Treiben sie mich nicht auf das äußerste, Fräu- lein. Erlauben sie mir, daß ich sie in einer sol- chen Gemüths-Unruhe nicht gehen lasse. Jch werde sie begleiten, wo sie hingehen. Wenn die Fräulein Howe meine Freundin gewesen wäre, so würden sie mir nicht so begegnen. Jch mercke wol, wem ich allen Verdruß zu dancken habe. Jch habe schon seit einiger Zeit bemerckt, daß ein jeder Brief den sie von ihr empfangen, ihr Betragen gegen mich zu meinem Nachtheil ändert. Sie will, daß sie mir eben so begegnen sollen, als sie ihrem Hickman: allein für ihr Gemüth würde es sich eben so wenig schicken, das zu thun, als für mich es zu leiden.
Dieses machte sie unruhig. Sie verlangte nicht, daß ich von der Fräulein Howe solche Gedancken hätte.
Doch sie besann sich. Die Fräulein Howe (sagte sie) ist eine Fräulein der Frömmigkeit und aller frommen Leute. Wenn sie ihr nicht anstehen, so können sie die Ursache nun wol errathen.
Ja, Fräulein, das glaube ich. Um von Hick- man und mir so zu reden, wie sie beide vermuthlich uns ansehen, gehet sie mit Hickman so um, als sie gewiß mit Lovelacen nicht umgehen würde. Jch frage sie, ob sie mir einen von ihren Briefen zeigen können, darinn sie meiner nicht gedencket.
Wie weit kommen wir von unserer Haupt- Sache ab! Die Fräulein Howe ist gerecht: sie ist auch gütig und billig. Sie redet und schreibet von jedermann so, wie er es verdienet. Nennen
sie
Treiben ſie mich nicht auf das aͤußerſte, Fraͤu- lein. Erlauben ſie mir, daß ich ſie in einer ſol- chen Gemuͤths-Unruhe nicht gehen laſſe. Jch werde ſie begleiten, wo ſie hingehen. Wenn die Fraͤulein Howe meine Freundin geweſen waͤre, ſo wuͤrden ſie mir nicht ſo begegnen. Jch mercke wol, wem ich allen Verdruß zu dancken habe. Jch habe ſchon ſeit einiger Zeit bemerckt, daß ein jeder Brief den ſie von ihr empfangen, ihr Betragen gegen mich zu meinem Nachtheil aͤndert. Sie will, daß ſie mir eben ſo begegnen ſollen, als ſie ihrem Hickman: allein fuͤr ihr Gemuͤth wuͤrde es ſich eben ſo wenig ſchicken, das zu thun, als fuͤr mich es zu leiden.
Dieſes machte ſie unruhig. Sie verlangte nicht, daß ich von der Fraͤulein Howe ſolche Gedancken haͤtte.
Doch ſie beſann ſich. Die Fraͤulein Howe (ſagte ſie) iſt eine Fraͤulein der Froͤmmigkeit und aller frommen Leute. Wenn ſie ihr nicht anſtehen, ſo koͤnnen ſie die Urſache nun wol errathen.
Ja, Fraͤulein, das glaube ich. Um von Hick- man und mir ſo zu reden, wie ſie beide vermuthlich uns anſehen, gehet ſie mit Hickman ſo um, als ſie gewiß mit Lovelacen nicht umgehen wuͤrde. Jch frage ſie, ob ſie mir einen von ihren Briefen zeigen koͤnnen, darinn ſie meiner nicht gedencket.
Wie weit kommen wir von unſerer Haupt- Sache ab! Die Fraͤulein Howe iſt gerecht: ſie iſt auch guͤtig und billig. Sie redet und ſchreibet von jedermann ſo, wie er es verdienet. Nennen
ſie
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Treiben ſie mich nicht auf das aͤußerſte, Fraͤu-
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werde ſie begleiten, wo ſie hingehen. Wenn die
Fraͤulein Howe meine Freundin geweſen waͤre,
ſo wuͤrden ſie mir nicht ſo begegnen. Jch mercke
wol, wem ich allen Verdruß zu dancken habe. Jch
habe ſchon ſeit einiger Zeit bemerckt, daß ein jeder
Brief den ſie von ihr empfangen, ihr Betragen
gegen mich zu meinem Nachtheil aͤndert. Sie will,
daß ſie mir eben ſo begegnen ſollen, als ſie ihrem
Hickman: allein fuͤr ihr Gemuͤth wuͤrde es ſich
eben ſo wenig ſchicken, das zu thun, als fuͤr mich
es zu leiden.
Dieſes machte ſie unruhig. Sie verlangte nicht,
daß ich von der Fraͤulein Howe ſolche Gedancken
haͤtte.
Doch ſie beſann ſich. Die Fraͤulein Howe
(ſagte ſie) iſt eine Fraͤulein der Froͤmmigkeit und
aller frommen Leute. Wenn ſie ihr nicht anſtehen,
ſo koͤnnen ſie die Urſache nun wol errathen.
Ja, Fraͤulein, das glaube ich. Um von Hick-
man und mir ſo zu reden, wie ſie beide vermuthlich
uns anſehen, gehet ſie mit Hickman ſo um, als
ſie gewiß mit Lovelacen nicht umgehen wuͤrde.
Jch frage ſie, ob ſie mir einen von ihren Briefen
zeigen koͤnnen, darinn ſie meiner nicht gedencket.
Wie weit kommen wir von unſerer Haupt-
Sache ab! Die Fraͤulein Howe iſt gerecht: ſie
iſt auch guͤtig und billig. Sie redet und ſchreibet
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 230. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/236>, abgerufen am 24.11.2024.
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