von Jhrer Verheyrathung bringen wird, wenn
auch gleich der darauf folgende Brief mir klagen
ſollte, daß Lovelace das undanckbarſte Ungeheuer
auf Erden ſey. Denn dafuͤr muͤßte ich ihn halten,
wenn Sie nicht die aller vergnuͤgteſte Ehe mit ihm
haben.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 418. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/432>, abgerufen am 22.12.2024.
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