Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite



darüber sehr beweget, und fieng an eine bessere Mei-
nung von ihr zu fassen. Sie wissen, daß ich ein
freyes und offenes Hertz habe, und daß mein Gesicht
ordentlich mit diesem Hertzen übereinstimmet: zum
wenigsten haben es mir einige Schmeichler sagen
wollen: Wenn mir meine Gesellschaft gefällt, so
pflege ich sehr bald mein Hertz mit ihr zu vereinigen,
und sie eben so frey und offenhertzig gegen mich zu
machen, als ich bin: das Mistrauen pflegt sehr
bald zu verschwinden. Allein ich weiß nicht, wie
es zugehet, daß ich zu den beyden jungen Frauen-
zimmern kein Hertz fassen kann.

Die Umstände, und die gantze Unterredung, die
bey dem Früh-Stück vorfiel, widerlegen meinen Arg-
wohn: sonst sollte ich fast dencken, daß Herr Love-
lace
nicht erst gestern mit ihnen bekannt geworden
wäre. Denn er gab ihnen bisweilen einen verstoh-
lenen Blick, den sie verstohlen beantworteten: und
als ich meine Augen auf sie hinwarf, so schlugen sie
die Augen nieder, als wenn sie sich vor mir fürchteten.

Die Witwe redete mit niemand, als mit mir
und Herrn Lovelace: und ich ließ es auch gesche-
hen, ob es sich gleich nicht allzuwohl schickte Ein-
mahl sagte sie: sie wunderte sich, daß irgend einiges
Versprechen oder Absichten, sie möchten so wichtig
seyn als sie wollten, ein so allerliebstes Paar von
einander trennen könnten. Jch weiß es ihr schlech-
ten Danck, daß sie sich so viel um uns bekümmerte.
Dieses mahl mußte ich die Augen niederschlagen, ob
ich gleich ein gutes Gewissen hatte. Vielleicht thue
ich auch ihren Basen Unrecht, wenn ich aus ihren

Augen



daruͤber ſehr beweget, und fieng an eine beſſere Mei-
nung von ihr zu faſſen. Sie wiſſen, daß ich ein
freyes und offenes Hertz habe, und daß mein Geſicht
ordentlich mit dieſem Hertzen uͤbereinſtimmet: zum
wenigſten haben es mir einige Schmeichler ſagen
wollen: Wenn mir meine Geſellſchaft gefaͤllt, ſo
pflege ich ſehr bald mein Hertz mit ihr zu vereinigen,
und ſie eben ſo frey und offenhertzig gegen mich zu
machen, als ich bin: das Mistrauen pflegt ſehr
bald zu verſchwinden. Allein ich weiß nicht, wie
es zugehet, daß ich zu den beyden jungen Frauen-
zimmern kein Hertz faſſen kann.

Die Umſtaͤnde, und die gantze Unterredung, die
bey dem Fruͤh-Stuͤck vorfiel, widerlegen meinen Arg-
wohn: ſonſt ſollte ich faſt dencken, daß Herr Love-
lace
nicht erſt geſtern mit ihnen bekannt geworden
waͤre. Denn er gab ihnen bisweilen einen verſtoh-
lenen Blick, den ſie verſtohlen beantworteten: und
als ich meine Augen auf ſie hinwarf, ſo ſchlugen ſie
die Augen nieder, als wenn ſie ſich vor mir fuͤrchteten.

Die Witwe redete mit niemand, als mit mir
und Herrn Lovelace: und ich ließ es auch geſche-
hen, ob es ſich gleich nicht allzuwohl ſchickte Ein-
mahl ſagte ſie: ſie wunderte ſich, daß irgend einiges
Verſprechen oder Abſichten, ſie moͤchten ſo wichtig
ſeyn als ſie wollten, ein ſo allerliebſtes Paar von
einander trennen koͤnnten. Jch weiß es ihr ſchlech-
ten Danck, daß ſie ſich ſo viel um uns bekuͤmmerte.
Dieſes mahl mußte ich die Augen niederſchlagen, ob
ich gleich ein gutes Gewiſſen hatte. Vielleicht thue
ich auch ihren Baſen Unrecht, wenn ich aus ihren

Augen
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0477" n="463"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
daru&#x0364;ber &#x017F;ehr beweget, und fieng an eine be&#x017F;&#x017F;ere Mei-<lb/>
nung von ihr zu fa&#x017F;&#x017F;en. Sie wi&#x017F;&#x017F;en, daß ich ein<lb/>
freyes und offenes Hertz habe, und daß mein Ge&#x017F;icht<lb/>
ordentlich mit die&#x017F;em Hertzen u&#x0364;berein&#x017F;timmet: zum<lb/>
wenig&#x017F;ten haben es mir einige Schmeichler &#x017F;agen<lb/>
wollen: Wenn mir meine Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft gefa&#x0364;llt, &#x017F;o<lb/>
pflege ich &#x017F;ehr bald mein Hertz mit ihr zu vereinigen,<lb/>
und &#x017F;ie eben &#x017F;o frey und offenhertzig gegen mich zu<lb/>
machen, als ich bin: das Mistrauen pflegt &#x017F;ehr<lb/>
bald zu ver&#x017F;chwinden. Allein ich weiß nicht, wie<lb/>
es zugehet, daß ich zu den beyden jungen Frauen-<lb/>
zimmern kein Hertz fa&#x017F;&#x017F;en kann.</p><lb/>
          <p>Die Um&#x017F;ta&#x0364;nde, und die gantze Unterredung, die<lb/>
bey dem Fru&#x0364;h-Stu&#x0364;ck vorfiel, widerlegen meinen Arg-<lb/>
wohn: &#x017F;on&#x017F;t &#x017F;ollte ich fa&#x017F;t dencken, daß Herr <hi rendition="#fr">Love-<lb/>
lace</hi> nicht er&#x017F;t ge&#x017F;tern mit ihnen bekannt geworden<lb/>
wa&#x0364;re. Denn er gab ihnen bisweilen einen ver&#x017F;toh-<lb/>
lenen Blick, den &#x017F;ie ver&#x017F;tohlen beantworteten: und<lb/>
als ich meine Augen auf &#x017F;ie hinwarf, &#x017F;o &#x017F;chlugen &#x017F;ie<lb/>
die Augen nieder, als wenn &#x017F;ie &#x017F;ich vor mir fu&#x0364;rchteten.</p><lb/>
          <p>Die Witwe redete mit niemand, als mit mir<lb/>
und Herrn <hi rendition="#fr">Lovelace:</hi> und ich ließ es auch ge&#x017F;che-<lb/>
hen, ob es &#x017F;ich gleich nicht allzuwohl &#x017F;chickte Ein-<lb/>
mahl &#x017F;agte &#x017F;ie: &#x017F;ie wunderte &#x017F;ich, daß irgend einiges<lb/>
Ver&#x017F;prechen oder Ab&#x017F;ichten, &#x017F;ie mo&#x0364;chten &#x017F;o wichtig<lb/>
&#x017F;eyn als &#x017F;ie wollten, ein &#x017F;o allerlieb&#x017F;tes Paar von<lb/>
einander trennen ko&#x0364;nnten. Jch weiß es ihr &#x017F;chlech-<lb/>
ten Danck, daß &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;o viel um uns beku&#x0364;mmerte.<lb/>
Die&#x017F;es mahl mußte ich die Augen nieder&#x017F;chlagen, ob<lb/>
ich gleich ein gutes Gewi&#x017F;&#x017F;en hatte. Vielleicht thue<lb/>
ich auch ihren Ba&#x017F;en Unrecht, wenn ich aus ihren<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Augen</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[463/0477] daruͤber ſehr beweget, und fieng an eine beſſere Mei- nung von ihr zu faſſen. Sie wiſſen, daß ich ein freyes und offenes Hertz habe, und daß mein Geſicht ordentlich mit dieſem Hertzen uͤbereinſtimmet: zum wenigſten haben es mir einige Schmeichler ſagen wollen: Wenn mir meine Geſellſchaft gefaͤllt, ſo pflege ich ſehr bald mein Hertz mit ihr zu vereinigen, und ſie eben ſo frey und offenhertzig gegen mich zu machen, als ich bin: das Mistrauen pflegt ſehr bald zu verſchwinden. Allein ich weiß nicht, wie es zugehet, daß ich zu den beyden jungen Frauen- zimmern kein Hertz faſſen kann. Die Umſtaͤnde, und die gantze Unterredung, die bey dem Fruͤh-Stuͤck vorfiel, widerlegen meinen Arg- wohn: ſonſt ſollte ich faſt dencken, daß Herr Love- lace nicht erſt geſtern mit ihnen bekannt geworden waͤre. Denn er gab ihnen bisweilen einen verſtoh- lenen Blick, den ſie verſtohlen beantworteten: und als ich meine Augen auf ſie hinwarf, ſo ſchlugen ſie die Augen nieder, als wenn ſie ſich vor mir fuͤrchteten. Die Witwe redete mit niemand, als mit mir und Herrn Lovelace: und ich ließ es auch geſche- hen, ob es ſich gleich nicht allzuwohl ſchickte Ein- mahl ſagte ſie: ſie wunderte ſich, daß irgend einiges Verſprechen oder Abſichten, ſie moͤchten ſo wichtig ſeyn als ſie wollten, ein ſo allerliebſtes Paar von einander trennen koͤnnten. Jch weiß es ihr ſchlech- ten Danck, daß ſie ſich ſo viel um uns bekuͤmmerte. Dieſes mahl mußte ich die Augen niederſchlagen, ob ich gleich ein gutes Gewiſſen hatte. Vielleicht thue ich auch ihren Baſen Unrecht, wenn ich aus ihren Augen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/477
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/477>, abgerufen am 16.06.2024.