kann, sie zu vertheidigen, und daß es unnöthig ist, ihre Unrechtmäßigkeit zu zeigen. Von dieser Art würde Jhre Flucht aus Jhrer Mutter Hause seyn: es würde überflüßig seyn, wenn ich Gründe anfüh- ren wollte. Es müsse doch nie jemand erfahren, daß Sie auch in der allerbesten Absicht den Vorsatz gefas- set haben, meinem bösen Exempel zu folgen! son- derlich, da Sie sich nicht durch eben die Umstände würden entschuldigen können, die meinen Fehler er- träglicher machen, und nie sagen könnten, daß ein anderer Sie übereilet habe, ehe Sie Zeit gehabt hät- ten, sich zu bedencken.
Die genaue Aufsicht Jhrer Frau Mutter ist von der Art, daß Sie sich nie darüber beklaget haben würden, wenn Sie es nicht aus Liebe zu mir thäten. Würden Sie es ehemals für eine Last gehalten ha- ben, bey Jhrer Mutter zu schlafen? Wie angenehm ist es mir gewesen, wenn meine Mutter mich mit in ihr Bette nahm? wenn sie mir erlaubte, in ihrer Gegenwart zu arbeiten? Jch erinnere mich noch, daß sie sonst in Jhrer Mutter Stube zu nähen pfleg- ten, und daß Sie ihr, eben so wie ich zu Hause zu thun pflegte, die langen Abende durch Vorlesung an- genehmer Bücher zu Jhrem eigenen Vergnügen verkürtzeten. Betrüben Sie mich nicht dadurch, daß Sie mich zwingen, die Ursache Jhrer so merck- lichen Veränderung zu errathen.
Lernen Sie doch um Gottes Willen über ihre Leidenschaften zu herrschen! Wenn die Trieb-Rä- der noch so rein sind, so wird dennoch Vergehung,
Ver-
kann, ſie zu vertheidigen, und daß es unnoͤthig iſt, ihre Unrechtmaͤßigkeit zu zeigen. Von dieſer Art wuͤrde Jhre Flucht aus Jhrer Mutter Hauſe ſeyn: es wuͤrde uͤberfluͤßig ſeyn, wenn ich Gruͤnde anfuͤh- ren wollte. Es muͤſſe doch nie jemand erfahren, daß Sie auch in der allerbeſten Abſicht den Vorſatz gefaſ- ſet haben, meinem boͤſen Exempel zu folgen! ſon- derlich, da Sie ſich nicht durch eben die Umſtaͤnde wuͤrden entſchuldigen koͤnnen, die meinen Fehler er- traͤglicher machen, und nie ſagen koͤnnten, daß ein anderer Sie uͤbereilet habe, ehe Sie Zeit gehabt haͤt- ten, ſich zu bedencken.
Die genaue Aufſicht Jhrer Frau Mutter iſt von der Art, daß Sie ſich nie daruͤber beklaget haben wuͤrden, wenn Sie es nicht aus Liebe zu mir thaͤten. Wuͤrden Sie es ehemals fuͤr eine Laſt gehalten ha- ben, bey Jhrer Mutter zu ſchlafen? Wie angenehm iſt es mir geweſen, wenn meine Mutter mich mit in ihr Bette nahm? wenn ſie mir erlaubte, in ihrer Gegenwart zu arbeiten? Jch erinnere mich noch, daß ſie ſonſt in Jhrer Mutter Stube zu naͤhen pfleg- ten, und daß Sie ihr, eben ſo wie ich zu Hauſe zu thun pflegte, die langen Abende durch Vorleſung an- genehmer Buͤcher zu Jhrem eigenen Vergnuͤgen verkuͤrtzeten. Betruͤben Sie mich nicht dadurch, daß Sie mich zwingen, die Urſache Jhrer ſo merck- lichen Veraͤnderung zu errathen.
Lernen Sie doch um Gottes Willen uͤber ihre Leidenſchaften zu herrſchen! Wenn die Trieb-Raͤ- der noch ſo rein ſind, ſo wird dennoch Vergehung,
Ver-
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kann, ſie zu vertheidigen, und daß es unnoͤthig iſt,
ihre Unrechtmaͤßigkeit zu zeigen. Von dieſer Art
wuͤrde Jhre Flucht aus Jhrer Mutter Hauſe ſeyn:
es wuͤrde uͤberfluͤßig ſeyn, wenn ich Gruͤnde anfuͤh-
ren wollte. Es muͤſſe doch nie jemand erfahren, daß
Sie auch in der allerbeſten Abſicht den Vorſatz gefaſ-
ſet haben, meinem boͤſen Exempel zu folgen! ſon-
derlich, da Sie ſich nicht durch eben die Umſtaͤnde
wuͤrden entſchuldigen koͤnnen, die meinen Fehler er-
traͤglicher machen, und nie ſagen koͤnnten, daß ein
anderer Sie uͤbereilet habe, ehe Sie Zeit gehabt haͤt-
ten, ſich zu bedencken.
Die genaue Aufſicht Jhrer Frau Mutter iſt von
der Art, daß Sie ſich nie daruͤber beklaget haben
wuͤrden, wenn Sie es nicht aus Liebe zu mir thaͤten.
Wuͤrden Sie es ehemals fuͤr eine Laſt gehalten ha-
ben, bey Jhrer Mutter zu ſchlafen? Wie angenehm
iſt es mir geweſen, wenn meine Mutter mich mit in
ihr Bette nahm? wenn ſie mir erlaubte, in ihrer
Gegenwart zu arbeiten? Jch erinnere mich noch,
daß ſie ſonſt in Jhrer Mutter Stube zu naͤhen pfleg-
ten, und daß Sie ihr, eben ſo wie ich zu Hauſe zu
thun pflegte, die langen Abende durch Vorleſung an-
genehmer Buͤcher zu Jhrem eigenen Vergnuͤgen
verkuͤrtzeten. Betruͤben Sie mich nicht dadurch,
daß Sie mich zwingen, die Urſache Jhrer ſo merck-
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 518. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/532>, abgerufen am 22.12.2024.
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