Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749.

Bild:
<< vorherige Seite


Der vier und siebenzigste Brief
von
Herrn Belford an Herrn Robert Lovelace.

Wir erwarten den Brief nicht, in welchem du
uns das Urtheil der Fräulein über uns be-
richten sollst: sondern ich ergreife so gleich die Feder,
um dir unser gemeinschaftliches Urtheil von ihr zu
melden: daß kein Frauenzimmer in der Welt von
ihren Jahren mit ihr am Verstande könne verglichen
werden. Was die Gestalt betrifft, so ist sie eben in
dem blühenden Alter, und eine bewundernswürdi-
ge, eine recht vollkommene Schönheit: allein dieses
ist nur ihr geringeres Lob, welches ihr zu geben sich
derjenige beynahe schämet, der die Ehre gehabt hat,
sie zu sprechen: und auch wir sind so gesinnet, ob sie
gleich wider ihren Willen unter uns gebracht war.

Erlaube mir, mein lieber Lovelace, daß ich das
Mittel bin, dieses unvergleichliche Kind von einer
Gefahr zu retten, der es alle Stunden unterworfen
ist, und die ihr das betrüglichste und listigste Hertz,
das ich je gekannt habe, zubereitet. Jch habe mich
ehemals auf deine eigene Familie, und insonderheit
auf den Wunsch des Lord M. beruffen, ehe ich die
Fräulein noch selbst gesehen hatte: allein nun bitte
ich dich auch um ihrentwillen, um deiner Ehre wil-
len, um der Gerechtigkeit, Edelmüthigkeit, Danck-
barkeit und Menschlichkeit willen; denn alle diese
Tugenden sind in der That Vorbitterinnen deiner
Geliebten. Du kannst dir nicht vorstellen, was

für


Der vier und ſiebenzigſte Brief
von
Herrn Belford an Herrn Robert Lovelace.

Wir erwarten den Brief nicht, in welchem du
uns das Urtheil der Fraͤulein uͤber uns be-
richten ſollſt: ſondern ich ergreife ſo gleich die Feder,
um dir unſer gemeinſchaftliches Urtheil von ihr zu
melden: daß kein Frauenzimmer in der Welt von
ihren Jahren mit ihr am Verſtande koͤnne verglichen
werden. Was die Geſtalt betrifft, ſo iſt ſie eben in
dem bluͤhenden Alter, und eine bewundernswuͤrdi-
ge, eine recht vollkommene Schoͤnheit: allein dieſes
iſt nur ihr geringeres Lob, welches ihr zu geben ſich
derjenige beynahe ſchaͤmet, der die Ehre gehabt hat,
ſie zu ſprechen: und auch wir ſind ſo geſinnet, ob ſie
gleich wider ihren Willen unter uns gebracht war.

Erlaube mir, mein lieber Lovelace, daß ich das
Mittel bin, dieſes unvergleichliche Kind von einer
Gefahr zu retten, der es alle Stunden unterworfen
iſt, und die ihr das betruͤglichſte und liſtigſte Hertz,
das ich je gekannt habe, zubereitet. Jch habe mich
ehemals auf deine eigene Familie, und inſonderheit
auf den Wunſch des Lord M. beruffen, ehe ich die
Fraͤulein noch ſelbſt geſehen hatte: allein nun bitte
ich dich auch um ihrentwillen, um deiner Ehre wil-
len, um der Gerechtigkeit, Edelmuͤthigkeit, Danck-
barkeit und Menſchlichkeit willen; denn alle dieſe
Tugenden ſind in der That Vorbitterinnen deiner
Geliebten. Du kannſt dir nicht vorſtellen, was

fuͤr
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0546" n="532"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#fr">Der vier und &#x017F;iebenzig&#x017F;te Brief</hi><lb/>
von<lb/><hi rendition="#fr">Herrn Belford an Herrn Robert Lovelace.</hi></head><lb/>
          <dateline> <hi rendition="#et">Edgware, Dien&#x017F;tags Abends den 2. May.</hi> </dateline><lb/>
          <p><hi rendition="#in">W</hi>ir erwarten den Brief nicht, in welchem du<lb/>
uns das Urtheil der Fra&#x0364;ulein u&#x0364;ber uns be-<lb/>
richten &#x017F;oll&#x017F;t: &#x017F;ondern ich ergreife &#x017F;o gleich die Feder,<lb/>
um dir un&#x017F;er gemein&#x017F;chaftliches Urtheil von ihr zu<lb/>
melden: daß kein Frauenzimmer in der Welt von<lb/>
ihren Jahren mit ihr am Ver&#x017F;tande ko&#x0364;nne verglichen<lb/>
werden. Was die Ge&#x017F;talt betrifft, &#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie eben in<lb/>
dem blu&#x0364;henden Alter, und eine bewundernswu&#x0364;rdi-<lb/>
ge, eine recht vollkommene Scho&#x0364;nheit: allein die&#x017F;es<lb/>
i&#x017F;t nur ihr geringeres Lob, welches ihr zu geben &#x017F;ich<lb/>
derjenige beynahe &#x017F;cha&#x0364;met, der die Ehre gehabt hat,<lb/>
&#x017F;ie zu &#x017F;prechen: und auch wir &#x017F;ind &#x017F;o ge&#x017F;innet, ob &#x017F;ie<lb/>
gleich wider ihren Willen unter uns gebracht war.</p><lb/>
          <p>Erlaube mir, mein lieber <hi rendition="#fr">Lovelace,</hi> daß ich das<lb/>
Mittel bin, die&#x017F;es unvergleichliche Kind von einer<lb/>
Gefahr zu retten, der es alle Stunden unterworfen<lb/>
i&#x017F;t, und die ihr das betru&#x0364;glich&#x017F;te und li&#x017F;tig&#x017F;te Hertz,<lb/>
das ich je gekannt habe, zubereitet. Jch habe mich<lb/>
ehemals auf deine eigene Familie, und in&#x017F;onderheit<lb/>
auf den Wun&#x017F;ch des Lord M. beruffen, ehe ich die<lb/>
Fra&#x0364;ulein noch &#x017F;elb&#x017F;t ge&#x017F;ehen hatte: allein nun bitte<lb/>
ich dich auch um ihrentwillen, um deiner Ehre wil-<lb/>
len, um der Gerechtigkeit, Edelmu&#x0364;thigkeit, Danck-<lb/>
barkeit und Men&#x017F;chlichkeit willen; denn alle die&#x017F;e<lb/>
Tugenden &#x017F;ind in der That Vorbitterinnen deiner<lb/>
Geliebten. Du kann&#x017F;t dir nicht vor&#x017F;tellen, was<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">fu&#x0364;r</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[532/0546] Der vier und ſiebenzigſte Brief von Herrn Belford an Herrn Robert Lovelace. Edgware, Dienſtags Abends den 2. May. Wir erwarten den Brief nicht, in welchem du uns das Urtheil der Fraͤulein uͤber uns be- richten ſollſt: ſondern ich ergreife ſo gleich die Feder, um dir unſer gemeinſchaftliches Urtheil von ihr zu melden: daß kein Frauenzimmer in der Welt von ihren Jahren mit ihr am Verſtande koͤnne verglichen werden. Was die Geſtalt betrifft, ſo iſt ſie eben in dem bluͤhenden Alter, und eine bewundernswuͤrdi- ge, eine recht vollkommene Schoͤnheit: allein dieſes iſt nur ihr geringeres Lob, welches ihr zu geben ſich derjenige beynahe ſchaͤmet, der die Ehre gehabt hat, ſie zu ſprechen: und auch wir ſind ſo geſinnet, ob ſie gleich wider ihren Willen unter uns gebracht war. Erlaube mir, mein lieber Lovelace, daß ich das Mittel bin, dieſes unvergleichliche Kind von einer Gefahr zu retten, der es alle Stunden unterworfen iſt, und die ihr das betruͤglichſte und liſtigſte Hertz, das ich je gekannt habe, zubereitet. Jch habe mich ehemals auf deine eigene Familie, und inſonderheit auf den Wunſch des Lord M. beruffen, ehe ich die Fraͤulein noch ſelbſt geſehen hatte: allein nun bitte ich dich auch um ihrentwillen, um deiner Ehre wil- len, um der Gerechtigkeit, Edelmuͤthigkeit, Danck- barkeit und Menſchlichkeit willen; denn alle dieſe Tugenden ſind in der That Vorbitterinnen deiner Geliebten. Du kannſt dir nicht vorſtellen, was fuͤr

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/546
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/546>, abgerufen am 22.12.2024.