Erschrecken Sie nicht über diese Entschliessung, ob ich gleich unaufhörlich bewachet und belauret wer- de, ob ich gleich gezwungen bin, meiner Mutter des Tages beständig etwas vorzulesen, oder in ihrer Gegenwart zu arbeiten, so daß ich weder über Mund noch Hände selbst zu befehlen habe: ob ich gleich wi- der meinen Willen des Nachts bey ihr schlafen muß: so ist doch eine Furcht und eine Hoffnung, die mich von der Ausführung dessen, was ich geschrieben ha- be, abhält. Die Furcht ist, daß einige, die Jh- re Flucht für ein Versehen halten, meine Flucht auf Jhre Rechnung schreiben, und Jhr vermeyntes Ver- sehen hiedurch verdoppeln werden. Meine Hoff- nung hingegen ist diese: daß sich dennoch alles glück- lich endigen wird: und daß sich einige Leute über ihre bisherige Aufführung schämen werden. Jch wäge oft die Ursachen auf beyden Seiten ab: allein wenn Sie den Briefwechsel aufgeben, und zwar um eine Zeit, da er Jhnen am un- entbehrlichsten ist; so wird dieses der Wage ei- nen Ausschlag geben. Schreiben Sie daher, oder erwarten Sie bald die Folgen Jhres Stilleschweigens.
Ein Paar Worte, zu Beantwortung Jhrer vo- rigen Briefe! Jch weiß nicht, ob Jhr Bruder sei- nen weisen Anschlag hat fahren lassen, oder nicht. Jn Jhrem Hause ist jetzt alles so stille, als wenn die gantze Familie ausgestorben wäre. Jhr Bruder war drey Tage lang verreiset: er war darauf einen Tag zu Hause: jetzt ist er schon wider ver-
reiset.
Erſchrecken Sie nicht uͤber dieſe Entſchlieſſung, ob ich gleich unaufhoͤrlich bewachet und belauret wer- de, ob ich gleich gezwungen bin, meiner Mutter des Tages beſtaͤndig etwas vorzuleſen, oder in ihrer Gegenwart zu arbeiten, ſo daß ich weder uͤber Mund noch Haͤnde ſelbſt zu befehlen habe: ob ich gleich wi- der meinen Willen des Nachts bey ihr ſchlafen muß: ſo iſt doch eine Furcht und eine Hoffnung, die mich von der Ausfuͤhrung deſſen, was ich geſchrieben ha- be, abhaͤlt. Die Furcht iſt, daß einige, die Jh- re Flucht fuͤr ein Verſehen halten, meine Flucht auf Jhre Rechnung ſchreiben, und Jhr vermeyntes Ver- ſehen hiedurch verdoppeln werden. Meine Hoff- nung hingegen iſt dieſe: daß ſich dennoch alles gluͤck- lich endigen wird: und daß ſich einige Leute uͤber ihre bisherige Auffuͤhrung ſchaͤmen werden. Jch waͤge oft die Urſachen auf beyden Seiten ab: allein wenn Sie den Briefwechſel aufgeben, und zwar um eine Zeit, da er Jhnen am un- entbehrlichſten iſt; ſo wird dieſes der Wage ei- nen Ausſchlag geben. Schreiben Sie daher, oder erwarten Sie bald die Folgen Jhres Stilleſchweigens.
Ein Paar Worte, zu Beantwortung Jhrer vo- rigen Briefe! Jch weiß nicht, ob Jhr Bruder ſei- nen weiſen Anſchlag hat fahren laſſen, oder nicht. Jn Jhrem Hauſe iſt jetzt alles ſo ſtille, als wenn die gantze Familie ausgeſtorben waͤre. Jhr Bruder war drey Tage lang verreiſet: er war darauf einen Tag zu Hauſe: jetzt iſt er ſchon wider ver-
reiſet.
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Erſchrecken Sie nicht uͤber dieſe Entſchlieſſung,
ob ich gleich unaufhoͤrlich bewachet und belauret wer-
de, ob ich gleich gezwungen bin, meiner Mutter
des Tages beſtaͤndig etwas vorzuleſen, oder in ihrer
Gegenwart zu arbeiten, ſo daß ich weder uͤber Mund
noch Haͤnde ſelbſt zu befehlen habe: ob ich gleich wi-
der meinen Willen des Nachts bey ihr ſchlafen muß:
ſo iſt doch eine Furcht und eine Hoffnung, die mich
von der Ausfuͤhrung deſſen, was ich geſchrieben ha-
be, abhaͤlt. Die Furcht iſt, daß einige, die Jh-
re Flucht fuͤr ein Verſehen halten, meine Flucht auf
Jhre Rechnung ſchreiben, und Jhr vermeyntes Ver-
ſehen hiedurch verdoppeln werden. Meine Hoff-
nung hingegen iſt dieſe: daß ſich dennoch alles gluͤck-
lich endigen wird: und daß ſich einige Leute uͤber ihre
bisherige Auffuͤhrung ſchaͤmen werden. Jch
waͤge oft die Urſachen auf beyden Seiten ab:
allein wenn Sie den Briefwechſel aufgeben,
und zwar um eine Zeit, da er Jhnen am un-
entbehrlichſten iſt; ſo wird dieſes der Wage ei-
nen Ausſchlag geben. Schreiben Sie daher,
oder erwarten Sie bald die Folgen Jhres
Stilleſchweigens.
Ein Paar Worte, zu Beantwortung Jhrer vo-
rigen Briefe! Jch weiß nicht, ob Jhr Bruder ſei-
nen weiſen Anſchlag hat fahren laſſen, oder nicht.
Jn Jhrem Hauſe iſt jetzt alles ſo ſtille, als wenn die
gantze Familie ausgeſtorben waͤre. Jhr Bruder
war drey Tage lang verreiſet: er war darauf einen
Tag zu Hauſe: jetzt iſt er ſchon wider ver-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 514. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/528>, abgerufen am 22.12.2024.
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