Augen Schlüsse mache. Ohne an mich zu gedencken, so weiß ich gewiß, daß manche tugendhafte Perso- nen, die bey einer Beschuldigung roth geworden sind, sich einen unverdienten Verdacht zugezogen haben, wenn andere die Röthe, die das böse Gewis- sen würcket, von der edlen Röthe nicht haben unter- scheiden können, die aus Edelmüthigkeit entsteht, wenn man sich schämet, daß uns andere dergleichen Vergehungen nur als möglich andichten.
Der grosse Römer, der vor der Erfindung des vierten Theils der Welt sich durch seine Siege die Ehre erwarb, daß er nach einem Drittheil der Welt genennet ist, ward eines niederträchtigen Lasters be- schuldiget. Allein er gieng lieber freywillig in das Elend, und wählete sich also selbst die grösseste Strafe, die ihm hätte widerfahren können, wenn er schuldig gewesen wäre, als daß man hätte sagen sollen: Scipio sey wegen eines so schändlichen Ver- brechens vor Gericht gefodert. Glauben Sie nicht, daß das Gesicht des Scipio mit Schaam ist erfül- let gewesen, als er das erstemahl von dieser Be- schuldigung gehört hat?
Herr Lovelace sahe zu dem, was die Witwe sagte, recht schelmisch und laurend aus, als wenn er sehen wollte, wie ich es nehmen würde, und sagte: sein Gehorsam gegen den Befehl seines allerliebsten Kindes habe noch mehr Gewalt über ihn, als der Eyd selbsten, durch welchen er sich mir habe ver- pflichten müssen.
Um ihn und die Witwe einiger maßen abzuführen, antwortete ich: es thäte mir leid, daß ein Eydschwur
so
Augen Schluͤſſe mache. Ohne an mich zu gedencken, ſo weiß ich gewiß, daß manche tugendhafte Perſo- nen, die bey einer Beſchuldigung roth geworden ſind, ſich einen unverdienten Verdacht zugezogen haben, wenn andere die Roͤthe, die das boͤſe Gewiſ- ſen wuͤrcket, von der edlen Roͤthe nicht haben unter- ſcheiden koͤnnen, die aus Edelmuͤthigkeit entſteht, wenn man ſich ſchaͤmet, daß uns andere dergleichen Vergehungen nur als moͤglich andichten.
Der groſſe Roͤmer, der vor der Erfindung des vierten Theils der Welt ſich durch ſeine Siege die Ehre erwarb, daß er nach einem Drittheil der Welt genennet iſt, ward eines niedertraͤchtigen Laſters be- ſchuldiget. Allein er gieng lieber freywillig in das Elend, und waͤhlete ſich alſo ſelbſt die groͤſſeſte Strafe, die ihm haͤtte widerfahren koͤnnen, wenn er ſchuldig geweſen waͤre, als daß man haͤtte ſagen ſollen: Scipio ſey wegen eines ſo ſchaͤndlichen Ver- brechens vor Gericht gefodert. Glauben Sie nicht, daß das Geſicht des Scipio mit Schaam iſt erfuͤl- let geweſen, als er das erſtemahl von dieſer Be- ſchuldigung gehoͤrt hat?
Herr Lovelace ſahe zu dem, was die Witwe ſagte, recht ſchelmiſch und laurend aus, als wenn er ſehen wollte, wie ich es nehmen wuͤrde, und ſagte: ſein Gehorſam gegen den Befehl ſeines allerliebſten Kindes habe noch mehr Gewalt uͤber ihn, als der Eyd ſelbſten, durch welchen er ſich mir habe ver- pflichten muͤſſen.
Um ihn und die Witwe einiger maßen abzufuͤhren, antwortete ich: es thaͤte mir leid, daß ein Eydſchwur
ſo
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Augen Schluͤſſe mache. Ohne an mich zu gedencken,
ſo weiß ich gewiß, daß manche tugendhafte Perſo-
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ſind, ſich einen unverdienten Verdacht zugezogen
haben, wenn andere die Roͤthe, die das boͤſe Gewiſ-
ſen wuͤrcket, von der edlen Roͤthe nicht haben unter-
ſcheiden koͤnnen, die aus Edelmuͤthigkeit entſteht,
wenn man ſich ſchaͤmet, daß uns andere dergleichen
Vergehungen nur als moͤglich andichten.
Der groſſe Roͤmer, der vor der Erfindung des
vierten Theils der Welt ſich durch ſeine Siege die
Ehre erwarb, daß er nach einem Drittheil der Welt
genennet iſt, ward eines niedertraͤchtigen Laſters be-
ſchuldiget. Allein er gieng lieber freywillig in das
Elend, und waͤhlete ſich alſo ſelbſt die groͤſſeſte
Strafe, die ihm haͤtte widerfahren koͤnnen, wenn
er ſchuldig geweſen waͤre, als daß man haͤtte ſagen
ſollen: Scipio ſey wegen eines ſo ſchaͤndlichen Ver-
brechens vor Gericht gefodert. Glauben Sie nicht,
daß das Geſicht des Scipio mit Schaam iſt erfuͤl-
let geweſen, als er das erſtemahl von dieſer Be-
ſchuldigung gehoͤrt hat?
Herr Lovelace ſahe zu dem, was die Witwe
ſagte, recht ſchelmiſch und laurend aus, als wenn er
ſehen wollte, wie ich es nehmen wuͤrde, und ſagte:
ſein Gehorſam gegen den Befehl ſeines allerliebſten
Kindes habe noch mehr Gewalt uͤber ihn, als der
Eyd ſelbſten, durch welchen er ſich mir habe ver-
pflichten muͤſſen.
Um ihn und die Witwe einiger maßen abzufuͤhren,
antwortete ich: es thaͤte mir leid, daß ein Eydſchwur
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 464. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/478>, abgerufen am 22.12.2024.
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