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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

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und so ungeduldig, als irgend ein Frauenzimmer
seyn kann, und ich werde so unruhig darüber, wenn
ich mich in meiner Hoffnung betrogen sehe, als
das beste Mädchen.



Abermahls ein Brief von der Fräulein Ho-
we!
Es wird vermuthlich der seyn, den sie neulich
versprochen hat, darin sie die Liebes-Geschichte des
alten Antons und ihrer Mutter erzählet. Jch
wollte mich recht freuen, wenn ich den Brief
könnte zu sehen bekommen. Hoffentlich wird nichts
mehr von der Zoll-Betriegerin darin stehen. Sie
scheint den Brief in ihre Tasche gesteckt zu haben,
allein sie wird ihn bald zu den übrigen Briefen
legen.

Montags Abends.

Auf meine Bitte hat sie sich endlich entschlossen,
mich des Nachmittages (nicht früher) bey dem
Thee in der Speise-Stube zu sprechen. Sie trat
blöde und beschämt herein, und es schien, daß sie
selbst darüber betreten war, daß sie die Sache so
weit getrieben hatte, und ohne Noth furchtsam ge-
wesen war. Sie gieng verdrieslich und langsam
nach dem Thee-Tische zu. Dorcas war dabey,
hatte aber mit dem Thee zu thun. Jch nahm un-
terdessen ihre widerspänstige Hand, und druckte sie
an meine Lippen. Liebes, liebenswürdiges Kind,
warum so fremde? Warum so grausam? Wie
können sie das allertreueste Hertz in der Welt so
quälen? Sie machte ihre Hand los: und als ich
sie wieder ergreiffen wollte, so zog sie sie auf eine

un-



und ſo ungeduldig, als irgend ein Frauenzimmer
ſeyn kann, und ich werde ſo unruhig daruͤber, wenn
ich mich in meiner Hoffnung betrogen ſehe, als
das beſte Maͤdchen.



Abermahls ein Brief von der Fraͤulein Ho-
we!
Es wird vermuthlich der ſeyn, den ſie neulich
verſprochen hat, darin ſie die Liebes-Geſchichte des
alten Antons und ihrer Mutter erzaͤhlet. Jch
wollte mich recht freuen, wenn ich den Brief
koͤnnte zu ſehen bekommen. Hoffentlich wird nichts
mehr von der Zoll-Betriegerin darin ſtehen. Sie
ſcheint den Brief in ihre Taſche geſteckt zu haben,
allein ſie wird ihn bald zu den uͤbrigen Briefen
legen.

Montags Abends.

Auf meine Bitte hat ſie ſich endlich entſchloſſen,
mich des Nachmittages (nicht fruͤher) bey dem
Thee in der Speiſe-Stube zu ſprechen. Sie trat
bloͤde und beſchaͤmt herein, und es ſchien, daß ſie
ſelbſt daruͤber betreten war, daß ſie die Sache ſo
weit getrieben hatte, und ohne Noth furchtſam ge-
weſen war. Sie gieng verdrieslich und langſam
nach dem Thee-Tiſche zu. Dorcas war dabey,
hatte aber mit dem Thee zu thun. Jch nahm un-
terdeſſen ihre widerſpaͤnſtige Hand, und druckte ſie
an meine Lippen. Liebes, liebenswuͤrdiges Kind,
warum ſo fremde? Warum ſo grauſam? Wie
koͤnnen ſie das allertreueſte Hertz in der Welt ſo
quaͤlen? Sie machte ihre Hand los: und als ich
ſie wieder ergreiffen wollte, ſo zog ſie ſie auf eine

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[238/0244] und ſo ungeduldig, als irgend ein Frauenzimmer ſeyn kann, und ich werde ſo unruhig daruͤber, wenn ich mich in meiner Hoffnung betrogen ſehe, als das beſte Maͤdchen. Abermahls ein Brief von der Fraͤulein Ho- we! Es wird vermuthlich der ſeyn, den ſie neulich verſprochen hat, darin ſie die Liebes-Geſchichte des alten Antons und ihrer Mutter erzaͤhlet. Jch wollte mich recht freuen, wenn ich den Brief koͤnnte zu ſehen bekommen. Hoffentlich wird nichts mehr von der Zoll-Betriegerin darin ſtehen. Sie ſcheint den Brief in ihre Taſche geſteckt zu haben, allein ſie wird ihn bald zu den uͤbrigen Briefen legen. Montags Abends. Auf meine Bitte hat ſie ſich endlich entſchloſſen, mich des Nachmittages (nicht fruͤher) bey dem Thee in der Speiſe-Stube zu ſprechen. Sie trat bloͤde und beſchaͤmt herein, und es ſchien, daß ſie ſelbſt daruͤber betreten war, daß ſie die Sache ſo weit getrieben hatte, und ohne Noth furchtſam ge- weſen war. Sie gieng verdrieslich und langſam nach dem Thee-Tiſche zu. Dorcas war dabey, hatte aber mit dem Thee zu thun. Jch nahm un- terdeſſen ihre widerſpaͤnſtige Hand, und druckte ſie an meine Lippen. Liebes, liebenswuͤrdiges Kind, warum ſo fremde? Warum ſo grauſam? Wie koͤnnen ſie das allertreueſte Hertz in der Welt ſo quaͤlen? Sie machte ihre Hand los: und als ich ſie wieder ergreiffen wollte, ſo zog ſie ſie auf eine un-

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/244>, abgerufen am 15.05.2024.