nothwendiges Stück der guten Erziehung eines Frauenzimmers darin, daß es vor der Untreue un- seres Geschlechts gewarnet wird?
Jch will suchen, mich selbst zu überwinden; allein ich muß vorher dieses Frauenzimmer über- wunden haben. Habe ich dir nicht längstens gesaget, daß es zur Ehre des schönen Geschlechtes gereiche, wenn ich diesen Versuch anstelle.
So bald du ein Frauenzimmer findest, das nur halb so viel Vollkommenheiten besitzet als die Fräulein Clarissa Harlowe, so willst du heyrathen! Thue das: es stehet dir frey.
Jch freue mich, daß du dir ein Gewissen darü- ber machst, daß du kein Buß-Prediger bey den Huren bist, die andere Leute verführet haben. Jch will nicht dein Ankläger werden; sonst könnte ich dir leicht etwas zu verdauen geben, wenn du dich rüh- mest, daß du nie ein Mädchen verführet hast, das nicht ohne dich verführt seyn würde. So tröstet sich ein Hottentotten-Hertz: das lieber andern Raub-Vö- geln das Aas auffrißt, als sich entschließt sich zu bessern. Allein sage mir, würdest du ein solches Mädchen, als mein Rosen-Knöspgen war, gescho- net haben, wenn ich dir nicht mit Grosmuth vorge- gangen wäre? Mein Rosen-Knöspgen ist nicht das eintzige Mädchen, welches Proben von meiner Gros- muth hat. So bald man mein Vermögen erkann- te, Schaden zu thun, so bald war niemand mitley- diger als dein Freund.
Der Widerstand entflammt die Liebe, Und wehet ihre Funcken an.
Die
nothwendiges Stuͤck der guten Erziehung eines Frauenzimmers darin, daß es vor der Untreue un- ſeres Geſchlechts gewarnet wird?
Jch will ſuchen, mich ſelbſt zu uͤberwinden; allein ich muß vorher dieſes Frauenzimmer uͤber- wunden haben. Habe ich dir nicht laͤngſtens geſaget, daß es zur Ehre des ſchoͤnen Geſchlechtes gereiche, wenn ich dieſen Verſuch anſtelle.
So bald du ein Frauenzimmer findeſt, das nur halb ſo viel Vollkommenheiten beſitzet als die Fraͤulein Clariſſa Harlowe, ſo willſt du heyrathen! Thue das: es ſtehet dir frey.
Jch freue mich, daß du dir ein Gewiſſen daruͤ- ber machſt, daß du kein Buß-Prediger bey den Huren biſt, die andere Leute verfuͤhret haben. Jch will nicht dein Anklaͤger werden; ſonſt koͤnnte ich dir leicht etwas zu verdauen geben, wenn du dich ruͤh- meſt, daß du nie ein Maͤdchen verfuͤhret haſt, das nicht ohne dich verfuͤhrt ſeyn wuͤrde. So troͤſtet ſich ein Hottentotten-Hertz: das lieber andern Raub-Voͤ- geln das Aas auffrißt, als ſich entſchließt ſich zu beſſern. Allein ſage mir, wuͤrdeſt du ein ſolches Maͤdchen, als mein Roſen-Knoͤſpgen war, geſcho- net haben, wenn ich dir nicht mit Grosmuth vorge- gangen waͤre? Mein Roſen-Knoͤſpgen iſt nicht das eintzige Maͤdchen, welches Proben von meiner Gros- muth hat. So bald man mein Vermoͤgen erkann- te, Schaden zu thun, ſo bald war niemand mitley- diger als dein Freund.
Der Widerſtand entflammt die Liebe, Und wehet ihre Funcken an.
Die
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nothwendiges Stuͤck der guten Erziehung eines
Frauenzimmers darin, daß es vor der Untreue un-
ſeres Geſchlechts gewarnet wird?
Jch will ſuchen, mich ſelbſt zu uͤberwinden;
allein ich muß vorher dieſes Frauenzimmer uͤber-
wunden haben. Habe ich dir nicht laͤngſtens geſaget,
daß es zur Ehre des ſchoͤnen Geſchlechtes gereiche,
wenn ich dieſen Verſuch anſtelle.
So bald du ein Frauenzimmer findeſt, das
nur halb ſo viel Vollkommenheiten beſitzet
als die Fraͤulein Clariſſa Harlowe, ſo willſt
du heyrathen! Thue das: es ſtehet dir frey.
Jch freue mich, daß du dir ein Gewiſſen daruͤ-
ber machſt, daß du kein Buß-Prediger bey den
Huren biſt, die andere Leute verfuͤhret haben. Jch
will nicht dein Anklaͤger werden; ſonſt koͤnnte ich dir
leicht etwas zu verdauen geben, wenn du dich ruͤh-
meſt, daß du nie ein Maͤdchen verfuͤhret haſt, das
nicht ohne dich verfuͤhrt ſeyn wuͤrde. So troͤſtet ſich
ein Hottentotten-Hertz: das lieber andern Raub-Voͤ-
geln das Aas auffrißt, als ſich entſchließt ſich zu
beſſern. Allein ſage mir, wuͤrdeſt du ein ſolches
Maͤdchen, als mein Roſen-Knoͤſpgen war, geſcho-
net haben, wenn ich dir nicht mit Grosmuth vorge-
gangen waͤre? Mein Roſen-Knoͤſpgen iſt nicht das
eintzige Maͤdchen, welches Proben von meiner Gros-
muth hat. So bald man mein Vermoͤgen erkann-
te, Schaden zu thun, ſo bald war niemand mitley-
diger als dein Freund.
Der Widerſtand entflammt die Liebe,
Und wehet ihre Funcken an.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/128>, abgerufen am 24.11.2024.
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