meinem Theil; und was dieses für ein Theil ist, das kann ich aus meines Vetters Briefe sehen.
Jch bitte Sie, behalten Sie den Brief, bis ich ihn wider abfodere. Jch habe ihn nicht eher als heute früh gesehen; denn ich habe einige Tage nicht das Hertz gehabt, die Koffers auszupacken. Jch wollte nicht gern daß Lovelace ihn sehen sollte, damit nicht der heftigste Kopf, und der braveste und erfahrenste Soldat (dafür man meinen Vetter hält) an einander gerathen, und noch mehreres Unglück anrichten.
Der Brief war erbrochen, und wider in ein weis- ses Blat ohne Aufschrift eingesiegelt. So sehr die Meinigen mich verachten und verabscheuen, so wun- dere ich mich dennoch, daß sie nicht eine Zeile dabey geschrieben haben. Sie hätten mir die Absicht zum wenigsten melden können, warum sie den Brief über- schickten: die eben so edel wird gewesen seyn, als bey der Uebersendung des Spira. Er war mit schwartzem Siegellack versiegelt. Jch will nicht hof- fen, daß eine Veränderung in der Familie vorgegan- gen ist, die dieses erfodert: sonst würden sie es mir gemeldet, und mir (vielleicht mit Recht) die Schuld beygemessen haben.
Jch hatte angefangen an meinen Vetter zu schrei- ben: weil ich aber nichts gewisses schreiben konnte, und von Tage zu Tage hoffete, daß sich meine Um- stände auf klären würden, so habe ich den Brief auf die Seite geleget. Sie befahlen mir vor einiger Zeit, an ihn zu schreiben, und damahls fing ich den Brief an: denn Jhnen, als meiner eintzigen Freundin,
muß
N n 2
meinem Theil; und was dieſes fuͤr ein Theil iſt, das kann ich aus meines Vetters Briefe ſehen.
Jch bitte Sie, behalten Sie den Brief, bis ich ihn wider abfodere. Jch habe ihn nicht eher als heute fruͤh geſehen; denn ich habe einige Tage nicht das Hertz gehabt, die Koffers auszupacken. Jch wollte nicht gern daß Lovelace ihn ſehen ſollte, damit nicht der heftigſte Kopf, und der braveſte und erfahrenſte Soldat (dafuͤr man meinen Vetter haͤlt) an einander gerathen, und noch mehreres Ungluͤck anrichten.
Der Brief war erbrochen, und wider in ein weiſ- ſes Blat ohne Aufſchrift eingeſiegelt. So ſehr die Meinigen mich verachten und verabſcheuen, ſo wun- dere ich mich dennoch, daß ſie nicht eine Zeile dabey geſchrieben haben. Sie haͤtten mir die Abſicht zum wenigſten melden koͤnnen, warum ſie den Brief uͤber- ſchickten: die eben ſo edel wird geweſen ſeyn, als bey der Ueberſendung des Spira. Er war mit ſchwartzem Siegellack verſiegelt. Jch will nicht hof- fen, daß eine Veraͤnderung in der Familie vorgegan- gen iſt, die dieſes erfodert: ſonſt wuͤrden ſie es mir gemeldet, und mir (vielleicht mit Recht) die Schuld beygemeſſen haben.
Jch hatte angefangen an meinen Vetter zu ſchrei- ben: weil ich aber nichts gewiſſes ſchreiben konnte, und von Tage zu Tage hoffete, daß ſich meine Um- ſtaͤnde auf klaͤren wuͤrden, ſo habe ich den Brief auf die Seite geleget. Sie befahlen mir vor einiger Zeit, an ihn zu ſchreiben, und damahls fing ich den Brief an: denn Jhnen, als meiner eintzigen Freundin,
muß
N n 2
<TEI><text><body><divn="1"><div><p><pbfacs="#f0577"n="563"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
meinem Theil; und was dieſes fuͤr ein Theil iſt,<lb/>
das kann ich aus meines Vetters Briefe ſehen.</p><lb/><p>Jch bitte Sie, behalten Sie den Brief, bis ich<lb/>
ihn wider abfodere. Jch habe ihn nicht eher als<lb/>
heute fruͤh geſehen; denn ich habe einige Tage nicht<lb/>
das Hertz gehabt, die Koffers auszupacken. Jch<lb/>
wollte nicht gern daß <hirendition="#fr">Lovelace</hi> ihn ſehen ſollte,<lb/>
damit nicht der heftigſte Kopf, und der braveſte und<lb/>
erfahrenſte Soldat (dafuͤr man meinen Vetter haͤlt)<lb/>
an einander gerathen, und noch mehreres Ungluͤck<lb/>
anrichten.</p><lb/><p>Der Brief war erbrochen, und wider in ein weiſ-<lb/>ſes Blat ohne Aufſchrift eingeſiegelt. So ſehr die<lb/>
Meinigen mich verachten und verabſcheuen, ſo wun-<lb/>
dere ich mich dennoch, daß ſie nicht eine Zeile dabey<lb/>
geſchrieben haben. Sie haͤtten mir die Abſicht zum<lb/>
wenigſten melden koͤnnen, warum ſie den Brief uͤber-<lb/>ſchickten: die eben ſo edel wird geweſen ſeyn, als<lb/>
bey der Ueberſendung des <hirendition="#fr">Spira.</hi> Er war mit<lb/>ſchwartzem Siegellack verſiegelt. Jch will nicht hof-<lb/>
fen, daß eine Veraͤnderung in der Familie vorgegan-<lb/>
gen iſt, die dieſes erfodert: ſonſt wuͤrden ſie es mir<lb/>
gemeldet, und mir (vielleicht mit Recht) die Schuld<lb/>
beygemeſſen haben.</p><lb/><p>Jch hatte angefangen an meinen Vetter zu ſchrei-<lb/>
ben: weil ich aber nichts gewiſſes ſchreiben konnte,<lb/>
und von Tage zu Tage hoffete, daß ſich meine Um-<lb/>ſtaͤnde auf klaͤren wuͤrden, ſo habe ich den Brief auf<lb/>
die Seite geleget. Sie befahlen mir vor einiger Zeit,<lb/>
an ihn zu ſchreiben, und damahls fing ich den Brief<lb/>
an: denn Jhnen, als meiner eintzigen Freundin,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">N n 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">muß</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[563/0577]
meinem Theil; und was dieſes fuͤr ein Theil iſt,
das kann ich aus meines Vetters Briefe ſehen.
Jch bitte Sie, behalten Sie den Brief, bis ich
ihn wider abfodere. Jch habe ihn nicht eher als
heute fruͤh geſehen; denn ich habe einige Tage nicht
das Hertz gehabt, die Koffers auszupacken. Jch
wollte nicht gern daß Lovelace ihn ſehen ſollte,
damit nicht der heftigſte Kopf, und der braveſte und
erfahrenſte Soldat (dafuͤr man meinen Vetter haͤlt)
an einander gerathen, und noch mehreres Ungluͤck
anrichten.
Der Brief war erbrochen, und wider in ein weiſ-
ſes Blat ohne Aufſchrift eingeſiegelt. So ſehr die
Meinigen mich verachten und verabſcheuen, ſo wun-
dere ich mich dennoch, daß ſie nicht eine Zeile dabey
geſchrieben haben. Sie haͤtten mir die Abſicht zum
wenigſten melden koͤnnen, warum ſie den Brief uͤber-
ſchickten: die eben ſo edel wird geweſen ſeyn, als
bey der Ueberſendung des Spira. Er war mit
ſchwartzem Siegellack verſiegelt. Jch will nicht hof-
fen, daß eine Veraͤnderung in der Familie vorgegan-
gen iſt, die dieſes erfodert: ſonſt wuͤrden ſie es mir
gemeldet, und mir (vielleicht mit Recht) die Schuld
beygemeſſen haben.
Jch hatte angefangen an meinen Vetter zu ſchrei-
ben: weil ich aber nichts gewiſſes ſchreiben konnte,
und von Tage zu Tage hoffete, daß ſich meine Um-
ſtaͤnde auf klaͤren wuͤrden, ſo habe ich den Brief auf
die Seite geleget. Sie befahlen mir vor einiger Zeit,
an ihn zu ſchreiben, und damahls fing ich den Brief
an: denn Jhnen, als meiner eintzigen Freundin,
muß
N n 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 3. Göttingen, 1749, S. 563. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa03_1749/577>, abgerufen am 22.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.