Endlich hat mein glücklicher Stern uns in den erwünschten Hafen gebracht, und wir sind an das Land gestiegen. Mit Recht singet Rowe:
Die Klugheit siegt, weil sie es wagt Die Schwürigkeiten zu besiegen: Des Thoren matte Faulheit klagt, Daß Steine in dem Wege liegen; Es liegt der Stein auch würcklich da, Den er zu Anfang träumend sah.
Allein mitten in meiner Freude empfinde ich etwas, das ich zwar nicht nennen kann, dadurch mir die Freude bitter wird. Wenn es nicht das Gewissen selbst ist, so muß es doch dem Dinge sehr ähnlich seyn, welches ich vor mehreren Jahren Gewissen nannte.
Du sprichst: dein guter Vorsatz, Lovelace, wird doch nicht schon wieder verschwunden seyn! du wirst doch nicht an deiner Fräulein zum Schelm werden.
Jch weiß selbst nicht, was ich antworten soll. Warum nahm das liebe Kind meine Bitte nicht an, die aus einem so aufrichtigen Hertzen an Sie gebracht ward? Nachdem sie hier ist, gewinnen die Sachen ein anderes Ansehen. Unsere Mutter und ihre Töch- ter sind schon um mich herum gewesen. Es heißt: das ist ein unvergleichliches Frauenzimmer. Was für Farbe! wie schöne Augen! wie erhaben und vornehm in jedem Anblicke! O Herr Lovelace, wie glücklich sind sie? Allein uns haben sie das Frauenzimmer zu dancken. - - Sie erinnern mich
wieder
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Endlich hat mein gluͤcklicher Stern uns in den erwuͤnſchten Hafen gebracht, und wir ſind an das Land geſtiegen. Mit Recht ſinget Rowe:
Die Klugheit ſiegt, weil ſie es wagt Die Schwuͤrigkeiten zu beſiegen: Des Thoren matte Faulheit klagt, Daß Steine in dem Wege liegen; Es liegt der Stein auch wuͤrcklich da, Den er zu Anfang traͤumend ſah.
Allein mitten in meiner Freude empfinde ich etwas, das ich zwar nicht nennen kann, dadurch mir die Freude bitter wird. Wenn es nicht das Gewiſſen ſelbſt iſt, ſo muß es doch dem Dinge ſehr aͤhnlich ſeyn, welches ich vor mehreren Jahren Gewiſſen nannte.
Du ſprichſt: dein guter Vorſatz, Lovelace, wird doch nicht ſchon wieder verſchwunden ſeyn! du wirſt doch nicht an deiner Fraͤulein zum Schelm werden.
Jch weiß ſelbſt nicht, was ich antworten ſoll. Warum nahm das liebe Kind meine Bitte nicht an, die aus einem ſo aufrichtigen Hertzen an Sie gebracht ward? Nachdem ſie hier iſt, gewinnen die Sachen ein anderes Anſehen. Unſere Mutter und ihre Toͤch- ter ſind ſchon um mich herum geweſen. Es heißt: das iſt ein unvergleichliches Frauenzimmer. Was fuͤr Farbe! wie ſchoͤne Augen! wie erhaben und vornehm in jedem Anblicke! O Herr Lovelace, wie gluͤcklich ſind ſie? Allein uns haben ſie das Frauenzimmer zu dancken. ‒ ‒ Sie erinnern mich
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Endlich hat mein gluͤcklicher Stern uns in den
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das Land geſtiegen. Mit Recht ſinget Rowe:
Die Klugheit ſiegt, weil ſie es wagt
Die Schwuͤrigkeiten zu beſiegen:
Des Thoren matte Faulheit klagt,
Daß Steine in dem Wege liegen;
Es liegt der Stein auch wuͤrcklich da,
Den er zu Anfang traͤumend ſah.
Allein mitten in meiner Freude empfinde ich etwas,
das ich zwar nicht nennen kann, dadurch mir die
Freude bitter wird. Wenn es nicht das Gewiſſen
ſelbſt iſt, ſo muß es doch dem Dinge ſehr aͤhnlich
ſeyn, welches ich vor mehreren Jahren Gewiſſen
nannte.
Du ſprichſt: dein guter Vorſatz, Lovelace,
wird doch nicht ſchon wieder verſchwunden ſeyn!
du wirſt doch nicht an deiner Fraͤulein zum Schelm
werden.
Jch weiß ſelbſt nicht, was ich antworten ſoll.
Warum nahm das liebe Kind meine Bitte nicht an,
die aus einem ſo aufrichtigen Hertzen an Sie gebracht
ward? Nachdem ſie hier iſt, gewinnen die Sachen
ein anderes Anſehen. Unſere Mutter und ihre Toͤch-
ter ſind ſchon um mich herum geweſen. Es heißt:
das iſt ein unvergleichliches Frauenzimmer. Was
fuͤr Farbe! wie ſchoͤne Augen! wie erhaben und
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 437. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/451>, abgerufen am 22.12.2024.
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