(Eine Anrede, voll gewinnsüchtiger Eigen- liebe! Jch glaube, daß Freundschaft, Danckbar- keit, und Menschenliebe uns nahe genug angehen. Doch ich will nicht Worte auffangen.)
Tochter. Jch kann jetzt auf alles Achtung geben, was meine Mutter mir zu sagen, die Gü- tigkeit hat.
M. Was willst du Kind? Was weinst du, meine liebe Tochter! (Hiebey sahe sie so sonderbar, so gütig, so vergnügt aus, daß ich es Jhnen nicht beschreiben kann.) Jch sehe, daß du sehr auf- mercksam bist. Erschrick dich nicht. Sey nicht unruhig. Jch habe - - ich habe - - Wo ist er doch? (Der Brief lag ihr zwar auf dem Hertzen, so nahe als ihr noch nie einer auf dem Hertzen ge- legen hat. Sie hätte also nicht nöthig gehabt, ihn zu suchen.) Jch habe einen Brief, mein Kind. (Hier zog sie den Brief aus dem Busen; allein sie behielt ihn in der Hand.) Jch habe ei- nen Brief, Kind! Er ist, - - - er ist von einem Cavallier! bey meiner Treue! (Hier hub sie die Hand auf, und sahe recht freundlich aus.)
Jch dachte bey mir selbst: eine Tochter kann an dem Wunderbaren, das mir meine Mutter erzählen will, wenig Vergnügen finden. Jch will ihr diesesmahl die Freude nicht gönnen, daß sie mir ein vergnügtes Wunder nach dem andern entdecket.
T. Vermuthlich von Herrn Anton Har- lowe!
M.
(Eine Anrede, voll gewinnſuͤchtiger Eigen- liebe! Jch glaube, daß Freundſchaft, Danckbar- keit, und Menſchenliebe uns nahe genug angehen. Doch ich will nicht Worte auffangen.)
Tochter. Jch kann jetzt auf alles Achtung geben, was meine Mutter mir zu ſagen, die Guͤ- tigkeit hat.
M. Was willſt du Kind? Was weinſt du, meine liebe Tochter! (Hiebey ſahe ſie ſo ſonderbar, ſo guͤtig, ſo vergnuͤgt aus, daß ich es Jhnen nicht beſchreiben kann.) Jch ſehe, daß du ſehr auf- merckſam biſt. Erſchrick dich nicht. Sey nicht unruhig. Jch habe ‒ ‒ ich habe ‒ ‒ Wo iſt er doch? (Der Brief lag ihr zwar auf dem Hertzen, ſo nahe als ihr noch nie einer auf dem Hertzen ge- legen hat. Sie haͤtte alſo nicht noͤthig gehabt, ihn zu ſuchen.) Jch habe einen Brief, mein Kind. (Hier zog ſie den Brief aus dem Buſen; allein ſie behielt ihn in der Hand.) Jch habe ei- nen Brief, Kind! Er iſt, ‒ ‒ ‒ er iſt von einem Cavallier! bey meiner Treue! (Hier hub ſie die Hand auf, und ſahe recht freundlich aus.)
Jch dachte bey mir ſelbſt: eine Tochter kann an dem Wunderbaren, das mir meine Mutter erzaͤhlen will, wenig Vergnuͤgen finden. Jch will ihr dieſesmahl die Freude nicht goͤnnen, daß ſie mir ein vergnuͤgtes Wunder nach dem andern entdecket.
T. Vermuthlich von Herrn Anton Har- lowe!
M.
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(Eine Anrede, voll gewinnſuͤchtiger Eigen-
liebe! Jch glaube, daß Freundſchaft, Danckbar-
keit, und Menſchenliebe uns nahe genug angehen.
Doch ich will nicht Worte auffangen.)
Tochter. Jch kann jetzt auf alles Achtung
geben, was meine Mutter mir zu ſagen, die Guͤ-
tigkeit hat.
M. Was willſt du Kind? Was weinſt du,
meine liebe Tochter! (Hiebey ſahe ſie ſo ſonderbar,
ſo guͤtig, ſo vergnuͤgt aus, daß ich es Jhnen nicht
beſchreiben kann.) Jch ſehe, daß du ſehr auf-
merckſam biſt. Erſchrick dich nicht. Sey nicht
unruhig. Jch habe ‒ ‒ ich habe ‒ ‒ Wo iſt er
doch? (Der Brief lag ihr zwar auf dem Hertzen,
ſo nahe als ihr noch nie einer auf dem Hertzen ge-
legen hat. Sie haͤtte alſo nicht noͤthig gehabt,
ihn zu ſuchen.) Jch habe einen Brief, mein
Kind. (Hier zog ſie den Brief aus dem Buſen;
allein ſie behielt ihn in der Hand.) Jch habe ei-
nen Brief, Kind! Er iſt, ‒ ‒ ‒ er iſt
von einem Cavallier! bey meiner Treue! (Hier
hub ſie die Hand auf, und ſahe recht freundlich
aus.)
Jch dachte bey mir ſelbſt: eine Tochter kann
an dem Wunderbaren, das mir meine Mutter
erzaͤhlen will, wenig Vergnuͤgen finden. Jch
will ihr dieſesmahl die Freude nicht goͤnnen, daß
ſie mir ein vergnuͤgtes Wunder nach dem andern
entdecket.
T. Vermuthlich von Herrn Anton Har-
lowe!
M.
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 173. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/179>, abgerufen am 24.11.2024.
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