Vergehung bleiben. Die Leidenschaften, über die wir Frauenzimmer nicht wachsam genug sind, ent- stehen vielleicht aus Einer Quelle, mit den laster- haften Leidenschaften, die wir so oft an ungestümen und unbändigen Manns-Personen getadelt haben, und die bey jenen bloß durch die Gewohnheit und durch die freye Erziehung so starck werden. Lassen sie uns dieses wohl erwägen, und künftig behutsamer und argwöhnischer gegen uns selbst seyn.
Wenn ich noch ferner schreibe, (als dazu Sie mich zwingen) so bitte ich, daß Sie zum wenigsten nicht antworten. Wenn Sie diesen Brief nicht selbst beantworten, so soll es mir ein Zeichen seyn, daß Sie sich der gedroheten Uebereilung nicht schuldig machen wollen, und daß Sie Jhrer Mutter Willen in so fern beobachten werden, als der Briefwechsel von Jhnen selbst geführet wird. Wo es nöthig ist, kön- nen Sie mir Jhren Rath, und die erfoderlichen Nachrichten durch den Herrn Hickman mittheilen.
Meine zitternde Hand wird Jhnen zu verstehen geben, wie sehr über Jhre Entschliessung zittert
Jhre ew ig ergebene, oder wenn Sie nach London kommen Jhre ewig fremde Clarissa Harlowe.
Jch erhalte jetzt eben meine Kleider. Allein Jhr Brief hat mich in solche Unruhe gesetzt, daß ich nicht das Hertz habe, die Coffers zu eröffnen. Ein Be- dienter des Hrn. Lovelaces überbringet diesen Brief
an
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Vergehung bleiben. Die Leidenſchaften, uͤber die wir Frauenzimmer nicht wachſam genug ſind, ent- ſtehen vielleicht aus Einer Quelle, mit den laſter- haften Leidenſchaften, die wir ſo oft an ungeſtuͤmen und unbaͤndigen Manns-Perſonen getadelt haben, und die bey jenen bloß durch die Gewohnheit und durch die freye Erziehung ſo ſtarck werden. Laſſen ſie uns dieſes wohl erwaͤgen, und kuͤnftig behutſamer und argwoͤhniſcher gegen uns ſelbſt ſeyn.
Wenn ich noch ferner ſchreibe, (als dazu Sie mich zwingen) ſo bitte ich, daß Sie zum wenigſten nicht antworten. Wenn Sie dieſen Brief nicht ſelbſt beantworten, ſo ſoll es mir ein Zeichen ſeyn, daß Sie ſich der gedroheten Uebereilung nicht ſchuldig machen wollen, und daß Sie Jhrer Mutter Willen in ſo fern beobachten werden, als der Briefwechſel von Jhnen ſelbſt gefuͤhret wird. Wo es noͤthig iſt, koͤn- nen Sie mir Jhren Rath, und die erfoderlichen Nachrichten durch den Herrn Hickman mittheilen.
Meine zitternde Hand wird Jhnen zu verſtehen geben, wie ſehr uͤber Jhre Entſchlieſſung zittert
Jhre ew ig ergebene, oder wenn Sie nach London kommen Jhre ewig fremde Clariſſa Harlowe.
Jch erhalte jetzt eben meine Kleider. Allein Jhr Brief hat mich in ſolche Unruhe geſetzt, daß ich nicht das Hertz habe, die Coffers zu eroͤffnen. Ein Be- dienter des Hrn. Lovelaces uͤberbringet dieſen Brief
an
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Vergehung bleiben. Die Leidenſchaften, uͤber die
wir Frauenzimmer nicht wachſam genug ſind, ent-
ſtehen vielleicht aus Einer Quelle, mit den laſter-
haften Leidenſchaften, die wir ſo oft an ungeſtuͤmen
und unbaͤndigen Manns-Perſonen getadelt haben,
und die bey jenen bloß durch die Gewohnheit und
durch die freye Erziehung ſo ſtarck werden. Laſſen
ſie uns dieſes wohl erwaͤgen, und kuͤnftig behutſamer
und argwoͤhniſcher gegen uns ſelbſt ſeyn.
Wenn ich noch ferner ſchreibe, (als dazu Sie
mich zwingen) ſo bitte ich, daß Sie zum wenigſten
nicht antworten. Wenn Sie dieſen Brief nicht ſelbſt
beantworten, ſo ſoll es mir ein Zeichen ſeyn, daß Sie
ſich der gedroheten Uebereilung nicht ſchuldig machen
wollen, und daß Sie Jhrer Mutter Willen in ſo
fern beobachten werden, als der Briefwechſel von
Jhnen ſelbſt gefuͤhret wird. Wo es noͤthig iſt, koͤn-
nen Sie mir Jhren Rath, und die erfoderlichen
Nachrichten durch den Herrn Hickman mittheilen.
Meine zitternde Hand wird Jhnen zu verſtehen
geben, wie ſehr uͤber Jhre Entſchlieſſung zittert
Jhre ew ig ergebene,
oder wenn Sie nach London kommen
Jhre ewig fremde
Clariſſa Harlowe.
Jch erhalte jetzt eben meine Kleider. Allein Jhr
Brief hat mich in ſolche Unruhe geſetzt, daß ich nicht
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 519. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/533>, abgerufen am 22.12.2024.
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