Jch will der Gehorsam und die Verleugnung selbst seyn. (sagte der Mensch mit einer aufgeblase- nen Mine, nicht anders als wenn ich ihm einen An- trag gethan hätte, den er sich gefallen liesse, und als wenn ich ihm wegen einer wichtigen Verleugnung Danck schuldig wäre.) Um nicht unbescheiden zu scheinen, mußte ich mich sehr vergnügt stellen. War dieses nicht nöthig, mein Schatz? Wollte Gott - - Doch was hilft das Wünschen?
Als er sich selbst vor seine Verleugnung (nach seinen Ausdruck) eine Belohnung nehmen und mich küssen wollte, so stieß ich ihn mit hertzlicher Verach- tung von mir: es schien ihm dieses zu verdriessen und zu wundern, weil er sich seiner Meynung nach so gegen mich erkläret hatte, daß er eine bessere Auf- führung von mir verdienete. Er sagte gantz deut- lich: wir stünden in solchem Verhältniß gegen ein- ander, daß er sich zu dergleichen unschuldigen Frey- heiten berechtiget hielte. Er erstaune gantz dar- über, und es sey ihm sehr empfindlich, daß ich ihn so hönisch abwiese.
Jch konnte nicht antworten, sondern gieng plötz- lich von ihm. Jch erinnere mich, daß ich im Vor- beygehen ihn im Spiegel sahe, wie er sich mit der vollen Faust vor die Stirne schlug. Jch hörte auch die Worte: Kaltsinnigkeit! Haß! und daß er etwas von Eiß sagete, das ich nicht recht verstehen konnte.
Jch weiß nicht, ob er noch an seinem Onckle oder die Fräulein Montague zu schreiben gedenckt. Da ich jetzt aufhören muß, blöde und schamhaft zu seyn, so ist es mir vielleicht zu verdencken, daß ich
eine
Jch will der Gehorſam und die Verleugnung ſelbſt ſeyn. (ſagte der Menſch mit einer aufgeblaſe- nen Mine, nicht anders als wenn ich ihm einen An- trag gethan haͤtte, den er ſich gefallen lieſſe, und als wenn ich ihm wegen einer wichtigen Verleugnung Danck ſchuldig waͤre.) Um nicht unbeſcheiden zu ſcheinen, mußte ich mich ſehr vergnuͤgt ſtellen. War dieſes nicht noͤthig, mein Schatz? Wollte Gott ‒ ‒ Doch was hilft das Wuͤnſchen?
Als er ſich ſelbſt vor ſeine Verleugnung (nach ſeinen Ausdruck) eine Belohnung nehmen und mich kuͤſſen wollte, ſo ſtieß ich ihn mit hertzlicher Verach- tung von mir: es ſchien ihm dieſes zu verdrieſſen und zu wundern, weil er ſich ſeiner Meynung nach ſo gegen mich erklaͤret hatte, daß er eine beſſere Auf- fuͤhrung von mir verdienete. Er ſagte gantz deut- lich: wir ſtuͤnden in ſolchem Verhaͤltniß gegen ein- ander, daß er ſich zu dergleichen unſchuldigen Frey- heiten berechtiget hielte. Er erſtaune gantz dar- uͤber, und es ſey ihm ſehr empfindlich, daß ich ihn ſo hoͤniſch abwieſe.
Jch konnte nicht antworten, ſondern gieng ploͤtz- lich von ihm. Jch erinnere mich, daß ich im Vor- beygehen ihn im Spiegel ſahe, wie er ſich mit der vollen Fauſt vor die Stirne ſchlug. Jch hoͤrte auch die Worte: Kaltſinnigkeit! Haß! und daß er etwas von Eiß ſagete, das ich nicht recht verſtehen konnte.
Jch weiß nicht, ob er noch an ſeinem Onckle oder die Fraͤulein Montague zu ſchreiben gedenckt. Da ich jetzt aufhoͤren muß, bloͤde und ſchamhaft zu ſeyn, ſo iſt es mir vielleicht zu verdencken, daß ich
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Jch will der Gehorſam und die Verleugnung
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nen Mine, nicht anders als wenn ich ihm einen An-
trag gethan haͤtte, den er ſich gefallen lieſſe, und als
wenn ich ihm wegen einer wichtigen Verleugnung
Danck ſchuldig waͤre.) Um nicht unbeſcheiden zu
ſcheinen, mußte ich mich ſehr vergnuͤgt ſtellen. War
dieſes nicht noͤthig, mein Schatz? Wollte Gott ‒ ‒
Doch was hilft das Wuͤnſchen?
Als er ſich ſelbſt vor ſeine Verleugnung (nach
ſeinen Ausdruck) eine Belohnung nehmen und mich
kuͤſſen wollte, ſo ſtieß ich ihn mit hertzlicher Verach-
tung von mir: es ſchien ihm dieſes zu verdrieſſen
und zu wundern, weil er ſich ſeiner Meynung nach
ſo gegen mich erklaͤret hatte, daß er eine beſſere Auf-
fuͤhrung von mir verdienete. Er ſagte gantz deut-
lich: wir ſtuͤnden in ſolchem Verhaͤltniß gegen ein-
ander, daß er ſich zu dergleichen unſchuldigen Frey-
heiten berechtiget hielte. Er erſtaune gantz dar-
uͤber, und es ſey ihm ſehr empfindlich, daß ich ihn
ſo hoͤniſch abwieſe.
Jch konnte nicht antworten, ſondern gieng ploͤtz-
lich von ihm. Jch erinnere mich, daß ich im Vor-
beygehen ihn im Spiegel ſahe, wie er ſich mit der
vollen Fauſt vor die Stirne ſchlug. Jch hoͤrte auch
die Worte: Kaltſinnigkeit! Haß! und daß er etwas
von Eiß ſagete, das ich nicht recht verſtehen konnte.
Jch weiß nicht, ob er noch an ſeinem Onckle oder
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/104>, abgerufen am 21.11.2024.
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