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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

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ward ersucht, uns etwas vorzusingen, und er suchte
seine Gesellschaft durch frantzösische und italiänische
Stücke zu vergnügen. Jch muß ihm das Lob bey-
legen, daß er keine Stücke absang, die den Wohl-
stand verletzten. Die gantze Gesellschaft war wohl
mit ihm zufrieden, allein niemand bewunderte ihn
mehr, als Frau Sinclair, die Jungfer Parting-
ton,
und er selbst. Mir kam er allzu unnatürlich
und verliebt in sich selbst vor.

Herr Tourville wird im Umgange mit Frauen-
zimmern dadurch unerträglich, daß er alle Augen-
blicke mit den Spöttereyen über den Verstand unse-
res Geschlechts um sich wirft, die in dem Wörter-
Buche der jetzigen Moden Complimente heissen.
Sie werden zwar zu unserer Zeit beynahe für einen
Erweis der sechszehn Ahnen und der vornehmen Er-
ziehung angesehen, ob sie gleich das abgeschmackte-
ste Zeug von der Welt sind, und die Falschheit des
höflichen Lästerers so gleich verrathen. Wenn er
glaubet, daß sein vergöttertes Frauenzimmer Ge-
schmack an seinen Reden finden kann, so muß er sie
gewiß für eine solche Gottheit halten, als die alten
Römischen Comödianten aufführeten, wenn der
gantze Schausaal einmal lachen sollte.

Er weiß sich viel damit, wenn er seine Reden
durch frantzösische oder italiänische Worte ausputzen
kann: wenn er auf englisch gefraget wird, so erfolgt
sehr oft eine frantzösische Antwort; denn diese Spra-
che klinget in seinen Ohren viel besser, als das unan-
genehme Zischen unserer Mutter-Sprache, die
das Unglück hat, von den Bauren geredet zu werden.

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ward erſucht, uns etwas vorzuſingen, und er ſuchte
ſeine Geſellſchaft durch frantzoͤſiſche und italiaͤniſche
Stuͤcke zu vergnuͤgen. Jch muß ihm das Lob bey-
legen, daß er keine Stuͤcke abſang, die den Wohl-
ſtand verletzten. Die gantze Geſellſchaft war wohl
mit ihm zufrieden, allein niemand bewunderte ihn
mehr, als Frau Sinclair, die Jungfer Parting-
ton,
und er ſelbſt. Mir kam er allzu unnatuͤrlich
und verliebt in ſich ſelbſt vor.

Herr Tourville wird im Umgange mit Frauen-
zimmern dadurch unertraͤglich, daß er alle Augen-
blicke mit den Spoͤttereyen uͤber den Verſtand unſe-
res Geſchlechts um ſich wirft, die in dem Woͤrter-
Buche der jetzigen Moden Complimente heiſſen.
Sie werden zwar zu unſerer Zeit beynahe fuͤr einen
Erweis der ſechszehn Ahnen und der vornehmen Er-
ziehung angeſehen, ob ſie gleich das abgeſchmackte-
ſte Zeug von der Welt ſind, und die Falſchheit des
hoͤflichen Laͤſterers ſo gleich verrathen. Wenn er
glaubet, daß ſein vergoͤttertes Frauenzimmer Ge-
ſchmack an ſeinen Reden finden kann, ſo muß er ſie
gewiß fuͤr eine ſolche Gottheit halten, als die alten
Roͤmiſchen Comoͤdianten auffuͤhreten, wenn der
gantze Schauſaal einmal lachen ſollte.

Er weiß ſich viel damit, wenn er ſeine Reden
durch frantzoͤſiſche oder italiaͤniſche Worte ausputzen
kann: wenn er auf engliſch gefraget wird, ſo erfolgt
ſehr oft eine frantzoͤſiſche Antwort; denn dieſe Spra-
che klinget in ſeinen Ohren viel beſſer, als das unan-
genehme Ziſchen unſerer Mutter-Sprache, die
das Ungluͤck hat, von den Bauren geredet zu werden.

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[499/0513] ward erſucht, uns etwas vorzuſingen, und er ſuchte ſeine Geſellſchaft durch frantzoͤſiſche und italiaͤniſche Stuͤcke zu vergnuͤgen. Jch muß ihm das Lob bey- legen, daß er keine Stuͤcke abſang, die den Wohl- ſtand verletzten. Die gantze Geſellſchaft war wohl mit ihm zufrieden, allein niemand bewunderte ihn mehr, als Frau Sinclair, die Jungfer Parting- ton, und er ſelbſt. Mir kam er allzu unnatuͤrlich und verliebt in ſich ſelbſt vor. Herr Tourville wird im Umgange mit Frauen- zimmern dadurch unertraͤglich, daß er alle Augen- blicke mit den Spoͤttereyen uͤber den Verſtand unſe- res Geſchlechts um ſich wirft, die in dem Woͤrter- Buche der jetzigen Moden Complimente heiſſen. Sie werden zwar zu unſerer Zeit beynahe fuͤr einen Erweis der ſechszehn Ahnen und der vornehmen Er- ziehung angeſehen, ob ſie gleich das abgeſchmackte- ſte Zeug von der Welt ſind, und die Falſchheit des hoͤflichen Laͤſterers ſo gleich verrathen. Wenn er glaubet, daß ſein vergoͤttertes Frauenzimmer Ge- ſchmack an ſeinen Reden finden kann, ſo muß er ſie gewiß fuͤr eine ſolche Gottheit halten, als die alten Roͤmiſchen Comoͤdianten auffuͤhreten, wenn der gantze Schauſaal einmal lachen ſollte. Er weiß ſich viel damit, wenn er ſeine Reden durch frantzoͤſiſche oder italiaͤniſche Worte ausputzen kann: wenn er auf engliſch gefraget wird, ſo erfolgt ſehr oft eine frantzoͤſiſche Antwort; denn dieſe Spra- che klinget in ſeinen Ohren viel beſſer, als das unan- genehme Ziſchen unſerer Mutter-Sprache, die das Ungluͤck hat, von den Bauren geredet zu werden. Al- J i 2

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/513>, abgerufen am 02.06.2024.