[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.lange willst du ein so unvergleichliches Frauenzim- mer schimpfen, als wenn es in der Versuchung nicht bestehen würde? So oft du einen Brief schreibest, so giebst du vor, sie würde und müßte überwun- den werden, weil sie so sehr verstricket sey: und dennoch ist es ihre Tugend, die dich zu ihrem Freun- de und Vertheidiger macht. Nennest du mich ein Werckzeug des verächt- Gebrauche dich meiner sinnlichen Schwachhei- Du bleibst immer bey dem alten Liede: wenn noth- H 5
lange willſt du ein ſo unvergleichliches Frauenzim- mer ſchimpfen, als wenn es in der Verſuchung nicht beſtehen wuͤrde? So oft du einen Brief ſchreibeſt, ſo giebſt du vor, ſie wuͤrde und muͤßte uͤberwun- den werden, weil ſie ſo ſehr verſtricket ſey: und dennoch iſt es ihre Tugend, die dich zu ihrem Freun- de und Vertheidiger macht. Nenneſt du mich ein Werckzeug des veraͤcht- Gebrauche dich meiner ſinnlichen Schwachhei- Du bleibſt immer bey dem alten Liede: wenn noth- H 5
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lange willſt du ein ſo unvergleichliches Frauenzim-
mer ſchimpfen, als wenn es in der Verſuchung nicht
beſtehen wuͤrde? So oft du einen Brief ſchreibeſt,
ſo giebſt du vor, ſie wuͤrde und muͤßte uͤberwun-
den werden, weil ſie ſo ſehr verſtricket ſey: und
dennoch iſt es ihre Tugend, die dich zu ihrem Freun-
de und Vertheidiger macht.
Nenneſt du mich ein Werckzeug des veraͤcht-
lichen Jaͤckel Harlowes? Wie fluche ich auf
dich! ein Werckzeug des Bruders! der Schweſter!
allein gieb auf das Ende Achtung, ſo wirſt du ſehen,
was aus dem Bruder und aus der Schweſter wer-
den ſoll.
Gebrauche dich meiner ſinnlichen Schwachhei-
ten nicht gegen mich, wenn ich ſie dir bekenne. Dieſe
ſinnlichen Schwachheiten ſind eine Widerlegung
deſſen, was du von meinem fuͤhlloſen Hertze ſchreibſt,
und du wuͤßteſt nicht einmahl etwas davon, wenn ich
es dir nicht gemeldet haͤtte.
Du bleibſt immer bey dem alten Liede: wenn
ich eine ſo ungemein tugendhafte Perſon ver-
fuͤhrte ‒ ‒ bald behaupteſt du, daß die allerreine-
ſte Tugend nicht ſicher iſt, ſo bald es Leute
giebt, die nach ihrer Ehre nichts fragen, und
mit ihren Eydſchwuͤren und Geluͤbden einen
Schertz treiben. Dencke nur, einfaͤltiger Kerl,
was wuͤrde das fuͤr eine Tugend ſeyn, die ſich ohne
Eydſchwuͤre uͤberwinden lieſſe? Jſt nicht die Welt
gantz voll von dergleichen Betruͤgereyen? Sind
nicht die Eydſchwuͤre der Verliebten gemeiniglich ein
Ball, damit geſpielet wird? Beſtehet nicht ein
noth-
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